Krystian Woznicki on 12 Dec 2000 20:32:11 -0000 |
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[rohrpost] Berliner Gazette, 13.12. |
Bei unserer Messe sitzen Sie immer in der ersten Reihe oder: >>Fidel Castro laesst seine Reden niemals live im Fernsehen uebertragen - es koennte ja was Unvorhergesehenes passieren...<< [ ] Vision: Klaas Glenewinkel, Medienproduzent [1] Stellen wir uns folgendes Szenario vor: Alles ist wie immer. Internationale ReferentInnen diskutieren ueber Gen-Patente. Was anders ist: Ich sitze mit anderen ZuschauerInnnen in einem Raum und verfolge das Geschehen ueber Monitore und Videoleinwaende AUSSERHALB des Konferenz-Raumes. Waehrend das Bildsignal das Fenster zum Container der Redner ist, gleicht die Stimmung einer intensiven Gespraechsrunde in einem Kaminzimmer: Spezialisten wurden eingeladen, doch sitzen sie nicht auf der Buehne und predigen das Evangelium ihrer Institutionen; sie sind aufgefordert zu arbeiten. Stichwort: Brainstorming, Debatte, Streit. Psychoporno: die Gedanken liegen blank. Der Moderator vermittelt. Ergebnisse werden erwartet. Das Ganze hat Workshop-Charakter. Und Big Brother is watching. Neu klingt das nicht: Der Bundestag tagt [2] im transparenten Kuppelsaal, das Volk sieht vorort den PolitikerInnen ueber die Schultern oder verfolgt es eben im Phoenix Fernsehen. Das Los Angeles Police Department uebertraegt Polizeifunk im Internet [3]. Im Zuge der Neighbourhood-Watch-Offensive sind auch mediale Denunzianten-Interaktionen zugelassen: Das Ende der Gewalt? William Forsythe sperrt seine Taenzer ein und wechselt die Augen der Zuschauer mit Kameras aus: Nennen wir es Tele-Ballett. Dann guckt mich ploetzlich Patricia [4] an, sie hat sich mit ihrer japanischen Lesbo-Lehrerin Mitsuko in meinem 80er Jahre Bildtelefon eingerichtet und wartet vergeblich auf kostenpflichtige Befehle. Letztendlich verscheuche ich sie damit, dass ich ihr das Passwort zu DaimlerChryslers Teleconferencing-Server verrate. Diese Big-Brother-Technologien liessen sich allerdings auch bestens fuer oeffentliche Konferenzen mobilisieren. Dabei geht es in erster Linie gar nicht darum, dass ZuschauerInnen und ReferentInnen aus fernen Laendern teilnehmen koennten. Im Grunde kann das Modell auch in einem Dorf erprobt werden, in dem die Gemeinde an einer Ratssitzung teilnehmen soll. Denn der Punkt ist: Einblick in Arbeitssituationen und Diskussionsprozesse von EntscheidungstraegerInnen unter Ausschluss der Oeffentlichkeit. Zumindest auf physischer Ebene. Warum? Normalerweise beschraenkt sich die Vermittlung von Fachwissen bei Messen und Festivals auf die Vermarktung von Ideen, Buechern und Firmenphilosophien. Es ist ein Download von Monologen in Form von vorverdauten Wissenspaketen. Waehrend das Expertenwissen auf uns nieder strahlt, mutieren die Buehnenvisionaere zu seltsamen PredigerInnen. Fastforward leider nicht moeglich. Um etwas wirklich Neues entstehen zu lassen, sollten die ReferentInnen in oeffentlich nicht zugaengige Raeume fuer eine dem jeweiligen Thema angemessene Dauer eingeschlossen werden, um sich unter Ausschluss der Oeffentlichkeit die Koepfe einzuschlagen. Sie waeren unter sich (Stichwort: Gespraechskultur) und koennten im intimen Rahmen verhandeln und debattieren. An die Kameras haette man sich schnell gewoehnt, genauso wie an die megahellen Spotlights. Isoliert, aber doch nicht gaenzlich von der Aussenwelt abgeschnitten, waere Zuschauer-Interaktion via entry points moeglich. Konkretes Experiment: Matthias Foerster und das Kuratorenteam Horten [5] versammeln am 19.12. um 19 Uhr fuer das Kunstprojekt >TitelTitel< ca. 15 Kuenstler, einen Journalisten und eine Kuratorin zu einer Diskussion in einen leergeraeumten Konferenzraum der Firma Vitra im Duesseldorfer Medien-Hafen. Dieses Szenario wird mit einer Kamera aufgezeichnet und live in einen anderen Raum uebertragen, wo sich ZuschauerInnen am Stadttor bei der Firma Regus eingefunden haben. Es koennte ja was Unvorhergesehenes passieren... 1. mailto:klaas@kulturserver.de 2. http://www.pressekonferenz.de 3. http://www.lapd.com/2000/radio.html 4. http://www.frauenwg.de 5. mailto:hortenduss@aol.com Fuer die kommenden Tage sind folgende Termine in Deinen Kalender aufzunehmen: Mi - 13.12. S c r e e n i n g : Hito Steyerls Film >>Die Leere Mitte<< ist Dokumentation und Essay, er vereint Bilder und Situationen von 1990 bis 1997, anhand von eingeblendeten Interviews mit neuen Bewohnern, gefilmten Demonstrationen etc.. In diesem Abriss,wie die Filmemacherin ihre Demontage nennt, steht nicht nur die neue Mitte im Zentrum, sondern die uebervolle und historisch kontaminierte Mitte. >>Normalitaet 1-8<< besteht aus kurzen filmischen Statements zu aktuellen rechtsradikalen Uebergriffen in Deutschland und Oesterreich. Im Anschluss an die Filmvorfuehrung findet eine Diskussion mit der Filmemacherin statt. Ort: HdK, Hardenbergstrasse 33, Raum 158, 19.30.Uhr. Do - 14.12. P e r f o r m a n c e : Zum Zwecke der Dienstleistung an der Kunst und der Legitimierung ihres Hintergrundrauschens unter Berliner Bedingungen haben sich etliche prominente Kuenstler, Kuratoren und Berliner Galeristen zusammengefunden, um den Widerspruch zwischen Haben und Nicht-Haben in der schoenen Welt rein sportlicher Leistungsrechte auszukegeln: Besserwisser, naseweise Neugierige, Regelbeuger, von Muskelschwund geplagte Popsozialisten und Parteigaenger energieverschleudernder Koerperpolitik sind als trinkfeste Staffagefiguren im artistischen Trottelkabinett herzlich willkommen. Ort: DAPOS Bowling, Revaler Str. 33, 18 bis 21 Uhr. So - 17.12. K o n z e r t : Es gibt Musik, die ist wie ein Regal: Links und rechts eine Vertikale, welche mehreren Horizontalen als Halterung dienen. Darauf lassen sich dann beliebig viele >Attraktionen< verteilen; Sounds, die darueber, darunter oder irgendwie daneben sind. - Viel Tiefe ist nicht moeglich, auch nicht, wenn es sich bei dem Moebel um das Modell >Jazz< handelt... Der neue Tontraeger von PALOMA ist kein Regal!- Wollte man im Bild der akkustischen Innenarchitektur bleiben, koennte es sich um ein Aquarium handeln, welches sich schon beim Hoeren des ersten Tracks als so deep erweist, dass der eine oder andere Tauchgang moeglich wird.- Ja! Es handelt sich um ein gut beleuchtetes Suesswasseraquarium von der Groesse meines Wohnzimmers, bewohnt von einem guten Dutzend >>Neons<<, einem Krallenfrosch und einer grossen Anzahl von >>Neuformen<<, die genauso sein muessen, wie sie da vorkommen (Andy Warhol z.B.)... Ort: Maria am Ostbahnhof, Strasse der Pariser Kommune 8-10, 22 Uhr. Bis naechste Woche, Krystian Woznicki mailto:krystian@snafu.de PS: Big Brother is watching you... Der deutsche Bundestag hat ein neues Diskussionsforum im Internet. Thema ist ein vom nordrhein-westfaelischen Innenminister Dr. Fritz Behrens gefordertes neues Bundesdatenschutzgesetz, welches u.a. die Ueberwachung von oeffentlichen Strassen und Plaetzen mit Hilfe von Videokameras erleichtern soll. Zur Diskussion steht die Frage, ob eine Videoueberwachung einen Schutz fuer den Buerger vor Kriminalitaet darstellt oder ob es sich hierbei nicht vielmehr um eine Bedrohung der Privatsphaere handelt. Die Internet-Redaktion des Deutschen Bundestages laedt ein, an diesem Forum [http://www.bundestag.de/forum/index.htm] teilzunehmen. Fuer Rueckfragen steht ausserdem die Moderatorin des Forums, Claudia Krueger [mailto:Claudia.Krueger@bundestag.de], zur Verfuegung. 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