das ende der nahrungskette on 14 Sep 2000 11:43:12 -0000


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Re: [rohrpost] TOTALITARIAN INTERACTIVITY


>die berufsausbildung im klassischen sinne wird nicht 
>mehr allzu lange bestand haben. all unsere faehigkeiten
>werden in diversen softwareapplicationen aufbereitet
>sein und so wir es nur noch darum gehen, sich mit deren
>grafischen benutzeroberflaechen vertraut zu machen.
>die frage lautet also nicht - welche taetigkeit moechte
>ich spaeter einmal ausfuehren, sondern eher, fuer welches
>softwareunternehmen werde ich die restlichen jahre dienen.

mir faellt da ad hoc eine buchrezension ein, die wir fuers aktuelle
monochrom geschrieben haben. ich glaube das ist eine aehnliche problematik:

==cut==

Things and thoughts advance or grow out from the middle, and that's where
you have to get to work, that's where everything unfolds.
("On Leibniz", Gilles Deleuze)

	Es fiel uns ein Buch in die Hände. "Tales from the Tech Line". Im
Untertitel nennt es sich „Hilarious Strange-but-True Stories from the
Computer Industry’s Technical Support Hotlines" (Berkley Books, NY).  Man
könnte meinen, hier wird mit dem Finger gezeigt. Grob geschätzt war dies
auch die Intention des herausgebenden Verlags. Um billige Lacher zu
kitzeln. Böses Grinsen über die unverbesserlich Dümmlichen. Ein "Abfeiern"
an der Dämlichkeit der Nichtwisser, hämisch-esoterisches Schmunzelkabinett
der Kenner. Eine Witzesammlung für die „Gewinner" der digitalen
Zweiklassengesellschaft. "Get wired or you are toast". Sogar der
Scherz-Bereich scheint auf Produktivität getrimmt.

Aber Halt! Wechseln wir die Lesart! Diese Ludditen des Unvermögens sind der
rettende Holzschuh im Getriebe der Fortschrittsmaschinerie; der menschliche
Faktor in der Milchmädchenrechnung der Programmierer unserer Zukunft. Die
Unfähigkeit ist glorreich, die Unwissenheit ist eine wundersame
Verlangsamung, eine Schmähung der Highspeed-Prozesse unserer
kapitalistisch-technologischen Welt. Oh liebe, liebe Leute! Werte Versager!
Das Klicken eurer Keyboards ist das erosive Knarzen der Förderschnecke des
anthropophagen Fleischwolfs, den euer Wirken verschleißt. Euer "Approach" -
die Art und Weise wie ihr Computer einsetzt - bringt Konzernchefs zum
Weinen und sumblimiert den Kapitalismus durch den Einzug GROSSER GEFÜHLE
ins Topmanagement.

Das Informationszeitalter ist ein Zeitalter des permanenten
Steckenbleibens. Immer höhere Geschwindigkeit wird einverlangt. Neue
Software, neue Hardware, neue Strukturen, neue Kulturtechniken.
Lebenslanges lernen? Ja. Aber die Firma kann nicht jedes halbe Jahr die
Sekretärin feuern, weil sie die neue Word-Version nicht schnallt. Sie
können zwar ihre Keystrokes zählen, ihre Produktivität messen ... aber! Sie
werden niemals ihr Unvermögen sanktionieren können! NIE! Das Peter-Prinzip
muß auch auf die Menschheit als ganzes angewandt werden. Immer höher steigt
man auf in der Hierarchie des Lebens - bis man nicht mehr befördert wird,
weil man die Stufe seiner Inkompetenz erreicht hat - auf der man
schließlich elendiglich zugrunde gehen muß. Nur eine Verschwörung der
Dummheit, der naturgewachsenen und der künstlich und kunstvoll
geschaffenen, kann uns vor dem letzten Schritt in eine Welt bewahren, die
wir nicht mehr verstehen, weil sie sich einen Dreck um uns schert. Schier
endlose Möglichkeiten des Versagens. Diese Leute kann man nicht auslachen,
im Gegenteil. Diese Geschichten sollten als Lobpreisungen der Dissidenz
gelesen werden:

Der Mitarbeiter, der sich über die filigrane Beschaffenheit des
ausfahrbaren Teetassenhalters "24x" an seinem PC beschwert, ist der sieche
Fiebertraum des sich kurz vor dem didaktischen Durchbruch wähnenden
Manual-Autors. Und man stelle sich den Augenblick epistemologischer Panik
vor, in dem die Welt seines Chefs zerbricht, als dieser erkennen muß, daß
er mit den Entwicklungskosten für sein CD-ROM-Laufwerk besser ein schönes
Fest mit Freunden gefeiert hätte, weil sein System verhängnisvollerweise
vom menschlichen Bewußtsein, prinzipiell und biologisch determiniert, nicht
in jener Lesart wahrgenommen werden KANN, in der es von ihm vorgesehen war.
Sein Lebenswerk ist ein Teetassenhalter, und er stirbt in geistiger
Umnachtung. Und seine Firma mit ihm.

(Grenzfurthner/Hofer)

==cut==

www.monochrom.at

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