nettimes_raving_reporter on Sat, 25 Sep 1999 06:33:12 +0200 (CEST) |
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<nettime> Feuilleton - Kunstliche Stressgemeinschaft |
24.09.99 Feuilleton Künstliche Stressgemeinschaft In den laufenden Reden über Medien und Nation spinnt sich noch immer die deutsche Tradition des Unpolitischen fort Die Deutschen sind das metaphysische Volk, sagt Heidegger und zitierte aus den "Betrachtungen eines Unpolitischen" von Thomas Mann. Sie entlarven gern kritisch und steigen hinab zu den Gründen. Genützt hat es ihnen nicht viel. Sie fielen in ein schwarzes politisches Loch. Der Absturz wurde nie einfach dem politischen Handeln und den entsprechenden Entscheidungen zugeschrieben, die gemeinsam zu debattieren, zu treffen und zu verantworten gewesen wären. Die längste Zeit aus der Sphäre der Entscheidungen ausgeschlossen, schien den meisten Deutschen ein unauslotbarer Weltenlauf plausibler: das Sein, die Geschichte, die Systeme. Handeln nach Maßgabe des Überschaubaren kam als Begriff der Nation selten in Betracht. Die Gründe des Geschicks schliefen stets tiefer, in Gesellschaftsprozessen, weltgeschichtlichen Sendungen, völkischer Blutzirkulation, grausiger Tragik. Jedenfalls unsichtbar, dem Rest der Welt unzugänglich, am liebsten dort, wo dem Kaiser der Rauschebart durch den Tisch wuchs. Die Abgründelei und intellektuelle Verabschiedung politischen Handelns in Deutschland ist nicht zu Ende. Kulturelle Gewohnheiten haben andere Dauern als die Ereignisgeschichte. Die jüngste, seit ein paar Jahren laufende Variante der unpolitischen Nation hört auf einen eher unauffälligen Namen. Man sagt nicht mehr Seinsgeschichte, Schicksal, Verblendung. Man sagt: die Medien. Entsprechend ist es zum schicken Gemeinplatz geworden zu behaupten, Nationen seien gar nicht das, was die anderen sich darunter vorstellen, politische Gemeinschaften, tägliche Plebiszite, Partizipation an Entscheidungsprozessen, Debatten, Wahlen, Gleichheit vor dem Gesetz und was es sonst noch an juridisch-institutionellen Erfindungen gibt. Im Tonfall der Neunmalklugheit schreitet der Mediologe zur definitorischen Tat, von Norbert Bolz bis Peter Sloterdijk: Nationen sind keine verfassungsrechtlichen Größen, es sind autogene Informationssysteme, psycho-politische Suggestionskörper, artifizielle Stressgemeinschaften. Gemeint ist immer dasselbe. Erstens,Nationen sind nichts Eigentliches, und zweitens, sie sind, medientechnisch gesehen, ziemlich altmodisch. Auf Nachfrage fallen die Stichworte: Globalisierung, Vernetzung, Ausdifferenzierung, Hybridisierung, die ihrerseits natürliche Effekte von Medien - und Informationstechnologien sind. Eher Hipster als Hans und Grete Das klingt zwar neu, ist es aber nicht. Denn kurioserweise wiederholt ausgerechnet die medial manövrierende Hyperaufklärung die nationalste aller deutschnationalen Ideen: die Idee nämlich, dass die Nation eine Sache sei, deren Grund sich diesseits aller rechtlich institutionalisierten Prozeduren und staatlichen Praktiken befände. Früher figurierte eine alles durchwaltende Natur aus diesem Grund, heute sind es: die Medien. Peter Sloterdijk hat diesen Kurzschluss von der Fichteschen Nationalerregung zur medialen Fabrikation von Nation 1997 in Berlin öffentlich vorgeführt. Sicher, die neue Mediologie will uns mit guten antinationalistischen Absichten beweisen, dass Nationen Epiphänomene oder Emergenzen von Techniken sind, während der alte Nationalismus die Nation in eine unzugängliche Naturtiefe verlegt hatte. Beide Konzeptionen laufen allerdings auf ein und dasselbe hinaus. Wo die Modernen die Nation und ihre Praktiken zum Medieneffekt erklären, um sie ins uneigentliche Nichts zu stürzen, dort erklärten die Alten dieselben Praktiken - zum selben Nichts. Die Nation ist immer ein Gespenst. Früher war es der gespenstisch entzogene Grund, heute ist es eine gespenstische Wirkung. Dass die Praxis des politischen Umgangs zu sich und den anderen - mit Parlamenten, Gesetzen, Gerichtsprozeduren, Schulen -, die Nation schon sein könnte, bleibt undenkbar. Politische Praxis ist ein defizienter Schein, der nicht ans Eigentliche heranreicht. Und stets befindet sich das, was gerade als Nation auftritt, im Unwahren. Eine Art Halluzination. Es ist natürlich nicht schwer, das Motiv für das medial beschworene Verschwinden dieser Halluzination zu verstehen. Es ist angenehmer, polyglott privatisierender Medienhipster als Hans und Grete, sprich: identitär auf eine Gruselvergangenheit zurückgeworfen zu sein. Und solange die Besatzungsstatute West und Ost währten, fiel es auch leicht zu glauben, die nationale Frage sei definitiv abgehakt. Nation war altertümelnde Folklore, während die bunte Gegenwart international und in der Hauptsache über Radio- und TV-Wellen zu einem kam. Die Verantwortung für Entscheidungen über Krieg und Frieden wurde anderswo übernommen. Wer wessen Freund oder Feind war, musste man nicht selbst bestimmen, und auch über die politischen Verfahren dieser Bestimmung musste man sich keine eigenen Gedanken machen. Die Idee, dass Politik und Nation nichts miteinander zu tun hätten, lag mithin nahe. Übersehen wurde dabei nur, dass genau diese Sicht der Dinge den romantisch-völkischen Begriff des Nationalen wunderbar recycelte: dass Deutschland keine res publica, sondern ein Ding aus Strohdächern, Schwarzwaldhütchen und Goethe-Liedern sei. Und daran glaubte niemand mehr: just forget it. Die folkloristische Konstruktion ist 1990 kurzzeitig ins Wanken geraten. Man musste wider Erwarten Nationalstaat machen - und laboriert daran bis heute. Wo die Ostdeutschen glaubten, eine souveräne Demokratie zu finden, entdeckten sie, nicht ohne Überraschung, lauter Westdeutsche, die sich dafür entschieden hatten Amerikaner oder gesichtslose Abendländer als solche zu sein, und die folglich auch nicht einsahen, weswegen sie sich mit zugelaufenen Fremden beschäftigen sollten und mit einem Land, das es eigentlich gar nicht mehr gab. Die Westdeutschen sahen in der Einigung keinen revolutionären Akt nationaler Selbstbestimmung, sondern den Sieg des Westimperiums, unter dessen militärischen Schwingen und Frequenzen sie reich, postnational und weltläufig geworden waren. Die "Wende" erklärte man uns, hätten Reagans Sternenkrieg, Glasfaserkabel und Chiparchitekturen aus Silicon Valley besorgt. Montagsdemonstrationen, Bürgerrechtsbewegungen und Verfassungsfragen fielen nicht ins Gesicht. Es waren nur flüchtige Suggestionskörper, rhetorische Belanglosigkeiten, Medieneffekte. Die Enttäuschungen der Ostdeutschen, die unter anderem auch aus solchen Statements rühren, sind nicht verwunderlich, die intellektuelle Funkstille zu außen-, europa- oder militärpolitischen Fragen ebenso wenig. Wo die anderen sich die Mäuler über die Nach- und Vorteile föderaler Strukturen zerreißen, Zugangsstrukturen zum Internet diskutieren, sich Gedanken über die Entwicklungen eines nicht mehr staatlichen Rechts machen, über Sprachpolitik, soziale Gerechtigkeit oder Laizität, über das, was man will oder nicht will, dort lauscht man hierzulande lieber dem magischen Medienweben, dem die Welt entspringt. Sollen die anderen sich doch mit den Effekten und Oberflächen abgeben. Wir hören das Grundrauschen. 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