dhalleck on Mon, 3 Dec 2001 05:45:02 +0100 (CET) |
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[Nettime-bold] German Version Interview with Halleck on 2 year anniversary |
Interview Dee Dee Halleck by jakob weingartner Unitat: Wie würden sie die Strategie von indymedia beschreiben? Die erste Indymedia-Site wurde in Seattle als Teil eines unabhängigen Medienzentrums eingerichtet, um die verschiedenen Medien der Bewegung zu vernetzen. Wir begannen damals zu realisieren, dass Radio-, Video-, Print- und Kunstgruppen effektiv zu bestimmten Themen zusammenarbeiten können. Vor Seattle gab es den Fall der drohenden Exekution des unabhängigen Radiojournalisten Mumia Abu Jamal. Obwohl es weder ein physisches Zentrum, noch eine koordinierende Website gab, trafen sich unabhängige Medienleute aus allen Teilen des Landes, um gemeinsam eine Kampagne zu starten. Viele von uns arbeiteten zusammen, um nach wenigen Wochen einen medialen Blitzangriff gegen die vom Staat Pennsylvania anberaumte Exekution zu führen. Radiosendungen, Videos, Satellitenübertragungen, spezielle Zeitungsbeilagen, Poster und eine CD-Rom wurden zum ersten Mal mit einem Gefühl enger Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Medien produziert. Im ganzen Land wurde die Forderung nach der Abschaffung der Todesstrafe und einem neuen Prozess für Mumia laut. Wir hatten Erfolg und der Staat schob die Exekution auf. Nichtsdestotrotz ist Mumia noch immer im Gefängnis und soll immer noch hingerichtet werden. Als in Seattle 1999 so viele verschiedene Gruppen zusammenkamen, war eines klar: Auf dieselbe Art und Weise, auf die wir versucht hatten Mumia zu retten, konnten wir auch die Message der Bewegung gegen die Konzerninteressen an die Öffentlichkeit bringen. Die Website war dabei lediglich ein Ort, wo wir unsere Arbeit posteten. Ich glaube, vor Seattle hatte niemand eine Ahnung davon, dass eine Website solch ein populäres und effektives Werkzeug sein könnte. Klar, viele Gruppen hatten Homepages, aber die Dynamik der Seattle-Site war phänomenal. Zum Grossteil war das der „Catalyst“-Software zu verdanken, die es für alle einfach machte, nicht nur Text, sondern auch Photo-, Video- und Audiodateien zu posten. Catalyst wurde in Australien von Mathew Arnison und anderen für die dortigen AktivistInnen entwickelt. Mathew war dann kurz vor Seattle zufällig hier und erklärte unseren TechnikerInnen die Programmiersprache. Aber erst als die Site online ging begannen wir ihre gewaltigen Möglichkeiten zu erkennen. Unitat: Versucht Indymedia die Mainstream Medien unter Druck zu setzen, damit diese ihre Berichterstattung ändern? Oder verfolgt ihr ein Konzept der Schaffung von Gegenöffentlichkeit? Es läuft eine ständige Debatte innerhalb von Indymedia bezüglich der Haltung zu den Mainstream Medien. Es gibt die Meinung, dass wir sie dazu bringen können, ehrlicher zu sein. Ja, es gibt die Erfolgsgeschichten, in denen wir die gleichgeschaltete Berichterstattung dieser Medien durchbrechen und sie dazu zwingen konnten, über bestimmte Dinge zu berichten. Ein paar finden, wir sollten den Medien den Hof machen, damit sie über uns berichten und uns so legitimieren. Ich kann damit nichts anfangen und bin wohl diejenige im Camp, die sagt „Scheiss auf „corporate media“, lass uns unser eigenes Ding machen!“ Das Misstrauen gegenüber den Mainstream Medien wurde im „IMC Blueprint“ folgendermassen festgeschrieben: 1. JournalistInnen dieser Medien müssen ihre Besuche im IMC anmelden, damit alle davon wissen. Nach Möglichkeit passieren diese Besuche während unserer Generalversammlungen. 2. JournalistInnen der Mainstream Medien, die über das IMC berichten, müssen als solche erkennbar sein ? es ist möglich sie während ihrem Aufenthalt im IMC mit speziellen Besucherausweisen zu versehen. 3. Ein Mitglied des outreach-teams sollte JournalistInnen der Mainstream Medien während sie im IMC sind ständig begleiten. Manchmal erregen die IMC Aktivitäten das Interesse der Medien, was die Besucherzahlen unserer Websites in die Höhe schnellen lässt. In diesem Zusammenhang steht folgendes Statement, das ich aus einer Diskussion über unsere Weiterentwicklung habe: „Die kreative Anwendung der Internet-Technologie während den S11-Protesten führte vor Augen, dass das Netz nicht auf seine Funktion als Organisationswerkzeug beschränkt sein muss, sondern dass auch Formen von zivilem Ungehorsam im Cyberspace möglich sind. Beispielsweise löste der raffinierte „hactivism“, der die Besucher von www.nike.com auf www.S11.com umleitete, beachtliche Diskussionen in den Medien aus. Diese Publicity machte ein neues Publikum auf unsere Seite aufmerksam und liess die Besucherzahlen in die Höhe schnellen. Die alten Medien waren also nötig, um Aufmerksamkeit auf die neuen Medien zu lenken. So wurde klar, dass das Netz zwar ein wichtiges Werkzeug ist, AktivistInnen aber nichtsdestotrotz hauptsächlich auf Berichte in den traditionellen Medien angewiesen sind und sich nicht auf die aufkommenden Kommunikationsnetzwerke verlassen können. Manche etablierte Kritiker wollen die Arbeit der unabhängigen Medienleute schlecht machen, und werfen ihnen vor, widersprüchlich zu agieren: Sie würden Konzerninstrumente wie das Internet dazu nutzen, um die Konzerninteressen anzugreifen. Indymedia AktivistInnen setzen dem entgegen, dass eine historisch bewährte Guerrilla-Taktik darin besteht, die Werkzeuge der Unterdrücker gegen sie selbst zu richten. Abgesehen davon wurde das Internet von Bildungseinrichtungen in einem gemeinschaftlichen Prozess auf der Basis von öffentlichen Geldern entwickelt. Diese Entwicklung wurde nicht von der Suche nach profitablen Produkten angetrieben, sondern die gesamte Initiative wurde getragen von einer Atmosphäre gegenseitiger Kooperation, ähnlich wie bei der Entstehung von Indymedia selbst. Die ersten Internet Forscher machten keine Produkte, die der kommerzielle Sektor hätte nutzen können. Seit jedoch e-commerce mehr und mehr der Bandbreite des Internet übernimmt, bewahren Initiativen wie Indymedia das authentisch-interaktive Potential desselben und infolgedessen seinen Charakter als progressiven, öffentlichen Raum. Unitat: Was entgegnen sie der Kritik, dass Indymedia einen inneren Kreis von „onehin schon“ Linken anspricht? Das ist wie die Frage nach dem Predigen für den Chor: Also erstmal muss der Chor selbst über die Predigt informiert werden, wie sollen wir sonst alle gemeinsam singen? Wenn mensch sich davon abgesehen die täglichen BesucherInnenzahlen ansieht, die indymedia zustande bringt, dann kann mensch davon ausgehen, dass wir mit Sicherheit dem Sprung aus dem inneren Kreis schaffen. Wir sprechen hier von einem breit gefächerten Publikum. Aber mehr als das ist es nicht passiv: es gibt fast genauso viele postings wie BesucherInnen. Unitat: Indymedia feierte vor kurzem sein zweijähriges Bestehen. Wenn Sie auf die Entwicklung der Antiglobalisierungsbewegung zurückblicken und auf die Rolle, die die unabhängigen Medien in ihr spielen: Welche Ziele wurden erreicht, wo habt ihr Fehler gemacht? Mit Sicherheit haben wir die Auffassung von Öffentlichkeit im Bezug auf Welthandelsorganisationen verändert. Niemand sieht heute mehr die WTO oder die Weltbank als wohlwollende Organisationen. Das ist klarerweise ein gewaltiger Sieg. Im Hinblick auf Fehler: Die grössten Probleme in der Antiglobalisierungsbewegung sind dieselben wie in der Welt um uns herum: das riesige Gefälle im Zugang zu Ressourcen, die tief wurzelnden Probleme von Rassismus und Sexismus, die ständigen Verlockungen der Konsumkultur. Es gibt nur wenige Indymedia-Zentren im Süden. Frauen und „Nichtweisse“ (people of color, Anm.) sind bei uns noch immer sehr stark in der Minderheit und viele der kreativen jungen Leute, die bei uns die Medienarbeit gelernt haben, werden von der Unternehmenswelt aufgesaugt, damit sie ihre Kreditkarten abzahlen können. Unitat: Wie hat sich die Strategie von Indymedia in diesen zwei Jahren verändert? Ich sehe keine Veränderung per se, dafür Wachstum und Weiterentwicklung, die vom jeweiligen Indymedia-Standort und den involvierten Leuten abhängig ist. Ein Beispiel dieser Partikularität ist DCIMC (www.dc.indymedia.org), das Inymedia Zentrum in Washington DC. Die AktivistInnen dort betreiben einen 24 Stunden Radiosender und einen Fernsehkanal, der alle anderen IMC´s nach Videos durchsucht und die Interessantesten in einer Kette ausstrahlt. Ausserdem hat DCIMC die Nutzung der IMC-Archive für Gegenüberwachungsstrategien perfektioniert: Photos von agent provocateurs der Polizei auftreiben, polizeiliche Übergriffe aufnehmen: eben wachsam sein. Unitat: Wie haben die Anschläge auf das WTC/Pentagon die Arbeit von Indymedia beeinflusst? Es ist schwierig zu sagen, was der endgültige Ausgang des Ganzen sein wird. Die Bilder von black block kids bei Anti-Globalisierungsprotesten wirken im momentanen Klima jedenfalls merkwürdig fehl am Platz. Nichtsdestotrotz sind die IMC´s sehr erfolgreich darin, eine Alternative zum Hurrapatriotismus der Mainstream Medien anzubieten. Besonders das New Yorker IMC schafft es sehr gut, die dortige Gemeinschaft von MedienmacherInnen und KünsterInnen zu einigen. Unitat: Die IMC´s in den USA treten dem „war against terror“ der amerikanischen Regierung offen entgegen. Macht sie das in dieser aufgeheizten Stimmung zu einem Nebenziel dieses Krieges? Bis auf Angriffe auf einzelne Indymedia-Leute gab es noch keine spezifische Repression. Ich würde die Gefahr eher in der gegenwärtigen Einschüchterungstrategie der Regierung sehen: Seit Ashcrofts (US-Justizminister, Anm.) drakonische Gesetze in Kraft getreten sind, muss mensch sich fragen, wohin das Schwert fallen wird. Unitat: Der vor sich gehende oder vielleicht sogar schon abgeschlossene Prozess, in dem die amerikanischen Medien auf Linie mit den Kriegsinteressen der Regierung gebracht werden, geht erschreckend reibungslos über die Bühne. Was muss getan werden, um den hegemonialen, imperialistischen Diskurs, der sich auch nach Innen richtet, anzugreifen? Welche Rolle sollte Indymedia in einer neuen Antikriegsbewegung spielen? Für die unabhängigen Medien ist es zentral, stichhaltige Kritik zu betreiben. Genauso wie der Kampf gegen die WTO muss auch der Kampf gegen die Medieninteressen global geführt werden. Wir brauchen eine globale Initiative, die Äther und Bandbreite für freie Meinungsäusserung und kreativen Ausdruck frei macht. 2003 findet in Genua während einer Tagung der „International Telecommunications Union“ ein internationales Treffen unabhängiger MedienaktivistInnen statt: es soll das Seattle der Medien werden. Wir brauchen einen Gipfel, der dafür demonstriert, dass Satelliten auch für Grassroots-Kommunikation zur Verfügung stehen müssen. Unitat: Kommerzielle und Militärische Kräfte besitzen anscheinend fast schon die globale Hegemonie auf technologische Ressourcen. Wie kann in diesem „weitläufigen Ödland“ Raum geschaffen werden für die basisdemokratische Nutzung von Informationstechnologie? Vielleicht ist es an der Zeit sich die Arbeit der ITU (International Telecommunications Union, Anm.) anzusehen und die Variable „Öffentlichkeit“ wieder auf deren Tagesordnung zu bringen. Die ITU wurde noch vor den Vereinten Nationen gegründet. Ihre Aufgabe besteht darin, als globale Behörde Radiofrequenzen zuzuteilen, um Überschneidungen zwischen Ländern zu verhindern. Ausserdem kontrolliert die ITU die Satellitenwege. Diese Ressourcen sind die essentielle Infrastruktur für jedes Projekt, bei dem Kommunikation im Mittelpunkt steht. Momentan sind die meisten dieser, nur angeblich globalen Ressourcen in der Hand von kommerziellen oder militärischen Institutionen. Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks, dem Niedergang der blockfreien Staaten und der Privatisierung der Telekommunikation gibt es keinen organisierten Widerstand gegen die Kommerzialisierung dieser Infrastruktur. Deswegen haben die Murdochs und die MTVs dieser Welt freien Zugang zu ihren „Zielmärkten“: Wir sind mitten im „bulls eye“. Ein Beispiel dafür, wie Communities erfolgreich Unternehmen dazu bringen können, die Infrastruktur der Kommunikationsnetzwerke zu verändern, ist die „public access“-Bewegung in den Vereinigten Staaten. Seit Anfang der 70er schaffen es Community-Gruppen und visionäre StadtvertreterInnen, von Kabelanbietern Absicherungen für den öffentlichen Zugang zu Kabelkanälen und Ausrüstung zu erwirken. Obwohl diese Bewegung von den Mainstream Medien, die zum Grossteil selbst den Kabelfirmen gehören, lächerlich gemacht wurde, konnte sie doch in vielen Städten florieren. Sie führt der ganzen Welt ein Modell vor, wie der Übergewinn dieser Firmen in Förderungsmassnahmen für Informationsgleichheit umgeleitet werden kann. Lokale und regionale Modelle wie die IMC´s, in denen Zusammenarbeit und Partizipation eine zentrale Rolle spielen, können der erste Schritt zum Aufbau eines globalen Systems von Informationsressourcen sein, in denen Menschen keine auszubeutenden Märkte, sondern partizipierende BürgerInnen sind. Warum nicht einen globalen Standard über partizipative Kommunikation fordern, der die öffentliche Funktion globaler Informationsressourcen geltend macht, genauso wie die des Orbits und der Bandbreite? Die IMC´s weisen den Weg. Unitat: Warum war hier in Europa nichts von der amerikanischen Friedensbewegung zu hören? Vielleicht weil die europäischen Medien ihren Input im Bezug auf die amerikanische Innenpolitik von CNN übernehmen. Und CNN bringt natürlich nichts über die Friedensbewegung. Unitat: In den USA wie auch in Europa betreiben die Autoritäten einen massiven Ausbau von Überwachungsmassnahmen. Die einzige Lösung ist Widerstand. Diese Massnahmen sind sehr teuer. Jetzt, wo die Rezession einsetzt, wird es für die Regierung schwieriger, Steuergelder für diese ganze neue Ausrüstung aus uns rauszuholen. Unitat: Und wie spricht die Friedensbewegung dieses Thema an? An allen Fronten: Wachsamkeit, Aktionen, Kunst und IMC-postings! Ich arbeite gerade an einem täglichen Nachrichtenprogramm mit der Journalistin Amy Goodman. Wir bringen jeden Tag zwei Stunden Nachrichten über Satellit, Community TV, öffentliches Radio und das Internet. Unitat: Indymedia hat seine Wurzeln in der Antiglobalisierungsbewegung. Edward Said bezweifelte vor kurzem in einem Interview, dass die Antiglobalisierungsbewegung in eine Friedensbewegung gemorpht werden kann. Was würden sie ihm antworten? Wenn wir das nicht schaffen haben wir ein grosses Problem. Der „United States Patriot Act“, der letzen Monat vom Kongress abgesegnet wurde, stuft jede Handlung, die gefährlich für ein Menschenleben ist, oder die die Regierung zu einer Änderung ihrer Politik zwingen könnte, als „domestic terrorism“ ein. Michael Ratner vom „Center of Constitutional Rights“ meinte, mensch braucht nicht viel Phantasie, um voraussagen zu können, dass dieses Gestz gegen zukünftige Aktivitäten der Antiglobalisierungsbewegung angewandt wird, zumindest gegen ihre Anführer. Dieses Gesetz macht aus zivilem Ungehorsam „domestic terrorism“ und weitet den Bestrafungskatalog nach oben radikal aus. Sogar einen Stein in das Schaufenster einer Starbucks-Filiale zu werfen, kann als terroristischer Akt gelten: Wenn Glassplitter herumfliegen, kann eine Gefährdung von Menschenleben gedeutet und der/die AktivistIn diesem Gesetz gemäss mit 20 Jahren bestraft werden. Es gibt auch einen Teil bezüglich der Blockade von Transitverkehr. Seit einem Monat können DemonstrantInnen, die einen Hauptverkehrsweg oder eine Bahnstrecke blockieren, als Terroristen verhaftet werden. Das zielt direkt auf die „Reclaim the Streets“ und „Critical Mass“ Bewegung ab. Trotz alledem gibt es endlich eine wachsende Reaktion auf die Idee der tribunalen „New World Order“. Die Realität fasst langsam Fuss und der Widerstand reicht von Rechts nach Links. Schauen wir, was in den nächsten paar Monaten passiert. _______________________________________________ Nettime-bold mailing list Nettime-bold@nettime.org http://amsterdam.nettime.org/cgi-bin/mailman/listinfo/nettime-bold