florian schneider on Tue, 20 Jun 2000 09:38:13 +0200 (CEST)


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[rohrpost] aktivisten treffen aktionaere (bericht)


Hauptversammlung in Turbulenzen

Aktivisten gegen die "Deportation.Class" bringen die Hauptversammlung
der Deutschen Lufthansa AG an den Rand des Chaos. 

Von Florian Schneider

Der Mann mit dem Megaphon sieht aus wie ein Pilot, der in seiner langen
Laufbahn schon viele Abenteuer erlebt hat. Einer, der auf den
Langstrecken zu Hause ist und die Airports dieser Welt wie seine
Westentasche kennt. "Wir sind heute hier, um gegen die
"Deportation.Class" zu protestieren!" bellt er den Aktionären entgegen,
die gerade die Rolltreppe zum Kongresszentrum ICC hochkommen. 

In ein paar Minuten soll hier die Hauptversammlung der Deutschen
Lufthansa AG stattfinden. Doch zuvor dürfen die Klein- und Großaktionäre
miterleben, wie es aussieht, wenn ein Schübling gefesselt und geknebelt
in einem Rollstuhl an Bord ener Lufthansa-Maschine gebracht wird. Vor
dem Eingang zum ICC hat sich ein Spalier gebildet von Demonstranten, die
Transparente mit zornigen Parolen hochhalten, adrett gekleideten
Flugblattverteilern und vermeintlichen Stewardessen, die Unterschriften
für ein Unternehmenskonzept ohne Abschiebungen namens "Fair Fly"
sammeln.

Dass die Aktionärsversammlung der Lufthansa am 16. Juni in Berlin
überschattet sein würde von Protesten, war absehbar. Seit Anfang März
ist die Fluggesellschaft mit einer Kampagne konfrontiert, die erbittert
gegen Abschiebungen auf Linienflügen kämpft. Dass das jährliche
Aktionärstreffen aber in turbulenten Szenen gipfeln und einem
kleinlauten Eingeständnis des Vorstandsvorsitzenden enden würde, dürfen
die Abschiebungsgegner getrost als grossen Erfolg verbuchen.

Schon als der Aufsichtsratsvorsitzende Klaus Schlede vor angeblich 4500
Aktionären die Hauptversammlung eröffnete, kam er nicht umhin, die
Proteste der Abschiebungsgegner ein erstes Mal zu würdigen. Er kündigte
an, die Versammlungsleitung werde es nicht dulden, wenn die
Aktionärsversammlung zu einem Forum für Asylpolitik umfunktioniert
werde. Kaum hatte Klaus Schlede den Satz beendet, da sprangen auch schon
die ersten Abschiebungsgegner im Saal auf und breiteten vor dem Podium
mehrere Transparente aus, in denen die Lufthansa "Deportation.Class"
scharf angegriffen wurde. Ein Spruchband erinnerte an Aamir Ageeb und
Kola Bankole, die beide bei Abschiebungen an Bord von Lufthansa
Maschinen umgebracht wurden. 

Handgreifliche Auseinandersetzungen im Blitzlichtgewitter der
zahlreichen Fotografen war garantiert nicht das, was die Lufthansa AG
sich erträumt hatte für ihre jährliche Hauptversammlung - das drei
Millionen Mark teure "Schaufenster des Konzerns", wie es ein Mitarbeiter
am Rande der Konferenz so treffend ausgedrückt hatte. Der öffentliche
Teil der Veranstaltung wurde in einem Live-Webcast im Internet
übertragen. Im Nachhinein wurden aber die Protestszenen
herausgeschnitten, so daß an den entsprechenden Stellen nur kurz
eingefrorene Bilder zu sehen sind.

Vorstandsvorsitzender Jürgen Weber wurde in seinem etwa einstündigen
Geschäftsbericht mehrfach mit Spruchbändern, Sprechchören und
Zwischenrufen aus dem Konzept gebracht. Die eilig einschreitenden
privaten Sicherheitskräfte brauchten jeweils mehrere Minuten, um Weber
wieder die Aufmerksamkeit der versammelten Reaktionäre zu verschaffen:
Wütende Rentner in grauen Blousons und alter Berliner
Frontstadtmentalität versäumten keine Gelegenheit, ihrem Konzern einen
Bärendienst zu erweisen und sich mit den besonnen und entschlossen
auftretenden Demonstranten zu rangeln, die sich für ihren großen
Auftritt sogar fein herausgeputzt hatten. 

Am Ende seines Geschäftsberichts ging Weber nochmals auf die seit drei
Monaten andauernde Kampagne gegen die "Deportation.Class" ein. Lufthansa
sei Opfer ungerechtfertigter Angriffe, weil das Unternehmen mittlerweile
keine Schüblinge "gegen deren erklärten Widerstand" transportiere.
Ausserdem gälte es die gesetzlich vorgeschriebene Beförderungspflicht
einzuhalten. Schon im Vorfeld der Veranstaltung hatten die Aktivisten
von "kein mensch ist illegal" darauf hingewiesen, dass solche
Erklärungen das Papier nicht wert seien, auf dem sie geschrieben
stünden. Sie fordern den unwiderruflichen Ausstieg aus dem
Abschiebungsgeschäft. Die Lufthansa sei mitverantwortlich für die
zwangsweise Verschleppung von 10.000 bis 20.000 Menschen pro Jahr und
liesse sich diese Dienste auch noch gut bezahlen. 

Nach ersten Störaktionen auf der Hauptversammlung 1999 ist die Kampagne
gegen die "Deportation.Class" in diesem Frühjahr förmlich eskaliert:
Zeitungen in Massenauflage, Plakate, perfekt gefälschte Infoblätter,
zahlreiche Aktionen vor Reisebüros und Flugschaltern, auf Messen und
Veranstaltungen, sowie eine Plattform im Wold Wide Web:
http://www.deportation-alliance.com/LH 
Im März wurde Lufthansa-Chef Jürgen Weber obendrein ein roter Farbbeutel
an der rustikalen Eingangstür zu seiner Villa plaziert.

Die Münchner Rechtsanwältin Gisela Seidler hielt Weber in der Aussprache
über den Geschäftsbericht entgegen, die vermeintlichen
Beförderungspflicht sei auf Betreiben der Lufthansa schließlich auch für
tropische Ziervögel aufgehoben worden. Seidler wollte von Weber einige
präzise Fragen beantwortet wissen: Was etwa dran sei an den
unbestätigten Informationen, die Lufthansa verhandele hinter
vershlossenen Türen längst mit dem Innenministerium über einen Ausstieg
aus der "Deportation.Class". 

Einen Schritt weiter ging der Konstanzer Internet-Forscher Reinhold
Grether, einer breiteren Öffentlichkeit besser bekannt als
"agent.NASDAQ". Grether war einer der Feldherren im "Toywar", als es
einer Massenbewegung von Internet-Aktivisten gelang, einen der größten
Internet-Händler in die Knie zu zwingen. Grether rechnete der
Unternehmensleitung vor, welchen immensen Schaden ein Konzern nehmen
könne, wenn er Zielscheibe einer intelligent organisierten Kampagne
werde. Virtuelle Protestformen, die sich darauf beschränken, das Image
der jeweiligen Marke zu verschmutzen, und darüberhinaus auch noch neue
Formen des Online-Protestes einsetzen, können auch Umsatzriesen wie die
Lufthansa in ernste Gefahr bringen. Totenstille herrschte im Saal, als
Grether seine Ausführungen mit einem großzügigen Angebot schloss: Er
könne die Lufthansa gerne einmal kostenlos beraten, falls sich die
Konzernleitung der Risiken bewusst werden wolle, auf die sie durch das
Beharren auf der "Deportation.Class" zusteuere.

Den Aktionären, die sich vor ein paar Stunden noch über 1,10 DM
Dividende pro Aktie angesichts eines lustlos vor sich hindümpelnden
Kurses freuen konnten, war der Schreck in die Glieder gefahren. Die
Versammlungsleitung verlor völlig die Fassung, als ein paar Minuten
später ein weiterer Vertreter der Kampagne "kein mensch ist illegal" ans
Rednerpult trat. Dieser konnte gerade einmal zwei Sätze sprechen, doch
sobald er den Namen des vor fast genau einem Jahr getöteten
Lufthansa-Schüblings Aamir Ageeb aussprach, verbot ihm der
Aufsichtsratsvorsitzende reichlich ungehobelt und ungehalten das Wort.
Ein ohrenbetäubendes Gejaule brach in der Aktionärsmenge aus. Die
Sicherheitskräfte, die an diesem Tag jede Menge Verdrängungsarbeit zu
erledigen hatten, stürzten sich auf den Aktvisten und schleppten ihn aus
dem Saal. 

Spätestens jetzt gab es eigentlich nurmehr ein Thema auf dieser
Hauptversammlung: Abschiebungen auf Lufthansa Linienflügen. In den
Gängen, auf den Toiletten, in den Warteschlangen vor den Ständen, an
denen sich die Aktionäre ihre Naturalien-Dividende abholen konnten - die
Deportation.Class war Gegenstand aller Gespräche und heftiger
Auseinandersetzungen. In der Einladung zur Hauptversammlung mußte die
Lufthansa bereits die Webadresse der Abschiebungsgegner veröffentlichen:
"http://www.deportation-alliance.com"; war die schlichte Begründung eines
Antrages auf Nicht-Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat, die
vierhunderttausend Mal an Anteilseigner in aller Welt verschickt wurde. 

Mit jedem Redner, der drinnen im Saal erneut auf die Protestaktionen
einging oder gegen die neuerdings Aktien haltenden Aktivisten wetterte,
verdichtete sich der Eindruck: Wenn es nicht schon längst der Fall ist,
spätestens nach dieser Hauptversammlung hat Lufthansa ein gewaltiges
Image-Problem. Ein besorgter Aktionäre brachte auf den Punkt, wofür es
zumindest an diesem Tag längst zu spät war: "Ich möchte nicht, dass am
nächsten Morgen in allen Zeitungen steht, die Lufthansa habe kein Herz". 

War es blosse Schadensbegrenzung oder bereits eine geschickt
eingeleitete Rückzugsstrategie, wenn Vorstandschef Weber am Ende der
Veranstaltung erstmals klipp und klar eingestand: "Wir werden mit dem
Innen- und dem Verkehrsministerium über eine Entbindung von der
Beförderungspflicht verhandeln." Die Aktivisten von "kein mensch ist
illegal" und der "Dachverband der Kritischen Aktionäre", die die
Proteste auf der Hauptversammlung organisiert hatten, fühlen sich durch
diese Aussage jedenfalls weiter bestätigt. 

"Um der Lufthansa AG bei ihren sicherlich schwierigen Verhandlungen mit
dem Innen- und Verkehrsministerium nachhaltige Unterstützung und
entsprechende Rückendeckung zu geben, werden wir unsere Beziehungen zu
dem Konzern durch weitere Auftritte und Besuche bei Lufthansa festigen",
hieß es auf einer tags darauf stattfindenden Konferenz der "kein mensch
ist illegal"-Aktivisten. Geplant sind Aktionen am Lufthansa Pavillon auf
der Expo und vor allem eine Intensivierung der Internet-Aktivitäten. 

Schon bald soll eine Datenbank Gruppen und Einzelpersonen
zusammenbringen, die entweder Aktionsideen mit sich herumtragen, diese
aber aufgrund mangelnder Kenntnisse, Informationen oder entprechender
Mitteln nicht alleine durchführen können, oder die über das gefragt
Know-How verfügen, aber bislang vergeblich den politischen Kontext
suchten. Eine solches Projekt nach dem Vorbild der us-amerikanischen
Aktivisten-Gruppe "RTmark" könnte der Kampagne gegen die
"Deportation.Class" eine kaum mehr zu zügelnde Dynamik verleihen.
Ausserdem steht in Kürze eine neue Generation von Skripten und
Programmen für regelrechte "Online-Demonstrationen" und höchst effektive
"Virtuelle Sit-Ins" zur Verfügung. 

Lufthansa-Chef Webers Tagträume vom unaufhaltsamen Siegeszug der neuen
Technologien mögen hierfür den entscheidenden Anstoß gegeben haben.
Schließlich plant der Konzern bis zum Jahr 2005 40 Prozent aller
Buchungen über das Internet abzuwickeln. Dass sich hier ungeahnte
Betätigungsmöglichkeiten gerade auch für konzernkritische Kreise ergeben
dürften, wird ihm wohl erst nach seiner Rede in den Sinn gekommen sein. 

Kurz bevor die Aktionärsversammlung über den Antrag, Vorstand und
Aufsichtsrat wegen der Verwicklung in das Abschiebungsgeschäft nicht zu
entlasten, abstimmte, machte Weber eine allerletzte Einlassung zum Thema
"Deportation.Class": Niemand möge bitte den an allen Flughäfen und vor
Reisebüros verteilten Werbebroschüren der "Deportation.Class" Glauben
schenken. Es handele sich um böswillige Fälschungen. 

Wie es den Anschein hat, haben diese ihren Zweck mehr als erfüllt. Daran
änderte dann auch die Abstimmungsniederlage nichts, die sich der
"Dachverband der kritischen Aktiomnäre" ganz am Ende des langen Tages
einholte: Ganze 0,19 Prozent der Stimmen votierten für den Antrag auf
Nicht-Entlasung des Vorstandes. Repräsentative Logik liegt den
Aktivisten reichlich fern. Schließlich warten wesentlich effizientere
und attraktivere Interventions-Möglichkeiten jenseits der herkömmlichen
politischen Rituale.

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