escape on Sun, 6 Feb 2000 13:42:15 +0100 (CET)


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[rohrpost] Joseph Vogl - Politische Antinomien


	http://www.contrast.org/borders/kein/hintergrund/vogl1.html
	Cross the border/ Kein Mensch ist illegal


	Politische Antinomien
	=====================

	[Joseph Vogl ist Übersetzer der Werke von Gilles Deleuze und Felix
	Guattari und lehrt im Moment in Weimar Medientheorie. Im folgenden
	Text versucht er, ausgehend von einer Unterscheidung von "Politik" und
	dem "Politischen" den aktuellen Stellenwert der Frage des Asyls zu
	umreißen: als "Asyl des Politischen".]

	Politik ist die Kunst, einen politischen Körper zu erzeugen. Sie ist
	ein Wissen der Lage, der Einteilung und der Gliederung; sie ist ein
	besonderes Verfahren, den verstreuten Körpern, Reden und Dingen einen
	einzigen Zusammenhang, einen identifizierbaren Ort, einen Platz und
	eine Stelle zu verschaffen. Politik ist darum Topik und Topologie,
	Redeordnung und Raumordnung zugleich: einerseits die Kunst eines
	Diskurses, der Topoi, Gemein-Plätze, Orte des gemeinsamen Sprechens
	und des gemeinen Wesens erzeugt; und andererseits das Wissen von einem
	Raum, der sich als Ort des Gemeinsamen und als das Gemeinsame der Orte
	konstituiert, scheint darum vor allem etwas Sagenhaftes zu sein, in
	dem sich die Politik und die politische Prozedur stets wiedererkennen
	wollten, eine Sage, die selbst wiederum eine Sage enthält. Ich denke
	dabei an jene berühmte Geschichte, die wie keine andere das Wissen der
	Politik begleitet hat, vom heiligen Paulus bis zu Machiavelli, von den
	Staatstheoretikern der frühen Neuzeit bis hin zu den Sozialisten des
	19. Jahrhunderts, eine Geschichte, die wie keine andere die Frage der
	Orte, des gemeinsamen Raums, der topischen Rede und des politischen
	Körpers thematisiert und zusammenbringt. Es ist eine Geschichte, in
	der ganz und gar erfolgreich ein politisches Gleichnis erzählt wird
	und die darum selbst zu einem erfolgreichen Gleichnis der Politik
	geworden ist. Ich meine hier jene legendäre Erzählung, die Sie alle
	kennen und die sich auf das Rom des Jahres 494 vor Christus datiert:
	Die Stadt Rom hat sich gespalten, die Plebejer sind auf den heiligen
	Berg, den aventinischen Hügel ausgezogen, und nach leidenschaftlichen
	Auseinandersetzungen zwischen den zurückbleibenden Senatoren eilt
	Menenius Agrippa auf den Aventin, um die abtrünnige und hingelagerte
	Menge durch ein Gleichnis zu überzeugen und zurückzuholen, durch das
	berühmte Gleichnis vom Staatswesen als Körper, als effektiver und
	effizienter Zusammenhang von Gliedern und Bauch, als Zusammenhang der
	Wechselseitigkeit und des gegenseitigen Angewiesenseins. Kein Glied
	des Körpers, sagt der listige römische Senator, kann sich ohne die
	stille Arbeit des Magens bewegen, kein Bauch kann ohne die Tätigkeit
	der Gliedmaßen den Körper am Leben erhalten.

	Ich glaube nun, daß es eine Ansammlung und Verdichtung mehrerer
	Momente ist, die diese berühmte Legende von einem kritischen und
	krisenhaften Augenblick in der Geschichte Roms zu einem so dauerhaften
	und krisenfesten Gleichnis der Politik werden ließ. Lassen Sie mich
	diese Moment kurz erwähnen. Erstens: es geht hier um die Frage des
	Orts und der Ortlosigkeit als grundlegendes Problem der Politik - die
	Frage der plebejischen Sezession, einer Ortsverschiebung, die einen
	riskanten Atops des Staatswesen markiert, oder besser: das Staatswesen
	selbst entortet hat; die bloße Menge einerseits und die tagende
	Institution andererseits haben sich voneinander entfernt und losen
	eine heftige Deliberation, eine heftige Verhandlung aus. Zweitens geht
	es um eine Rede, die in zweifacher Weise bestimmend wird, nämlich
	durch ein Gleichnis, das einerseits den Tops vom politischen Körper
	prägt und andererseits den politischen Körper wiederherstellt, eine
	Rede also, die das Gemeinsame aussagt und erzeugt und damit ein
	Sprechen des und ein Sprechen vom Gemeinsamen ist; eine repräsentative
	Rede, die dort, wo sie die Stimme erhebt, ein Sprechen für alle und
	mit allen beansprucht. Und drittens schließlich: es wird hier ein
	Augenblick der Krise vorgeführt, der durch ein Auseinandertreten und
	durch eine Kluft zwischen Politik und der politischen Sache
	gekennzeichnet ist - eine Verschiebung, in der die politische Frage in
	der Entortung, Politik aber in der Zusammenfügung, in der
	Lokalisierung oder Relokalisierung besteht. Das Heraustreten der Menge
	aus der politischen Ordnung ist ein Herausnehmen, eine Ausnahme, die
	von der Politik selbst wiederum ein- und hereingenommen wird; und die
	Politik wäre demnach die konsequente Zurückholung und das konsequente
	Verorten dessen, was nicht immer auf dem Platz ist, auf den es gehört.
	Sie haben vielleicht bemerkt, worauf ich hier hinaus will: ich will
	eine grundlegende Unterscheidung zwischen dem Politischen und der
	Politik festhalten, eine Unterscheidung, die das Politische an
	Prozesse der Entortung und Ortsverschiebung knüpft, die Politik aber
	als Herstellung und Repräsentation der gemeinen Plätze und Orte der
	Gemeinsamkeit begreifen läßt.

	Wenn es nun ein politisches Denken und ein Denken des Politischen
	gibt, so scheint mir dessen neuere Geschichte auf unterschiedliche
	Weise von dieser elementaren Spannung geprägt, von der Spannung
	zwischen dem Verfahren der Politik und der politischen Sache, von der
	Spannung zwischen den Prozeduren der Verortung und den Prozessen der
	Entortung dessen, worin sich ein soziales Band herstellt. Dabei lassen
	sich nicht nur verschiedene Techniken und Methoden zur Lokalisierung
	und Festsetzung des Politischen erkennen, es scheint mir vielmehr und
	das ist hier meine These - daß sich das Politische, von dem sich so
	leichthin sprechen läßt, im Diskurs der Politik vor allem als schwer
	oder nicht Repräsentierbares ausdruckt, daß es sich als schwer oder
	nicht Verfügbares artikuliert. Oder genauer - und das ist meine
	eigentliche These: das Politische hat im Diskurs der Politik immer
	wieder auf je unterschiedliche Weise die Form einer politischen
	Antinomie angenommen, eine Form also, in der seine Verortung zugleich
	zum Ort widerstreitender Gesetze wird und gerade darin ein Insistieren
	des Politischen anzeigt. Lassen Sie mich diese eher abstrakt
	formulierte These nun an einigen Beispielen genauer erklären und
	erläutern.

	1. Das erste Beispiel und die erste Antinomie dieser Art mochte ich
	Antinomie der Gründung nennen, und ich rekurriere dabei auf allzu
	bekannte und geradezu klassische Konzepte und Texte, die Ihnen sicher
	geläufig sind. Es geht hier um eine Frage, die seit dem 17.
	Jahrhundert so fundamental geworden ist und eine politische Theorie
	regelrecht begründet hat, um die Frage nach dem Anfang, dem
	Entstehungsort und nach dem Usprung eines dauerhaften, geordneten und
	funktionierenden Gemeinwesens. Ich will mich hier nicht weiter auf die
	notorischen Debatten um das Verhältnis zwischen Naturzustand und
	Gesellschaftszustand einlassen, die das politische Denken des 17. und
	18. Jahrhunderts so sehr durchdrungen, geteilt und sortiert haben; es
	geht mir vielmehr um den Augenblick der Gründung selbst, um jenen
	Augenblick und Ort, auf den aufgeklärte Sozialvertragslehren den
	Beginn und den Zusammenhalt der politischen Ordnung zurückdatiert
	haben. Sie erinnern sich vielleicht, wie Thomas Hobbes in seinem
	Leviathan diesen herausragenden Moment des Beginns vom Staatswesen
	beschreibt. Es heißt dort: "Ich übergebe mein Recht, mich selbst zu
	beherrschen, diesem Menschen oder dieser Gesellschaft unter der
	Bedingung, daß du ebenfalls dein Recht über dich ihm oder ihr
	abtrittst." Was hier ausgesprochen ist, betrifft den Abschluß eines
	ersten Vertrags, der von nun an die Folie zur Repräsentation aller
	politischen Verhältnisse wird: Wie jedes Individuum notwendig durch
	ein anderes vertreten wird, so wird der Dritte, der Staat, "eines
	jeden einzelnen Stellvertreter", dessen Handlungen man nun so
	betrachten muß, als habe man sie selbst getan. Immer ist in diesem
	"als ob" des Vertrags oder Gesetzes der einzelne drei Personen
	zugleich. Er wird zum Bürger und zum politischen Subjekt nur als
	Stellvertreter der beiden anderen, oder umgekehrt: in jenen anderen
	erkennt er zuschauend und findet eine Konstellation vor, in der die
	Gemeinschaft als latenter Ausnahmezustand nach zwei verschiedenen
	Seiten ausschlagen kann: zum Speicher aller Legimitätsfragen, zur
	Suspension geltender Macht, zur Figur einer permanenten Revolution und
	idealen Form einer direkten Demokratie; und zum Modell einer
	plebiszitären Ermächtigung, die sich im Begriff der "Bewegung"
	zusammenzieht und noch etwa Carl Schmitts Option für einen autoritären
	Staat motiviert. Hier will ich nun zumindest folgendes festhalten:
	Eine Politik des Vertrags und der Repräsentation öffnet zugleich eine
	Kluft und ein Dazwischen, das in dieser Politik nicht repräsentiert
	werden kann, sondern bloß als radikale Nicht-ldentität und
	Verschiebung erscheint: als jener Abstand eines Volks, einer
	Gemeinschaft, einer Versammlung zu sich selbst, der im Akt der
	Gründung und des Zusammenschlusses getilgt und überbrückt werden soll
	und doch immer wieder nur zum Ort oder Nicht-Ort einer Un-Einheit und
	Heterogenität zurückführt. Wahrend eine Politik des
	Gesellschaftsvertrags an der Transparenz der Verhältnisse und an der
	Ortbestimmung der politischen Subjekte arbeitet, macht sich das
	Politische dieser Politik im Zerfall jenes ersten Datums und in der
	Auflösung und Verschiebung eines ursprünglichen Orts für diesen
	Zusammenschluß bemerkbar und erinnert daran, daß die Gründung nicht
	ein für allemal abgeschlossen ist; sie erinnert daran, daß das
	Gemeinsame und die Einheit der Vielen weder ursprünglich noch
	gegenwärtig, sondern stets verschoben, aufgeschoben und vertagt ist.
	Dies waren nicht nur - soviel sei hier wenigstens angemerkt - die
	Ausgangspunkte, von denen aus man die in sich zerfallende Logik von
	Gründungsurkunden analysieren konnte: sei es Derrida am Beispiel der
	amerikanischen Unabhängikeitserklarung; oder sei es Lyotard am
	Beispiel der Déclaracion von 1789. Auch die Debatte zwischen
	Liberalismus und Kommunitarismus, die die transatlantischen
	Feuilletons in den letzten zehn Jahren in Atem gehalten hat, scheint
	mir um diese politische Antinomie herum aufgebaut zu sein, um eine
	politische Antinomie, die kurz und schematisch gesagt in folgendem
	besteht: Eine Gesellschaft kann gerecht sein nur in der Auflosung
	naturwüchsiger Bindungen, nur im Rückgriff auf erste Einheiten und
	Identifikationen aber erkennt sie das Residuum ihres Zusammenhalts.
	Und das Politische daran wäre eben nichts anderes als das, was in der
	Identität eines ersten Zusammenhalts ebenso wie in der Geschlossenheit
	einer transparenten Repräsentation - auf welche Weise auch immer -
	insistiert.

	2. Eine zweite politische Antinomie, die ebenso ihren historischen Ort
	hat und noch wirkungsvoller in unsere Gegenwart hereinreicht, mochte
	ich gerne Antinomie der Polizei oder Antinomie des Polizeilichen
	nennen. Dabei handelt es sich um folgendes. Es ist nämlich
	bemerkenswert, wie sich seit dem 18. Jahrhundert das, was man
	politischen Körper nennt, auf eigentümliche Weise verdoppelt hat. Auf
	der einen Seite stehen die eben angedeuteten Fragen der politischen
	Repräsentation: Wie lassen sich die verstreuten Individuen als
	politische Personen und Subjekte zu einer Ganzheit zusammenschließen?
	Wie läßt sich eine geregelte und verläßliche Form der Gegenseitigkeit
	bilden? Wie läßt sich die Legitimität einer Macht als Garantie,
	Sicherheit und Schutz des bürgerlichen Verkehrs begründen? Im Zentrum
	stünde hier also - wie bereits am Beispiel des Gesellschaftvertrags
	angesprochen - die Rechtsförmigkeit souveräner Gewalt, eine Frage, die
	aus der Wechselseitigkeit von Königsmacht und Rechtsentwicklung seit
	dem Mittelalter hervorgegangen ist. Es geht dabei um das Verhältnis
	von Einzelwillen und Gemeinwillen, um die Abmessung staatlicher Gewalt
	und individueller Freiheiten, um die Kodierung und Repräsentation
	dieser Spannungen in einem Rechtssystem. In dieser Hinsicht ist die
	Souveranität zu einer Kernfrage von Recht und Macht in den
	abendländischen Gesellschaften geworden; gleichzeitig aber maskiert,
	reduziert oder verdrängt dieser Gesetzesdiskurs - im Wechselspiel
	zwischen Legalität und Legitimität - das Faktum der Herrschaft im
	Innern der Macht. So laßt sich nämlich auf der anderen Seite
	beobachten, wie sich spätestens seit Anfang des 18. Jahrhunderts eine
	ganz andere Form zur Organisation und Durchdringung des sozialen und
	politischen Felds herausbildet. Hier geht es nicht mehr um politische
	Subjekte und Rechtspersonen, sondern um lebende Individuen und
	Bevölkerungen; nicht mehr um Rechtsverhältnisse, sondern um
	Leidenschaften, Interessen und Verhaltensweisen; nicht mehr um
	politische Repräsentation, sondern um die Steuerung von
	Lebensituationen, von biologischen, medizinischen, sozialen,
	ökonomischen oder moralischen Milieus, nicht mehr um die Lokalisierung
	einer politischen Gründung, sondern um das Lokal einer politischen
	Steuerung. Es hat sich in fast allen europäischen Staaten seit Ende
	des 17. Jahrhunderts ein neuer Gegenstandsbereich des Politischen
	herausgebildet, der ein komplexes Verhältnis von Territorien,
	Bevölkerungen und Gütern umfaßt und Interventionen unterhalb des
	Rechts und der Gesetze einschließt. Das 'Politische' ist hier nicht
	mehr an die Reichweite des Vertraglichen und der rechtsförmigen
	Repräsentation gebunden, es entwirft sich vielmehr als ein Kräftefeld,
	das andere Beschreibungs- und Aktionsformen politischer Macht
	provoziert: eine politische Ökonomie, eine Bevölkerungspolitik, eine
	Gesundheitspolitik, eine Biopolitik usw. Es wird damit ein besonderes
	Regierungswissen erzeugt, das im 18. Jahrhundert den Titel 'Policey'
	bekommen hat und sich als Organ einer umfassenden politischen Sorge
	auf die Gesamtheit des physischen und moralischen Staatslebens
	bezieht. Diese Policey - so lautet es in zeitgenössischen Definitionen
	- ist die Erkenntnis, wie ein gegebener Zustand des Gemeinwesens
	erhalten, gehoben und verbessert werden kann; sie verzeichnet die
	Mittel zur Bewahrung und Mehrung der "physischen und moralischen
	Kräfte" eines Landes; und sie ist schließlich die Menge der aktuellen
	Maßahmen, die ergriffen werden müssen, um das "gesamte Vermögen des
	Staates durch gute innerliche Verfassungen zu erhalten und zu
	vergrößern und der Republik alle innerliche Macht und Starke zu
	verleihen, deren sie nach ihrer Beschaffenheit nur immer fähig ist".
	Die Policey bezieht sich also - kurz gesagt - auf die Forderung der
	individuellen und allgemeinen Wohlfahrt zur Stärkung des Staats
	überhaupt und nimmt dabei eine minutiöse Anordnung und Verteilung von
	Körpern, Fähigkeiten und Qualitäten vor. - Gerade diese Verdoppelung
	des politischen Körpers zwischen Vertragstheorie und Policey läßt sich
	nun ebenfalls als eine spezifische Antinomie des Politischen
	begreifen, in der bloße Steuerungsregeln und Rechtssätze miteinander
	um die Definitionsmacht politischer Regierung konkurrieren, einander
	ausschließen, überschneiden, verzahnen oder wechselseitig verstärken.
	Das Netz ökonomischer und polizeilicher Regierungstechniken einerseits
	und das Gesetz der Souveranität andererseits sind von nun an die
	beiden äußeren Grenzen der Macht und begründen das
	"Wohlfahrtsstaat-Problem" moderner Gesellschaften - wie Michel
	Foucault das einmal genannt hat -, ein Problem, das eine feine
	Abstimmung zwischen der auf Rechtssubjekte ausgeübten politischen
	Macht und der auf lebendige Individuen bezogenen Disziplinarmacht
	verlangt: Die Grenze der polizeilichen Regulierung liegt im Recht,
	dessen Geltung selbst wiederum mit dem Appell an feinere
	Kontrollmechanismen begrenzt wird. Man konnte also sagen: Die
	politische Vernunft und das Politische sind hier in einen Engpaß, in
	eine Falle zwischen Normen und Disziplinen einerseits und
	Gesetzesmacht andererseits geraten; es haben sich unterschiedliche
	Formen der Ordnung und Ortung des Politischen ergeben, die sich hier
	zu einer Art ausweglosen Zusammenarbeit verbunden haben. So sehr
	einander die Sätze des Rechts und die Festsetzungen der Polizei
	auszuschließen scheinen, so sehr bestimmen sie eine Politik, die hier
	eine wechselseitige Einweisung des Politischen vollzieht. Michel
	Foucault - dies sei hier wenigstens angedeutet - hat das nicht zuletzt
	als Schwierigkeit beschrieben, das Politische noch in Begriffen der
	Emanzipation und Befreiung denken zu können. Etwa am Beispiel der
	Sexualität: diese ist aus einem 'policeylichen' Kontroll- und
	Disziplinarwissen vom Anfang des 19. Jahrhunderts hervorgegangen, und
	jede Berufung auf die Sexualität gegen die Schranken des Gesetzes
	lauft Gefahr, die Effekte jenes Disziplinarwissens zu starken. Oder
	umgekehrt: So mag es etwa, schreibt Foucault, die "politische Ehre der
	Psychoanalyse" ausmachen, daß sie der Expansion der Bio-Macht, der
	alltäglichen Verwaltung und Kontrolle der Sexualität entgegenstand und
	sich noch in "theoretischer und praktischer Gegnerschaft zum
	Faschismus" befand, und zwar gerade dadurch, daß sie Gesetz und
	Souveränität von neuem ins Spiel brachte und die Sexualität unter die
	symbolische Ordnung, den Vater-Souverän, zurückholte. In diesem
	Ausgreifen auf Geschichtslosigkeit aber bleibt sie zugleich in ihrer
	eigenen Geschichte gefangen, in der Normierungsmacht der Sexualität,
	deren Wahrheit - die Wahrheit der auf ihren Sex verpflichteten
	Individuen - sie nur wiederholen kann. Und das fuhrt schließlich zu
	den Fragen: Weist nicht dieses moderne Zusammenspiel zwischen
	juridischer Idealität und Normierungsmacht auf die Unmöglichkeit, sich
	auf die eine Seite gegen die andere zu berufen? Und mußte man nicht in
	Richtung eines Politischen denken, das anti-polizeilich und zugleich
	losgelöst von den Garantien des Rechts und der Souveränität wäre?

	Lassen Sie mich noch einmal wiederholen. Ich bin - am Beispiel der
	römischen Sage vom Auszug der Plebejer und der Überzeugungskraft des
	Menenius Agrippa, der das ortlos gewordene Volk zurückholt - ich bin
	also hier von der Unterscheidung zwischen der Politik und dem
	Politischen ausgegangen, während das Politische eine grundlegende
	Entortung und einen riskanten Augenblick des staatlichen Wesen
	bedeutet, stellt die Politik als Topik und Topologie den politischen
	Körper wiederum her: durch Gliederung, Verortung und Platzanweisung.
	Diese Differenzierung führte mich zur These, daß seit dem Beginn einer
	neuzeitlichen Politik und einer politischen Theorie das sogenannte
	Politische stets vom Verschwinden bedroht ist und insbesondere als
	Antinomie, als Widerstreit von Gesetzen insistiert. Sei es in der
	Gründungsszene und im Urvertrag als Quelle von Legitimität, der einen
	nicht-repräsentierbaren Abstand des Volks zu sich selbst enthält; sei
	es in der Policey als feinmechanische Regierungstechnik, die einen
	kontinuierlichen Wechselverweis zwischen Rechtsordnung und
	Kontrollpraxis provoziert - in beiden Fallen vollzieht sich Politik
	als beständiges Vergessen jenes Politischen, das zu jeder Figur des
	politischen Körpers den Anspruch seiner Defiguration und zu jeder
	politischen Ortung ein Ausstreichen dieses Orts hinzufügen wurde. Die
	Liste der Fragen ließe sich sicher verlängern: Wie steht es etwa mit
	einer Politik, wenn man das Politische im Raum der Öffentlichkeit (wie
	Habermas) oder in der Dezision der Feindschaft (wie Carl Schmitt)
	lokalisiert? Und wie steht es um die vielleicht aktuellste politische
	Antinomie, die zwischen den selbstregulierenden Prozessen einer
	globalen Ökonomie und der festen Fügung der Nationalstaaten zu
	bestehen scheint, eine Antinomie, die den großen Beitrag eben dieser
	Nationalstaaten zur weltweiten Zirkulation des Kapitals vergessen
	macht?

	Ich will diese Fragen allerdings beiseite lassen und nun zum Schluß
	das Problem noch einmal etwas anders stellen. Ist es wirklich
	gerechtfertigt, heute vom Verschwinden des Politischen zu sprechen?
	Gäbe es für das Verschwinden des Politischen heute einen
	exemplarischen und privilegierten Schauplatz? Oder anders herum: Gibt
	es einen Schauplatz, der gerade erst durch die Freisetzung des
	Politischen, der politischen Frage seine höchste Sichtbarkeit und
	Schärfe erhalten würde? der die Politik als Annullierung des
	Politischen sichtbar machen konnte? Wo also vollzieht die Politik eine
	Delegierung, eine Einweisung und Gefangennahme des Politischen, in der
	dessen Insistieren noch spürbar wäre? Und wo läßt sich in der Politik
	der Gegenwart dieses Asyl des Politischen erkennen?

	Ich habe Ihnen hiermit meine Antwort bereits souffliert und nehme sie
	vorweg: Ein exemplarischer Ort der Gefangenschaft des Politischen, ein
	exemplarisches Asyl des Politischen scheint mir heute vor allem im Ort
	des politischen Asyls selbst zu liegen. Lassen sie mich nun, bevor ich
	eine Erklärung dieser Antwort versuche, einige Bemerkungen zum Begriff
	des Asyls und zu seiner Geschichte machen. 1. "Asyl" heißt im
	Lateinischen "asylum", im Griechischen "asylon" und war dort, im alten
	Griechisch, von seinem Gegenbegriff abgeleitet: nämlich "sylon", d.h.
	Raub, Beraubung, Plünderung. "Asylos" bedeutet dementsprechend das
	Gegenteil von Beraubtsein, und das heißt: unberaubt, sicher,
	unverletzt und unverletzlich zu sein. Und entsprechend ist "Asylon"
	eine Freistatt und Zufluchtstätte - ein Ort also, der im heutigen Asyl
	natürlich noch mitklingt, in der Antike aber eine ganz besondere
	politische, rechtliche und soziale Prägung erfahren hatte. Denn Asylon
	war in der griechischen Antike nicht nur jedes Heiligtum
	einschließlich seines Zubehörs an Altaren, Götterbildern und
	Kostbarkeiten; es waren dort nicht nur - zum Schutz gegen Feinde -
	Staatsschätze und Vermögenswerte untergebracht; es konnte darum nicht
	nur zum Zufluchtsort für Verfolgte und Bedrängte, sogar für Sklaven
	und Verbrecher werden; es war nicht nur ein Ort der prinzipiellen
	Unantastbarkeit. Es galt vielmehr umgekehrt, daß jeder, der diesen Ort
	der Unantastbarkeit verletzte - und sei es, daß man einen Verbrecher
	zur Bestrafung von dort hervorholte - sich selbst antastbar machte und
	einen Frevel beging, den die Gesetze, zumindest aber die Götter hart
	bestraften. Man konnte in diesem Asyl also das erkennen, was man heute
	einen rechtsfreien Raum nennt; aber es war in Wirklichkeit noch sehr
	viel mehr. Es war vor allem ein Ort der Aussetzung und Annullierung
	des Rechts; es war darum ein Raum, in dem es prinzipiell keinen
	Mißbrauch gab und in dem Gerechte und Ungerechte gleichermaßen
	Aufenthalt fanden; es war ein Ort, an dem man nicht durch das Gesetz,
	sondern bestenfalls per Gesetz vor den Gesetz geschützt war; und das
	Asyl war demnach ein Aufenthalt, an dem sich nicht einfach
	verschiedene Sozialarten, Bürger, Unfreie, Kriminelle und Verfolgte
	versammelten, es war vielmehr ein Ort, an dem zunächst alle diese
	Markierungen aufgehoben waren, ein Ort der Demarkierung und
	Demarkation also, ein Ort der Abtrennung, eine Ortschaft, die nichts
	mit anderen Orten gemeinsam hat. So konnte man sich in späterer Zeit
	darüber beklagen, daß diese Asylstätten zu Sammelplätzen von
	"liederlichem Gesindel", meuternden Sklaven und insolventen Schuldnern
	etwa geworden waren - wesentlich aber scheint mir hier vor allem
	folgendes zu sein: was sich im Asyl versammelte, war kein Volk, es
	waren keine durch Stand oder Gesetz markierte Individuen, sondern eine
	Art deterritorialisierter Menge und Masse. Folgende Merkmale dieses
	antiken Asyls wurde ich hier also gerne festhalten: Erstens ist es ein
	Ort, an dem man nicht belangt werden kann, es ist ein Ort ohne Belang
	und in dieser Hinsicht, was seine Lage in der Polis und in der Politik
	der Polis betrifft, ein Atopos, ein Nicht-Ort, ein Ort der
	Nicht-Zugehörigkeit: man befindet sich hier, weil man dort, wo man
	ist, nicht hingehört; es enthält zweitens nicht eine wie auch immer
	geordnete Versammlung von Bürgern oder Verbrechern, sondern eine
	unmarkierte Ansammlung von Leuten, einen plethos der sich stets
	außerhalb des demos d.h. eines zur und für die Politik zugänglichen
	Volks befindet; und das Asyl ist darum drittens nicht zuletzt eine
	bedrohliche Grenze der Politik, des Rechts und der Institutionen -
	nicht von ungefähr bemühte man sich schon bald um rechtliche
	Garantien, Definitionen und Beschränkungen für die Asylstätten. Dabei
	ist es nicht zu übersehen, daß es gerade von diesem Nicht-Ort aus
	durchaus Übergänge - wenn nicht sogar entscheidende Übergänge - zum
	Gemeinwesen gab. Dies zumindest läßt sich wiederum an einer Sage
	erkennen, an einer anderen römischen Sage, die durchaus eine gewisse
	Nähe zur Sage des Menenius Agrippa besitzt. Es handelt sich hier um
	die Sage von der Entstehung Roms. Denn nachdem Romulus den Remus
	erschlagen hatte und zur Gründung der Stadt geschritten war, öffnet er
	auf dem Kapitol wiederum ein heiliger Berg - ein Asyl für Vertriebene
	und Verfolgte, Heimatlose und Landflüchtige, aus denen dann das
	römische Volk entstehen sollte. Nun erscheint es bemerkenswert, daß
	man sich nicht nur immer wieder auf das bloß Sagenhafte dieser
	Geschichte berief, sondern daß man in dieser Erzählung auch einen
	signifikanten Widerstreit erkennen wollte: Konnte es möglich sein, daß
	am Anfang des großen Roms und am Anfang seines Rechts und seiner
	Institutionen ein gesetzloser Ort und Ort der Gesetzlosen bestand?
	Konnte es möglich sein, daß die römische Staatsgründung nicht auf
	einen geordneten Verband, sondern auf "zusammengelaufenes Gesindel",
	wie es bei Livius heißt, zurückging? Konnte es möglich sein, daß mit
	allen Unterschieden, die die Gründung, die Politik, das Recht und der
	Staat machen, eine Unterschiedlosigkeit einherging, ein "sine
	discrimine", wie es ebenfalls bei Livius heißt? Es scheint jedenfalls,
	als ginge es in den verschiedensten Interpretationen dieser
	Gründungsgeschichte immer wieder um das bereits benannte Problem: Wie
	verhalt sich eine Politik der Gründung, der Ortung und Ordnung zu
	einem Politischen, das hier ebenso wie in der Erzählung von Menenius
	Agrippa mit der Undiskriminiertheit und Ortlosigkeit einer bloßen und
	deterritorialisierten Menge verbunden ist? 2. Gerade seit dem 19.
	Jahrhundert scheint man das Politische dieses Asyls als einen gewissen
	Vorwurf und Skandal begriffen zu haben. So sehr nämlich dieses Asyl
	eine Grenze der Politik markiert hat und die Spannung zwischen
	ungeordneter Masse und geordnetem Volk, zwischen Verortung und
	Entortung umschließt, so sehr galt es nun als abgemacht, daß diese
	Gestalt des Asyls als Unort, als Ansammlung von unterschiedslos
	Gleichen und als Annullierung des Gesetzes in einer fundamentalen
	Feindschaft zum eingerichteten Staatswesen stehen muß. Und spätestens
	seit dem 19. Jahrhundert läßt sich demnach ein doppeltes Verschwinden
	des Asyls konstatieren. Denn einerseits haben nun staatliche Macht und
	Rechtsstaat einen Raum erzeugt, der keinen undiskriminierten Ort mehr
	kennt und konzediert, Staat und Recht haben gewissermaßen die Sache
	und den Begriff des Asyls absorbiert und kassiert. Ich zitiere aus
	einer Studie zur Geschichte des Asylrechts von 1853: "Der Staat hat
	nach Gelangung zur Kraft, durch die er dem Unglücklichen Schutz, und
	dem Verletzer Strafe nach der Ordnung seiner Gesetze angedeihen läßt,
	die Macht des Asylrechts gebrochen. Er selbst ist jetzt das Asyl, aber
	nicht der willkürlich, sondern der, nach feststehenden Gesetzen
	gehandhabten, Ausübung des Rechts. In seinem Asyl wird das Recht geübt
	und der Mißbrauch des Rechts geahndet." Das ist die eine Seite: die
	Ersetzung des Unorts des Asyls durch den lückenlosen Geltungsraum des
	Gesetzes. Die andere Seite - und das ist eine ebenso wesentliche
	Veränderung - betrifft den Begriff des Asyls selbst: Er bedeutet
	jetzt, seit spätestens Anfang des 19. Jahrhunderts, nicht mehr allein
	Zufluchtsstätte, sondern ist nun überdies zum Namen für einen Ort der
	Einsperrung geworden - das Asyl als Heim, als Unterkunft für
	Bedürftige, als Irrenanstalt und Ort der Disziplinierung. Vom Ort oder
	Nicht-Ort der Unterschiedslosigkeit, der einst das Gesetz anhalten
	ließ, ist also das Asyl hier zu einem exemplarischen Ort der
	Diskriminierung geworden, in dem zwar nicht unbedingt das Gesetz, aber
	eine polizeiliche Sorge waltet. 3. Diese beiden Seiten gehören
	zusammen und lassen sich als eine Reduktion begründeter Ortlosigkeit
	begreifen: einerseits mit dem Überschreiben undiskriminierter
	Leestellen durch die diskriminierende Schrift des Rechts; andererseits
	durch eine Umwandlung von Zufluchtsstätten und Enklaven, die nun zu
	Orten der Einsperrung, Verwaltung und disziplinären Durchdringung
	geworden sind. Es ist also nur konsequent, wenn auch im 20.
	Jahrhundert und insbesondere nach 1945 das Asyl und das Asylrecht
	nicht nur als prinzipiell rechtsfeindlich angesprochen, sondern zudem
	in eine Vorvergangenheit moderner Staaten zurückverlegt werden. "Die
	Bedeutung des Asylrechts", heißt es etwa in einer Studie von 1954,
	"liegt in einer Zeit unentwickelter Rechtsverhaltnisse." Und in einer
	anderen Darstellung: "Der Rechtsstaat kann keine exemten, seinem
	Zugriff entzogenen Bereiche dulden." Umso bemerkenswerter mochte die
	bündige Formulierung von Artikel 16, Satz 2 aus dem Grundgesetz
	erscheinen, die Sie alle kennen und die seit zwanzig Jahren Gegenstand
	der Auseinandersetzung ist: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht."
	Bemerkenswert ist diese Satz nicht nur, weil er weder in der Weimarer
	Verfassung noch in der Verfassung des Kaiserreichs ein Gegenstück
	hatte; bemerkenswert ist er nicht nur, weil er den Text des
	Grundgesetzes zugleich als Resultat und Ort einer historischen
	Erfahrung der Verfolgung kennzeichnet. Es ist vielmehr mit diesem Satz
	an eminenter Stelle der Term 'Politisch' eingeführt, der ganz
	konsequent einen Unort des Politischen im befriedeten Ort des Gesetzes
	geöffnet hat. Ich will hier nicht weiter auf die umfangreichen
	juristischen und politischen Debatten um dieses Grundrecht auf Asyl
	eingehen, sondern zumindest folgendes festhalten: Die Änderungen, die
	mit Geltung vom 1. Juli 1993 in den Artikel 16 des Grundgesetzes
	eingeführt wurden, scheinen mir nicht zuletzt von einer Logik geprägt
	zu sein, die eine doppelte Auslöschung dieses 'Politischen' betreibt:
	einerseits wird nun, mit der sogenannten Drittstaatenregelung, die.
	Entscheidung über das 'Politische' im Begriff der politischen
	Verfolgung aus dem Territorium und Geltungsbereich des Grundgesetzes
	herausgehoben und gewissermaßen aus seinem Inneren weggeschafft; und
	das Politische und die politische Verfolgung werden nun einem
	Beglaubigungsverfahren unterworfen, dessen Kriterien gesetzlich
	definiert und verortet sind: "Durch Gesetz", heißt es hier, "können
	Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der
	Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse
	gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch
	unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung
	stattfindet." Andererseits und im selben Zug wird damit der
	verwaltungstechnische und polizeiliche Weg gestärkt, eine Stärkung,
	die zu den bekannten Formen der Asylierung geführt hat:
	Gemeinschaftsunterkünfte, Flughafenregelung, Abschiebehaft. Kann man
	tatsächlich den indefiniten Begriff der 'politischen Verfolgung' im
	Artikel 16 der Verfassung als ein Insistieren des Politischen im
	Geltungsraum des Gesetzes begreifen, so hat mit der
	Verfassungsänderung schließlich eine Politik gesiegt, die erfolgreich
	den Widerstreit des Politischen in einen Konflikt zwischen Gesetz und
	Verwaltungspraxis, Gericht und Polizei verwandelt hat.

	Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Ich habe versucht, eine
	grundlegende Unterscheidung zwischen der Politik und dem Politischen
	zu benennen: die Politik als Praxis der Aufteilung, Distribution und
	Verortung, als Zuweisung von Zuständigkeiten; das Politische aber als
	fundamentale Ortverschiebung und Entortung, als Erzeugung von Räumen
	der Nicht-Zugehörigkeit und Nicht-Zuständigkeit. Aus dieser
	Perspektive bin ich schließlich auf die Frage des Asyls gekommen, auf
	ein Asyl, dessen Geschichte auf jenen exempten Ort zurückführt, der
	die Frage nach der Grenze des Gesetzes, des Rechts, der Verwaltung
	aufwirft und somit von einem Insistieren der politischen Frage zeugt.
	Entsprechend wollte ich mit dem prinzipiellen Verschwinden des Asyls
	in modernen Staats- und Rechtssystemen auch ein Verschwinden des
	Politischen erkennen. Aus diesem Grund schien mir die Asylgarantie des
	Grundgesetzes ein paradoxes und darum nur umso wichtigeres Datum zu
	sein: als Öffnung eines Atopos im Innern der Topologie des Gesetzes.
	Und auch aus diesem Grund schien mir die Politik, die zur
	Verfassungsänderung geführt hat, so ruinös zu sein: als eine Politik,
	die die Frage des politischen Asyls zu einem Asyl des Politischen
	gewendet hat, zu einer Asylierung, die die offene Frage nach Ort und
	Zugehörigkeit zum Schweigen bringt an das Wechselverhältnis von Recht
	und Polizei delegiert. "Die politische Aktivität", schrieb der
	französische Philosoph Jacques Ranciére, "trennt einen Körper von dem
	Platz, der ihm zugewiesen war, oder ändert die Bestimmung eines Ortes;
	sie läßt sehen, was keinen Ort hatte, an dem es gesehen werden konnte,
	läßt etwas als Rede hören, was vorher lediglich als Geräusch zu hören
	war.'' Jedenfalls möchte man nicht aufhören zu glauben, daß dieses
	Politische weiterhin insistiert, und daß es gerade mit Berufung auf
	den Nicht-Ort des Asyls auch weiterhin irgendeinen Sinn machen konnte,
	dort zu sein, wo man nicht hingehört, und dort zu reden, wo man nicht
	gefragt wird.


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