Pit Schultz (by way of Pit Schultz <pit@icf.de>) on Fri, 28 Jan 2000 12:12:51 +0100 (CET) |
[Date Prev] [Date Next] [Thread Prev] [Thread Next] [Date Index] [Thread Index]
[rohrpost] dot-com oekonomie |
Was ist digitaler Kapitalismus? Die seltsam abgeschlossene Allgemeingültigkeit des digitalen Kapitalismus und die damit einhergehenden Abgrenzungskonflikte, lassen sich vielleicht mit einem einfachen Satz Norbert Wieners besser verstehen: 'information is information not matter nor energy'. Die Welt der Bits hat ihren Grund im Selbstbezug und in der Abgeschnittenheit von der Welt der Partikel und Wellen. Der kybernetische Schnitt trennt die Infospaehre von den Phaenomenen wodurch diese im Gegenzug steuerbar und messbar werden. Der Leitbegriff der Information stellt innerhalb dieser Triade weder Dreieinigkeit her noch lässt er unendlich viele Aufloesungen zu, vielmehr verdraengte die Kybernetik andere Dreieickssysteme westlicher Kulturgeschichte und machte Information zum Platzhalter des Machtpols. Um diesen Platz streiteten sich bereits unabhänges Subjekt, patriarchale Autorität, oedipaler Vater, goettlicher Herrscher, reines Zeichen und absoluter Geist. Auch wer diese Sichtweise nicht teilt, muss heute zugeben: Money rulez. Das Internet, ehemals Cyberspace genannt, blieb nicht verschont von Kapitalisierung. Im Gegenteil verschlingt die dot-com-Oekonomie einen erheblichen Teil derzeit getaetigter Investitionen und lädt ein zur achterbahnartigen Boersenspekulation. Seinen Bekanntheitsgrad erhält die jeweils neue Top10-website weniger durch eine besondere Idee sondern gigantische Marketingcampagnen in Ubahnen und Wochenmagazinen. Die Frage lautet: Kann der Finanzmarkt die existierende und weiter explodierende Datenproduktivitaet noch einholen und in einen stabilen Geldwert fassen? Der Ruf der Hacker 'information will frei sein' verschmolz mit dem der Banker, 'alles was fest war wird nun fluessig'. Die Konvergenz von Kapitalismus und Kybernetik fuehrte zu einem Clondyke-effekt der die Errungenschaften beider Lehren deckungsgleich brachte. Erste Geister-websites liegen hinter uns, doch ganz in der Ferne tut sich ein schwarzes Loch am Finanzmarkt auf. Das derzeitige Businessmodell ist das der Industrialisierung, bekannt von Eisenbahnnetz, Elektrifizierung. Erst investieren, dann kassieren. Was für Bereiche gewisser Schluesseltechnolgien gelten mag, trifft nicht für die gesamte Produktivitaet immaterieller Arbeit im Netz zu: Die unaufhaltsame Ausbreitung der Free Services, Anstieg der Bandbreiten bei fallenden Transaktionskosten, freie Betriebsysteme und Open Source Software, Mp3-Audio, freie Faxserver, Communities und Internetdienstleistungen incl. Warez und CD-Fern-Kopiererei stellen die Durchsetzbarkeit der Grundlagen digitalen Geldes in Frage. Es mag sein dass dies ein abgekartetes Spiel ist, eine Fortfuehrung der Geschenkoekonomien mit anderen Mitteln, um möglichst viele User abhaengig zu machen, sie an Firmen zu beteiligen, ihnen bezahlte Jobs zu geben, um in der anschliessenden Konsolidierung, dem grossen Shake-out der Kleinen, richtig abzusahnen. Doch die freie Marktwirtschaft des Wissens ist nicht auf die Freiheit der digitalen Information vorbereitet. Digitaler Konservativismus sieht daher Regulierungsmassnahmen vor die auf verschiedenen Ebenen greifen sollen. Ziel ist die Sicherung der eigenen Pfruende. Das Stichwort: intellektuelles Eigentum. Die Akteure: ICANN (Internet Weltregierung under construction) WIPO (Weltorganisation fuer Intellektuelles Eigentum) die bunte boese Firmenwelt der transnationalen Hitech-konzerne, Eliteschulen, Herrensalons (Bilderberg), Regierungsgremien usw. Die Methoden sind zahlreich. Eine heisst: FUD (Fear, Uncertainty, Doubt): Mache den Leuten klar dass 'da draussen' ein Krieg tobt, ein babylonisches Elend herrscht und nur der dominante Standard die beste Loesung bietet, wer abweicht wird mit Inkompatibilität bestraft, wer mitmacht kann nichts falsch machen. Das Draussen ist im weiteren Sinne der soziale Abstieg, die dritte Welt sowie diejeinigen die keinen Internetanschluss besitzen. Eine andere Methode liegt darin jedem Netzbenutzer eine eineindeutige Kennung zu geben (z.b. ueber die IP adresse oder den Domainnameneintrag, bzw. die PentiumIII Kennung) und diese für Verschluesselung begehrter Daten im Namen der Privatsphaere und Sicherheit (s.o) zu nutzen. Verschluesselung dient, entgegen allgemeiner Auffassung nicht bloss der Sicherung der individuellen Privatheit, sondern der Sicherung privaten Eigentums. Über Verschluesselung lässt sich digitaler Code 'hart' machen und zentralen Registraturen, z.b. zur Urheberrechteverwaltung, zuordnen. Aehnlich der Einfuehrung des Grundbuches bei Aufkommen des Feudalismus kommt es zur Parzellisierung und Verknappung von Allgemeineigentum. Digitaler Code soll sich damit wie ein materielles Objekt verhalten und seine 'natuerliche' Eigenschaft verlieren endlos kopierbar zu sein. Die letzte und wohl bedenklichste Kontrollmoeglichkeit ist eine internationale vollautomatisierte Netzpolizei. Erst erfolgt eine Generalamnestie bis 2000, (digital millenium act) dann die schrittweise Verfolgung von Copyrightdelikten. Die Kontrollgesellschaft hat viele Moeglichkeiten offen das digitale Subjekt zu konstituieren: Lizenzen, Sendeerlaubnisse, rigide Verwaltung von verknappten Ressourcen und nicht zuletzt die von Film, Radio und Fernsehindustrie bekannten 'soften' Methoden der informationellen Fuegbarmachung bei der Wiedereinfuehrung der Massenmedien. Nach den grossen Menschenopfern und dem Excess der Industrialisierung in den Vernichtungsmaschinen der Weltkriege und des Holocaust, taucht die Frage auf welche Opfer in Zukunft im Ernstfall den Siegeszug der Digitalisierung beenden werden, um die naechste Folge der Modernisierung einzuleiten, und dessen Grenzen oder Expansionsbewegung zu verteidigen. Der radikale Pragmatismus der Medienaktivisten in und ausserhalb von Firmen und Regierungen, die von Kulturpessimisten beklagte elektronische Unsinnsschwemme, die Aufzaehlung der Weltprobleme der Oekologie und Oekonomie, die Ausbreitung der Informationstechnik in alle Bereiche, entkräftet nicht den Verdacht, dass wir uns längst schon inmitten eines freundlichen Cyberfaschismus befinden. --- Pit Schultz, pit@icf.de, Berlin, 09.12.99 ( ) http://www.opencontent.org dieser artikel ist in aehnlicher form in der gedruckten version von de-bug "zeitschrift fuer elektronische lebensaspekte", 12/99 zu finden http://www.de-bug.de bzw. auf http://www.oekonux.de/ diskussionsliste zur politischen oekonomie von open source related links: digital millenium copyright act: http://www.gseis.ucla.edu/iclp/dmca1.htm und die Kritik daran: Digital Future Coalition http://www.dfc.org/ Consumer Project on Technology (u.a. Ralph Nader, James Love) http://www.cptech.org/ip/ kritische Konferenz zu ICANN: Governing the Commons: The Future of Global Internet Administration http://www.cpsr.org/conferences/dns99/dnsconf99.htm -------------------------------------------------- # rohrpost -- http://www.mikro.org/rohrpost # unabhaengige deutschsprachige Mailingliste fuer Medien- und Netzkultur # kommerzielle Verwertung nur mit Erlaubnis der AutorInnen # Info: majordomo@mikrolisten.de; msg: info rohrpost # Entsubstkribieren: majordomo@mikrolisten.de # msg: unsubscribe rohrpost ihre@adres.se # Kontakt: owner-rohrpost@mikrolisten.de