Krystian Woznicki on 11 Oct 2000 09:44:27 -0000


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[rohrpost] Warum Scheitern in der New Economy als sexy gilt


Nicht jeder liebt Free Jazz und die Simpsons!

Aram Lintzel 10.10.2000
Zwei "Kursbücher" geben Auskunft über neues Arbeiten und Wirtschaften
Die beiden beim DVA-Verlag erschienenen Reader "Neue Wirtschaft. Das 
Kursbuch für die New Economy" und "Kursbuch Arbeit. Ausstieg aus der 
Jobholder-Gesellschaft - Start in eine neue Tätigkeitskultur" verhalten 
sich zueinander wie (affirmative) Rede und (kritische) Gegenrede. Während 
das von Wolf Lotter und Christiane Sommer herausgegebene New Economy-Buch 
ein handlungs- und erfolgsorientierter "Business-Guide für die Neue 
Wirtschaft" sein will, versteht sich das von Jan Engelmann und Michael 
Wiedemeyer kompilierte "Kursbuch Arbeit" als "Hinterfragung" der "neuen 
Tätigkeitskultur".

http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/buch/8887/1.html


>______________________________________________________________________
>Kolumne: Warum Scheitern in der New Economy als sexy gilt
>Aus der FTD vom 9.10.2000
>
>Man kann alles machen, solange man nicht scheitert. Man darf
>aussteigen, ziellos sein oder auch absolut mittelmäßig. All das ist okay, nur
>scheitern darf man nicht. Die Angst vorm Scheitern ist Teil unserer
>Wirtschaftskultur. Sie ist noch tiefer in uns verwurzelt als ihr 
>Gegenstück: das
>Misstrauen gegenüber dem Erfolg. Zumindest war das früher so.
>
>Letzte Woche aß ich mit einem Headhunter zu Mittag. Das war einer,
>der sehr erfolgreich Leute aufspürt, die super für E-Jobs geeignet sind.
>"Scheitern ist kein Problem", versicherte er mir. Das sieht heutzutage im
>Lebenslauf genauso gut aus wie ein MBA-Titel von Harvard. Fast alle Leute, 
>die
>er für Top-Positionen in der New Economy vorschlägt, haben mindestens
>eine anständige Pleite hingelegt.
>
>Diese Flops sind in keiner Weise peinlich, sondern ein Zeichen von
>Reife und Erfahrung. Als Boo.com zusammenbrach, klopften die Headhunter
>nahezu zeitgleich mit den Gerichtsvollziehern an die Tür. Für die oberste
>Führungsebene von Boo diente der Flop als Trittbrett für ihre Karriere.
>
>Der Headhunter hat allen Grund, Scheitern in ein gutes Licht zu
>rücken. Wenn jeder, der sich im E-Business die Finger verbrannt hat, tabu
>wäre, hätten Personalvermittler niemanden mehr zu vermitteln. Außerdem
>wären Kandidaten schwerer von ihren Posten in der Old Economy abzuwerben,
>wenn sie überdurchschnittlich viel Angst vor einem Flop hätten.
>
>Es gibt noch andere Gründe, weswegen das Internet unsere Aversion
>gegen Flops abbaut. Zum einen versteht keiner so genau, wie die New Economy
>funktioniert. Wenn jemand darin scheitert, gilt er als Pechvogel, nicht als
>Dummkopf. Zweitens ist alles sehr kurz getaktet. In null Komma nichts
>entwickelt sich ein Projekt von der Planung über den Börsengang zum Flop. 
>Kaum
>ist der Laden pleite, sind die Leute schon wieder zu neuen Ufern
>aufgebrochen. Zudem ist es eine Altersfrage: Wer mit 22 Jahren auf die 
>Nase fällt,
>gehört noch nicht zum alten Eisen.
>
>Toleranz gegenüber dem Scheitern ist eine der besten Leistungen der
>New Economy. Aber wird sie sich ausbreiten? Wird Scheitern cool werden?
>Es gibt ermutigende Zeichen dafür. In großen Unternehmen wird viel
>darüber gesprochen, dass Fehlermachen nicht nur toleriert, sondern auch
>ermutigt werden soll. Fehler werden immer mehr als Kehrseite von Innovation
>akzeptiert: "Wer nicht wagt, der nicht gewinnt."
>
>Und weil Leute ständig ihren Arbeitsplatz wechseln, ist es einfacher,
>die Fehler unterwegs abzuschütteln - solange es die richtigen Fehler
>sind. Wegen seines Charakters gefeuert zu werden kann schick sein. Aber
>nur, wenn als Grund dafür die vom Unternehmen als übergroß empfundene
>Visionskraft oder Kreativität angegeben werden kann.
>
>Allerdings scheint an der Spitze der Old-Economy-Unternehmen der
>Trend genau in die andere Richtung zu gehen. Fehler werden weniger
>toleriert denn je. Eine große Firma zu leiten heißt, auch den Kopf 
>hinhalten zu
>müssen. Es geht hier um Glaubwürdigkeit. Wenn es schief geht - und heutzutage
>geht es früher oder später immer schief -, ist man nicht nur den Job los.
>Es ist auch schwer, wieder einen vergleichbaren Posten zu bekommen.
>
>Man kann natürlich sagen, dass so was nur fair ist. Die oberste
>Unternehmensführung bekommt schließlich unglaublich viel Geld und riskiert 
>für den Fall
>eines Flops, dass die Karriere dann beendet ist. Abgesehen davon vermitteln
>Top-Flops wie der von Jennie Page als Chefin von Euro-Disney eine Botschaft:
>Page machte Fehler, hat dafür bezahlt und vielleicht (wenn das auch sehr
>zweifelhaft ist) daraus gelernt. Wir sollten im Umgang mit Fehlern 
>vorsichtiger
>sein. Wir sollten überlegen, warum die Leute scheiterten und wie sie Erfolg
>gehabt hätten.
>
>Rückspiegel für den Schreibtisch
>
>Wenn Sie wie ich an einem rechteckigen Schreibtisch arbeiten, auf dem
>ein rechteckiger PC steht und ein rechteckiger Ablagekorb, leben Sie in
>einem Büro von gestern. Heute hat das Arbeitsumfeld tolle Kurven,
>120-Grad-Winkel, Cappuccino-Bars, Aufenthaltsräume, Möbel auf Rollen.
>
>In der letzten Ausgabe von "Fortune" ist das Bild einer modernen
>Arbeitsplatzeinheit abgebildet. Entworfen wurde sie von Ayse Birsel und 
>trägt den Namen
>"Resolve". Resolve hat ein kleines geblümtes Dach über jeder Einheit, 
>damit sie
>persönlicher und abgegrenzter wirkt. Weit und breit gibt es keinen rechten 
>Winkel.
>Außerdem bietet Resolve ein herausragendes Detail: Ein kleiner 
>Rückspiegel, in
>dem man sieht, wer sich von hinten nähert.
>
>Das ist eine tolle Lösung für ein lästiges Problem in Großraumbüros:
>Man braucht sich nicht mehr ständig umzudrehen, um zu sehen, was hinter
>einem passiert. Er ist so billig und praktisch, dass er ab sofort zur
>Standardausstattung jedes Büros gehören sollte.
>
>Dieser Artikel ist im Internet abrufbar unter der URL:
>http://www.ftd.de/tm/eb/FTDGRPZV3EC.html?nv=nl


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