Krystian Woznicki on 5 Dec 2000 12:29:01 -0000 |
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[rohrpost] Berliner Gazette, 06.12. |
Slow Fairs oder: >>Die Start-Up Messen der Neuen Mitte im rasanten Fegefeuer der Eitelkeiten<<. [ ] E-Glosse: Oliver Baer, Marketing Berater [1] Im Grunde ist Marketing einfach. Wir schluepfen in die Haut von Melissa Meisegeier, wir erfuehlen ihr Herz, wir durchwandern ihr Hirn. Dort finden wir allerlei, womit wir nichts anfangen koennen, und was uns einen feuchten Staub angeht. Aber, wir stossen auch auf Melissas stetes Sehnen nach Ablenkung. Da kennen wir uns aus, lassen uns selber sogleich verwirren und wenn wir wieder auftauchen aus ihrer Innenwelt, rufen wir >>Aha,<< und indem wir unser Mitleid kuehn unterdruecken, wiederholen wir sicherheitshalber >>Aha,<< und schliessen messerscharf: >>Melissa wuenscht die volle Droehnung! Wir werden sie zu einer Party einladen.<< Naemlich auf der naechsten Messe. So weit, so gut. Nun koennten wir ja nett zu ihr sein, sie mit Cola beschenken, CD-foermige Proebchen in ihre feuchten Haende druecken, ihre Adresse in unser Buechlein malen und geruehrt in ihre dankbaren Augen blicken, wenn der Computer >>Melissa, Du bist wundervoll<< aus allen Whoofers und Tweaters haucht. Pustekuchen. Melissa Meisegeier gibt es nicht. Nicht fuer uns Marketingleute, wir kennen die Zielgruppe M., sprich die 58.324 weiblichen Singles, die so sind wie Melissa. Und die machen wir zur Schnecke. Sorry, wir stimulieren ihre Markentreue, man kommt ja sowas von durcheinander. Sobald sich die Melissengeister auf unseren Stand verirren, werden sie angebruellt: Hallo, Ihr bloeden Weiber, schon den geilen Sound von Honko dem Stinker reingezogen? Hier ist er, voll aufgedreht. Taub seid Ihr ja schon, von dem Krach, den ich hier mach. Die Smarten unter uns mischen derweil auf dem Podium mit. Da wird nicht gebruellt. Da erzaehlt Jeder, was er fuer ein tolles Kerlchen ist, bekundet seine Bereitschaft zum Dialog, und wenn er mit seinen Schmonzes fertig ist, geht schon die Diskussionszeit zu Ende, leider leider, es folgt noch das Statement von - nun ja, noch so einem Clown. So sehen die Messen aus: Viel Schote, wenig Erbse. Und das war's. Eigentlich redet jeder mit sich selbst, man fragt sich nur, warum er sich nicht an den Rasierspiegel haelt: >>Wer ist der Schoenste im ganzen Land?<< Dabei waere es einfach: Machen wir eine Messe der Milde. Schaffen wir Inseln der Ruhe [3], wo sich beim Reden der Geist oeffnet: So schoen kann Zuhoeren sein! Weil die Stille schwebt, darin viel Raum fuer die Musse lebt: >>Ja, das koennte mir was nuetzen. Das koennte mir sogar gefallen. Sehen Sie, ich mag allerdings nur 1000 Mark ausgeben, was nun?<< Und der Anbieter kratzt sich am Kopf: >>Doch, das biegen wir hin. Wollen wir uns mal hinsetzen?<< So waren Messen, jahrhundertelang [4]. Man sprach miteinander, man knuepfte Netze, man freute sich auf das naechste Jahr. Es gab viel zu bereden und noch mehr zu behoeren. Und Geschaefte wurden gemacht, Verbindungen angebahnt, Freundschaften, sogar Ehen. Dazu gehoert wenig. In allen Hallen herrscht Ruh, auf allen Staenden spuerest Du ... den Menschen, wie er ist. Das waere schoen, nuetzlich, sinnvoll, wuerde Kosten sparen, Ertraege versprechen. Nur die Krachmacher, die sperren wir in eine andere Halle, manche koennen ja nicht anders. Aber Tuer zu, bitte! Was Slow Food fuer den Gaumen, waere Slow Fair fuer das Business. Ob ein Veranstalter den Mut aufbringt, diese Luecke im Markt zu fuellen? Sie werden's nicht tun, denn vor der Stille fuerchten Sie sich. 1. http://www.baerentatze.de 2. http://www.you.de 3. http://www.ampersand-lounge.com/ 4. http://www.inlink.com/~terryl/ Fuer die kommenden Tage sind folgende Termine in Deinen Kalender aufzunehmen: Di - 05.12. L e s u n g : Jim Avignon is in the house mit DJ Philip und seinem neusten Werk >TV made me to it<. Jim Avignon ist Neoangin. Jim Avignon ist Kunst. Sein Buch "TV made me do it" ist in diesem Herbst erschienen [http://www.verbrecherei.de]. Dies ist eine Party. Viel, voll, gut. "Jim Avignon is the Andy Warhol of contemporary Berlin." [Dazed & Confused] Ort: Kaffee Burger, Torstrasse 60, ab 21.30 Uhr. Mi - 06.12. P o d i u m : >Hat es in der DDR ueberhaupt Architekten gegeben?< Diese wiederholt gestellte Frage beantwortet eine Publikation, die in der Schriftenreihe des Instituts fuer Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS), Erkner, erscheint. Auf der Grundlage eines Forschungsprojektes, an dem das Institut und die Universitaet Leibzig, Institut fuer Kunstgeschichte, beteiligt waren, sind erstmalig die Biografien von 202 Architekten, Stadtplanern, Landschaftsarchitekten und Innenarchitekten aus der DDR erfasst. Ueber hundert Abbildungen illustrieren die Publikation zum aktuellen Stand der Forschung der DDR-Baugeschichte. Im Anschluss an die Praesentation gibt es Gespraeche mit der Autorengruppe um Holger Barth und Thomas Topfstedt. Ort: Deutsches Architektur Zentrum [http://www.daz.de], Koepenickerstr. 48/49, 18.30 Uhr. Do - 07.12. V e r n i s s a g e : Die zweite Auflage der Ausstellungsreihe >ticker< hat weiterhin zum Ziel, den anderthalb monatigen Programmrhytmus der Galerie zu unterbrechen, um einen Freiraum fuer kurze Praesentationen kuenstlerischer Positionen zu schaffen, die weitestgehend abseits der Galerieszene entstanden sind und gezeigt wurden. Waehrend eines Zeitraums von vier Wochen werden woechentlich zwei bis drei parallel laufende Einzelpraesentationen von insgesamt elf jungen ueberwiegend in Berlin lebenden KuenstlerInnen/Kuenstlerkollektiven vorgestellt. Ort: Galerie Gebauer, Torstr. 220, 18-21 Uhr. Bis naechste Woche, Krystian Woznicki mailto:krystian@snafu.de PS: Dass das Internet nicht aus immateriellen Datenstroemen besteht, wissen Netzbewohner mindestens seit der Erfindung des World Wide Web. Gerade eben noch in der Shoppingmeile [1] gewesen, besichtige ich nun Kleinstaedte im Schwarzwald [2] um mich einen Click weiter in der Waerme virtueller Privatheit zu entspannen [3]: >>Das Berliner Zimmer ist die Bezeichnung fuer ein in aelteren Berliner Mietshaeusern ueblicherweise sehr langes, wenig beleuchtetes Zimmer, das Durchgangsraum zum Wohnungsteil im Seitenfluegel ist...<< Seit nunmehr zwei Jahren laden Frau Ortmann und Herr Peter die Netzoeffentlichkeit in ihren Salon zu literarischen Veranstaltungen ein. In postmodernen Zeiten kommen Besucher selbstverstaendlich nicht kraft ihrer gesamten Persoenlichkeit sondern eben pixelweise. >Mein Pixel-Ich< laedt Gaeste ein, ihre fragmentierten Gedanken zum Tag zu hinterlassen. Das seit 387 Tagen laufende Projekt [4] ist demnaechst als Anthologie im Buchandel erhaeltlich und laedt nach wie vor zum Mitschreiben ein. 1. http://www.wallyssupermarkets.com/greta.gif 2. http://www.dreisamtal.de/Kirchzarten.htm 3. http://www.berlinerzimmer.de/tagebau/default.shtml 4. http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/on/4247/1.html [ ] Impressum Berliner Gazette - das woechentliche Mini-Feuilleton im elektronischen Briefformat, wird von http://www.kulturserver.de herausgegeben [ ] Redaktion Berliner Gazette Penelope Grabowski Ulrike Rogler Anne Schreiber Krystian Woznicki (V.i.S.d.P.) 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