Krystian Woznicki on Sat, 6 May 2000 00:17:03 +0200 (CEST) |
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[rohrpost] I Love You - Optionismus |
Hallo, wie brüten gerade über die Zukunft von Berlin-Mitte: Auf das sich der Wurm verbreite; eine de-mündigende Warnung hatte Stefan Heidenreich bereits vor dem Optionismus-Spektakel artikuliert. (Ein Text aus der FAZ, 26.04.00, Nr.97/Seite BS1) Gruss Krystian - Erneute Warnung vor dem Verlust der Mitte Berliner Startup-Kit für Kunst-Strategen "Optionismus" steht nicht für einen neuen Stil. Die -Ismen waren vor hundert Jahren eine Mode der künstlerischen Avantgarde; die Optionen galten vor etwas mehr als zehn Jahren als schick, als die Aktienkurse weltweit fielen. Sie machten es möglich, bei hohem Risiko aus Kursverlusten Gewinne zu schlagen oder aber zweifelhafte Posten gegen den Wertverfall zu sichern. Das Wort "Optionismus" klingt so, als könnte man mit Optionen eine Epoche machen. Aber eigentlich verhält es sich umgekehrt: die Epoche macht Optionen. Der Zufall will es, dass die technologischen und ökonomischen Entwicklungen ausgerechnet zur Jahrhundertwende eine Reihe neuer Möglichkeiten eröffnen - und der Optionismus benennt erst einmal nicht mehr als diese Tatsache und den Willen, sich nicht als unbeteiligter Zuschauer den kommenden Dingen auszuliefern, sondern künstlerische Antworten zu fordern. Die Zukunft kommt uns als techno-ökonomisches Phantasiegebilde entgegen, dessen Resultate in den realen Phantasien der Börse schon beschlossen sind, bevor sie den Bereich der Kultur überhaupt berührt. Technokraten handeln die neuen Standards aus und übergeben ihre leeren Kanäle mit dem klangvollen Schimpfwort "Content" den Kulturproduzenten. Ausgerechnet Kunst und Kultur verhalten sich zum Wandel auffallend zurückhaltend - fast so als hätten sie mehr zu befürchten als zu gewinnen. Nicht Künstler kämpfen für das Urheberrecht an über die Netze verteilten Musik - sondern die Unterhaltungskonzerne schieben sie als Marionetten nach vorne, wenn es um den Erhalt ihrer Geschäftsbasis geht. Die Literatur einer Generation, die Florian Illies mit dem Namen "Golf" gelabelt hat, begnügt sich gerne damit, die biederen kleinen Abenteuer der eigenen Sozialisation auszukotzen. Und in der Kunst widmen sich die Museen allzu oft der nostalgischen Aufgabe, die Sammlerstücke des vergangenen Jahrhunderts nach immer neuen Themen anzuordnen, während die Künstler sich mit feinen Unterscheidungen an einem konturlosen Markt zu behaupten versuchen. Man wird später schwer erklären können, warum Kultur in einer Zeit, die von dramatischen Veränderungen gezeichnet ist, keine anderen Optionen für sich entdeckt hat. Kunst als eine Information unter vielen. Die Rede von der Informationsgesellschaft, von der immateriellen Arbeit, von der Gesellschaft als geschlossenem System der Komunikationen ist seit längerem ein Allgemeinplatz und wird nichtsdestoweniger mit jedem Tag wahrer. Kunst hat gute Chancen, in einer Umgebung zu bestehen, die die Ideen vom Himmel unter die Erde geholt hat, um sie als Informationspakete durch die Datenkabel zu versenden. Mit einer ungeheuren Anpassungsleistung haben sich die Künstler in den letzten fünfzig Jahren zu Generalisten gewandelt - ironisch gesagt: zu den „flexiblen" Kulturproduzenten, die mit jedem beliebigen Medium umgehen können und unterschiedlichste Arbeitsweisen übernehmen. Sie haben die alte Tugend der Imitation wieder entdeckt - nicht als Nachahmung von Natur oder von klassischen Vorbildern, sondern als Aneignung von Techniken. Nun geht es darum, diese Kompetenzen einzusetzen - aber nicht um den Preis der Selbstaufgabe, sondern im Einklang mit den künstlerischen "skills", wie Rosalind Krauss jene Fähigkeiten genannt hat, die das kulturelle Gewicht der Kunst begründet und lange genug gehalten haben. Kulturökonomie jenseits der Reproduzierbarkeit. Die technische Reproduzierbarkeit, wie Walter Benjamin sie in seinem berühmten Aufsatz beschrieben hat, hört auf, die ökonomische Grundlage der Kultur zu sein. In digitalen Medien sind die Speicher so billig und das Kopieren so leicht geworden, dass Reproduzierbarkeit zur Wertschöpfung nicht mehr taugt. Hat es jene Benjaminsche Ersatzeigenschaft namens Aura je gegeben, so müsste die Kulturindustrie sie schleunigst reaktivieren. Aber auch so werden die Großkonzerne der Unterhaltungskunst versuchen, neue Grenzen zu ziehen, wo die alten zusammenbrechen. Im Kampf um den Musik-Standard MP3 und die Identifizierung der Nutzer im Netz werden über Freiheit und Verteilung künftiger Kultur Vorentscheidungen getroffen. Gerade weil die traditionell an Räume gebundene Kunst nicht aufhören kann, einen Kult realer Gegenwart zu feiern, hat sie im Umfeld der Medienrevolutionen einen ausgezeichneten Status, der spezielle Optionen der Beobachtung und der Teilnahme eröffnet. Museen als Suchmaschinen. Die Institutionen der Kunst stecken in einem doppelten Dilemma. Ihre Rolle und ihre Macht sind nicht geklärt und zugleich fehlen ihnen die Mittel, um sich im neuen Umfeld zu erproben. Man kann die Lage nutzen, um sich gründlich die Frage zu stellen, warum es die Institutionen gibt, wozu man sie benötigt und was sie bewirken. Sie können viel mehr leisten als nur Standortmarketing zu flankieren, national gefärbte Repräsentationsausstellungen abzufeieren oder gar einfallslose Sammlerkunst abzubilden. Als seltsame Kreuzung von Archiven, Geschichtsfabriken und Suchmaschinen hätten sie die Macht, Debatten zu entfachen und neue Modelle in einer beweglichen Kultur zu entwerfen. Schließlich taugt die Ordnung der Geschichte, unter deren Maßgabe Museen vor 200 Jahren gegründet wurden, bestens dazu, nachhaltige Entwicklungen abzubilden und Modelle jenseits des Spiele kleiner Unterschiede aufzuzeigen. Man kann nicht behaupten, daß sich keine Aufgaben stellen, dass es keine wirklichen Probleme, keine Auseinandersetzungen mehr gibt. Vielleicht sind einige Entwicklungen noch zu weit entfernt - vielleicht haben sie noch zu wenig mit jener populistischen Oberfläche allzumenschlicher Probleme zu tun, deren Lösung der Kultur oft zugemutet wird. Es galt einmal als ein Möglichkeit der Kunst, in ihrem Schein der Wirklichkeit voraus zu sein. Es gibt zwei Möglichkeiten: zu warten, bis die scheinbar entfernten Fragen sich in wirkliche Probleme verwandelt haben, oder ihnen ein Stück weit entgegen zu gehen. Das hätte immerhin den Vorteil, dass man sich auf dem richtigen Weg befindet. Aber es gibt Fallen, die diesen Weg verstellen. Gegen Distinktion! Die Distinktionsfalle verengt Kunst auf einen kurzgeschlossenen Kreislauf feiner Unterschiede. Weil Künstler sich mit ihrer je eigenen Arbeit von allen anderen unterscheiden müssen, profilieren sie sich unter Konkurrenzdruck mit winzigen Unterschieden. In der Masse bewirkt das ein Sammelsurium konturloser, privatistischer Arbeiten - eine Effekt, der den einer Welle internationaler Aufmerksamkeit beflügelten Kunststandort Berlin in besonderem Maße betrifft. Positionen größerer Aussagekraft können aus dieser Situation nur schwer erwachsen, da sich alle Beteiligten in Relation zueinander entwerten. Statt dessen mündet der Kampf, der sich bezeichnenderweise in dem Viertel mit dem vielsagenden Namen „Mitte" konzentriert, in einem Mittelmaß, das dort heimisch zu werden droht. Gegen Dekoration! In die Dekorationsfalle tappt Kunst, die sich widerstandslos gebrauchen lässt, um in einem anderen Kontext zu funktionieren. Sie wird Schmuck. Parallel zu einem konzeptuellen Begriff von Kunst wäre ein schärferer konzeptueller Begriff von Dekoration nötig. Das gilt für >Dienstleistungen an der repräsentativen Standortpolitik ebenso wie für Werke, die Ideologien oder Theorien nur illustrieren. Selbst wenn die Kunst - wie beispielsweise vieles, das aus der Clubszene übernommen wurde - keineswegs dekorativ, sondern subversiv und „wild" aussieht, entpuppt sie sich am Ausstellungsort oft als reiner Schmuck. Auch Hans Haacke gerät mit seinem Reichstagskübel gefährlich nah an ein dekoratives Verhältnis zu politischen Vorhaben, so sinnvoll sie auch sein mögen. Gegen Selbstreferenz! Die Fallen der Selbstbezüglichkeit sind zahlreich. Selbstreferenz von Kunst auf ihre eigene Geschichte mündet im ungebrochenen Glauben an das Modell der Avantgarde und die falsche Hoffnung auf eine ursprüngliche Kraft von Experimenten, Skandalen, Irritationen oder Interventionen. In ihrer unmittelbarsten Form zeigt sich Selbstbezüglichkeit in den Arbeiten, die als Kunst-Kunst verspottet werden. Ihr tieferer Sinn erschöpft sich in der Bezugnahme auf andere Kunstwerke. Ergebnis ist oft der Zuspruch ausgewiesener Kenner, die die Verweise mit Vergnügen enträtseln, und so Kunst elitäre Kultur kleiner Zirkel isolieren. Die von Christopher Williams konzipierte Ausstellung bei der Galerie Neugerriemschneider inszeniert ein solches System selbstreferenter Verweise - allerdings so, dass es die Künstler auffordert, die engen Zirkel ironisch zu brechen. Ein gewisser Grad an Selbstreferenez ist unumgänglich - in ihm erzeugt und bestätigt sich Kunst immer neu und garantiert ihren Fortbestand. Zur Falle wird Selbstreferenz erst dann, wenn sie sich selbst genügt und damit verhindert, dass Kunst auf Ereignisse jenseits ihre Betriebs reagiert. Stefan Heidenreich ---------------------------------------------------------- # rohrpost -- deutschsprachige Mailingliste fuer Medien- und Netzkultur # Info: majordomo@mikrolisten.de; msg: info rohrpost # kommerzielle Verwertung nur mit Erlaubnis der AutorInnen # Entsubskribieren: majordomo@mikrolisten.de, msg: unsubscribe rohrpost # Kontakt: owner-rohrpost@mikrolisten.de -- http://www.mikro.org/rohrpost