Krystian Woznicki on 17 Oct 2000 09:42:28 -0000 |
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[rohrpost] Berliner Gazette, 18.10. |
Donīt try this at home! oder: "Der erratische Einzelne, der die Fesseln der Sozialitaet abstreift, kann sich Chancen auf eine Renaissance ausrechnen." "Wir gegen den Rest" lautet das Motto der von Nike Europa ausgetragenen Bezirks-Battles. 23 Berliner Bezirke beweisen sich im Rahmen dieser Veranstaltung im spielerischen und - wie die Macher meinen - phantasievollen und kreativen Nahkampf. Noch bis zum Ende diesen Monats werden die Metallkaefige der Hauptstadt zu Buehnen fuer eine physische Auseinandersetzung um Werte. Es gilt die Ehre des jeweiligen Bezirks zu verteidigen. Deshalb wirkt das Ganze auch ein bisschen wie Gang War. Die Plakate mit so behelligenden Slogans wie "Seid Ihr aus Berlin oder aus Zucker" verhaerten diesen Eindruck, schliesslich sind die derzeit noch omnipraesenten Grafiks ganz im Stile japanischer Streetfighter-Comics gehalten. Macho-Posen, Halbstarkengetue, rebellische Fingerzeichen. Ganz hart muss man drauf sein, um hier dabei zu sein so suggeriert es der Art Director. Die Farben verschwimmen konturenlos. In morastigen, grobschlaechtigen und zugleich wuchtigen Arrangements nimmt die Grossstadt als Dschungel erneut Gestalt an. Gelb, Gruen und Schwarz fliessen in den post-ideologischen Sumpf einer vietnamgeschulten Elterngeneration von Heldenvaetern und Muettern. Regenwald, tropische Krankheiten, Mosquitos, Vietkong-Trauma. In saftigen, werbekompatibelen Manga-Bitsīn Pieces kommt es nun auf Berliner Strassen. Terminator [i]und[i] Rambo hiess es. Zurecht schieben wir heute ein "oder" zwischen die blutigen Anfuehrungsstriche, die diese 80er Monumente des Actionkinos von einander trennen. Oder besser noch: vs. Schliesslich ist die stumpfe Killermaschine irgendwie kaum von Belang. Dagegen der erfinderische, ja geradezu kreative Rambo - eine Figur, von der die Nike-Kampagne zehrt, auch wenn sie das Comeback des Einzelkaempfers im Rahmen des Teams inszeniert. Ohne Waffen, mit selbstgebastelten Fallen und einer schier endlosen Palette von Tricks bewegt sich der Held durch unzumutbare Topographien. Doch nehmen wir einen anderen Prototypen mal unter die Lupe: Zwischen 1968 und 1973 studierte MacGyver Physik und schloss mit Erfolg ab. Es ist unklar, wann er nach Vietnam eingezogen wurde, sicher ist, dass er dort in einem Bombenentschaerfungskommando diente. Die Phoenix Foundation, fuer die er spaeter als Spezialagent arbeitet, ist eine ominoese Organisation, vermutlich ein Ableger des US-Geheimdienstes. Ihre Finanzierungsquellen bleiben unbekannt, in den Augen der Mitarbeiter gilt sie als DENKFABRIK. Die Wohnorte unseres Helden sind Stationen einer quasi-biblischen Metamorphose. Zunaechst lebt er in einem Planetarium in San Francisco, kurze Zeit spaeter geht er nach L.A. um dort in einen Elektronikladen zu ziehen, dann wohnt er auf einem Hausboot. Am Ende der zwischen 1985 und 1992 auf ABC ausgestrahlten TV-Serie bezieht er eine Wohnung ueber einer Garage. Er ist Nichtraucher, Anti-Alkoholiker und wird im Laufe der Serie vermutlich zum Vegetarier. Da er Pistolen verabscheut, kaempft er ohne Waffen. Seine Faeuste, aber vor allem sein brillianter Verstand befreien ihn in Krisensituationen. Lieblingswerkzeug ist ein Schweizer Taschenmesser. Das Stichwort liegt jetzt auf der Hand: McGyverismus. Dinge zweckentfremdet zu verwenden, Probleme mit ganz unkonventionellen Mitteln zu loesen das ist sein Markenzeichen. Alle Tricks, die er vorfuehrt (z.B. bastelt er eine Bombe aus Blumenerde, Pflanzenfasern und Oel) funktionieren auch tatsaechlich und sind fuer den alternativen Chemie und Pysikunterricht ein glaenzendes Vorbild! Damit z.B. Sprengkoerper von Kindern nicht nachgebaut werden konnten, hat man stets wichtige Bestandteile beim Versuchsaufbau weggelassen: Donīt try this at home! , muss sich auch Nike-CEO Phil Knight gedacht haben, als er begann seine Sneaker-Fabriken nach Asien auszulagern... 1. http://www.saigon.com/nike/fact-sheet.htm 2. http://www.nikebiz.com/invest/ar_00/asia.shtml 3. http://worldbody.nike.com/2000/ 4. http://www.nike.co.jp/store/fact/index.html 5. http://www.cnn.com/ASIANOW/ Fuer die kommenden Tage sind folgende Termine in Deinen Kalender aufzunehmen: Do - 19.10. V o r t r a g : Gaerten sind heute multimediale Ereignisse, zum Teil simulierte Naturabbildungen, quasi-rhetorische Konzepte, auch Gegenueber eines staedtischen/zivilisatorischen Systems, die ueber die Medien Film und Video in eine neue computergenerierte Bildwelt Eingang finden. Sie stehen als Kunstorte den traditionellen, kunstvermittelnden Instanzen, den Museen und Ausstellungsraeumen gegenueber. Gaerten unterscheiden sich maßgeblich von anderen Orten und Schauplaetzen von Kunst. Ein Garten ist sowohl dreidimensionales Kunstobjekt als auch der nichtinstitutionalisierte Ort seiner eigenen Vermittlung, er ist Denkmodell und kuenstlerisches Produkt und beweist damit seine Autonomie. Wird er so zu einem Alternativmodell kuenstlerischer Selbstvermittlung aesthetischer und gesellschaftspolitischer Inhalte? Ort: HdK, Raum 310, Hardenbergstrasse 33, 20:15 Uhr. Sa - 21.10. W o r k s h o p : Der Medienbereich reagiert auf die Globalisierung und neue Technologien mit Megafusionen und Startups der New Economy. Eine neue Weltinformationsordnung bildet sich heraus, die die Gesellschaften spaltet. Das hat gravierende Folgen fuer Meinungsfreiheit, kulturelle Vielfalt und die Chancen alternativer Medien. Diskutiert werden sollen die Moeglichkeiten politischer Regulierung und Gegenmacht. Beispiele dafuer sind die Auseinandersetzung um die Fusion von AOL/Time Warner auf der einen Seite und die freie Software Linux als moegliche Keimform einer neuen Produktionsweise auf der anderen Seite. Mit u.a.Horst Roeper (Formatt-Institut Dortmund), Heinrich Bleicher-Nagelsmann (IG Medien Stuttgart), Stefan Meretz (Kritische Informatik, Gewerkschaft HBV, Duesseldorf), Andy Mueller-Maguhn (Chaos Computer Club, Berlin). Info: [http://www.volksuni-berlin.de/akverpr.html] und [http://www.critics.de/volksuni.pdf] Ort: Haus der Demokratie, Greifswalder Str. 4, 12 bis 16 Uhr. Mi - 25.10. V e r n i s s a g e : Zum Aktionsradius der Herren-Damen Zweigstelle Berlin gehoert eine ganze Menge: Haircut Performances (nicht gerade billig), Gangster - Movies (so kommt Ihr uns nicht davon), Garage Sales (alles auf eine Karte setzen) und Superball events coming up, alles mit viel Sinn fuers familiaere. Kunst ist auch ein Thema: Diesmal praesentieren die Macher the infamous Fuck Barbie Fotos, ein Jahr puren Trashs. Ort: Herren Damen, Libauerstr.23, 21 Uhr. Bis naechste Woche, Krystian Woznicki mailto:krystian@snafu.de PS: Das European Media Art Festival [http://www.emaf.de] in Osnabrueck ist eine der groessten Veranstaltungen fuer den Bereich der visuellen bewegten Medien. Mit seiner Ausstellung, den Retrospektiven, Kuenstlerportraits, Performances, Seminaren und dem Electronic Café bietet das Festival alljaehrlich einen umfassenden Ueberblick auf die internationale Medienkunst. Wie in jedem Jahr wurden herausragende und richtungsweisende Arbeiten aus dem Festivalprogramm zu einer Tour [http://www.emaf.de/tour] zusammengestellt, die in einem Film- und einem Videopaket praesentiert werden. Die Veranstalter suchen noch nach weiteren Kinos, die sich an der Tour beteiligen wollen. 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