Peter C. Krell on 15 Dec 2000 22:55:34 -0000


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[rohrpost] (fwd) -__- a vibrant cubistic infospace !!!


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- -----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Peter C. Krell [mailto:peter.krell@4content.de]
Gesendet: Freitag, 8. Dezember 2000 17:33
An: ab@transmediale.de
Betreff: a vibrant cubistic info-space


Liebe Susanne, Lieber Andreas,

vielen Dank fuer Eure Mail.

Ich kann verstehen, dass Ihr zur Zeit sehr im Stress seid.

Daher will ich mich kurz fassen.

Nun, was hat der von mir geplante Workshop oder Beitrag zum Festival
Transmediale 2001 mit Medienkunst zu tun und wie laesst sich so etwas in das
Programm mit einbinden.

Das sind, glaube ich, Eure beiden wesentlichen Fragen im Bezug auf den von
mir angebotenen Themenkreis.

_-______-_______-______

Ich denke, es koennte strategisch guenstig sein, innerhalb des diesjaehrigen
Festivals einen Beitrag zum Thema der Verclusterung in crossmedialen,
technologisch augemntierten Diskursen zu bringen. Die Kuenste als Diszplinen
immer im Randbereich des Rationalen lokalisiert, haben schon versucht, das
un-hörbare, das un-sichtbare, das un-abbildbare abzubilden, darzustellen,
anderen Menschen zu vergegenwaertigen. Das Unabbildbare ist so zu einem
Strategem der Wahrnehmung geworden im Diskurs der Kunst.
Im Zuge der globalen Vernetzung von kommunikationsaugmentierenden,
technischen Medien haben sich die Voraussetzungen verbessert, das
Unabbildbare zu approximieren (vgl. dazu "la différance" von Derrida).
Die gewonnen Daten und Forschungsergebnisse lassen sich nur muehsam
verwalten. In der Praxis sind wir an einem Punkt angelangt, wo die
bisherigen Medien und die Lebenszeit von Menschen nicht mehr ausreichen,
einen einzigen Aspekt des menschlichen Lebens in all seinem komplexen
Rasterbezuegen auch nur annaehernd zu verstehen. Vielleicht tut dies auch
nicht not. Die Daten werden also gefiltert.
Beim Prozess der Filterung entstehen neue Produkte von Informationen.
Ihrerseits, Derivate von technischen Maschinen und Messinstrumenten.
Die Informationen, die uebermittelt werden koennen, beziehen sich immer auf
eine
Erwartungshaltung eines imaginierten Rezipienten und dessen Umfeld. Dieses
ist dem herrschenden Vorurteil nach in seiner angeblichen empirischen
Domestizierung ein mediales Apriori unserer Gesellschaft und laesst sich nur
vor einem medientechnisch herausgebildeten Erfahrungshorizontes vorstellen,
in monofurkaler, monodirektionaler Tradition. Dabei koenne man sich nur sehr
schlecht auf mehrere Informationsangebote zeitgleich konzentrieren. Dabei
kann ich beim Radiohoeren auch E-Mails lesen, waehrend ich mich im
kommunikativen Kontext mit anwesenden Mitmenschen befinde und hin und wieder
auf einen Monitor einen Blick werfe. Ich kann auch mit mehreren Menschen
gleichzeitig sprechen und auf sie eingehen. etc. Realitaet an sich ist ihrem
Wesen anch multimedial.

Worauf ich abheben moechte:
- - Portabele Informationstechnologien werden immer kleiner, vielseitig
anwendbarer, guenstiger und dadurch auch verfuegbarer. Eine mobile next
Generation wird marketingtechnisch herangezuechtet. Sie entwickeln ihr
eigenes Konzept einer medientechnisch augmentierten Realitaet, die sich von
derjenigen der Videokunst unterscheidet.
- - Es kommt zu einem medientechnisch evozierten Paradigmenwechsel im
zwischenmenschlichen, kommunikativen Umgang. Dies aessert sich auch im
Jargon des Alltags.
- - Wissensvermittlungsstrategien verfolgen, seit Aristoteles immer ein Ziel:
sie wollen informieren und zwar zum Nutzen des Informierenden, ohne dass die
diskursbedingenden Techniken dabei wesentlich in Erscheinung treten sollen.
Seit nun mehr hundert Jahren werden im Film und seit ueber fuenfzig Jahren
im Fernsehen immer wieder Dramaturgien umgesetzt, die sich auf Texte
zuruecklesen lassen.
- - So wie einst ein Rapsode, kann bei einem Vortrag immer nur ein einziger
Redner zur Zeit sprechen, sonst wird es unverstaendlich. Wenn aber
zeitgleich emails versendet werden und ein Publikum also in Realtime eine
Feedback-Funktion hat zum Sprecher erweitert sich der Kontext in dem Moment,
in dem ich die gesendeten Nachrichten auf einem Bildschirm projiziere.
Darauf koennen ebenfalls wiederum Menschen reagieren, ihre Feedbacks koennen
in einem groesseren Kontext projiziert werden, etc. Zusaetzlich koennen
Toene (von Handys etc.) zur nonverbalen Kommunikation, beim Zitieren einer
Melodie etc. in einen kommunikativen Kontext implementiert werden.
Dadurch veraendert sich das Sprechen, aber auch die Moeglichkeit darueber zu
sprechen.
- - Aber auch auf Seiten der Sender veraendert sich etwas. Martin Burkhardt
erzaehlte bei der letzten Interface5, dass er sich ein Interface ueberlegt
habe, das unter benutzung von Spracherkennungssoftware sprachgesteuert
Makros triggert, die ihrerseits wiederum Bilder, Toene, Videos, etc. sein
koennten.
Beim Erzählen einer Geschichte also, koennten aus verschiedenen Ebenen
Erzaehlvorgaenge ausgeloest werden. Ein filmischer Stoff muss nicht mehr
zwangslaeufig nur innerhalb eines einzigen Carrés inszeniert werden.
- - Dies erfordert neue Dramaturgien. Die Geschichte ist am Ende. An die
Stelle der heutigen Medien tritt ein zeitloses Netz in ubiquitaerer
Ausbreitung mit neuen Interfaces. Augmented Reality wird sich ueber den
Erdball ausbreiten und neue Formen des zwischenmenschlichen Erlebens
zeitigen. Dies wird zu neuen Koerperbildern und - verstaendnissen aber auch
zu voellig neuen dramaturgischen Konzeptionen fuehren.
Oder vielleicht auch zu etwas ganz anderem.
- - Die Vermultiplexung der Sende- und Feedback Ebenen kann zielgerichtet
gelenkt und zur Generierung neuer effizeinterer Wissensvermittlungssysteme
innerhalb ihrer globalen Vernetzung genutzt werden.
Dies zu vermitteln ist mein Anliegen.

Dazu sollen neu entwickelte Interfaces, Softwaretools und die medialen
Wurzeln der Entwicklung entwicklungsgeschichtlich vorgestellt werden,
nichtzuletzt, um KuenstlerInnen zum kritischen Denken der technologischen
Diemensionen und Grenzen unserer globalen Kultur anzuregen.

Die mit dieser Konzeption verbundene konzeptionelle Blindheit gegenueber der
eigenen Blindheit halte ich in ihrer utopischen Hoffung auf einen Erhalt von
demokratischer Kultur und den damit verbundenen Werten, neben den von Paul
Garrin immer wieder unternommenen Versuchen, innerhalb eines kommenden
medialen Ueberwachungsstaates noch subversive Freiraeume sich zuerhalten,
fuer durchaus ueberbrueckbar. Aber auch nur dann, wenn man sie wie bei
dieser hiervorliegenden Approximationen der Realitaet, selbst thematisiert.

Picasso forderte vom Kubismus nicht, dass er jenseits seiner Koerperlichkeit
als eine reine "formale Sprache" verstanden werden solle. Er beschrieb
vielmehr eine mathematische Figur. Dieses Denkkonstrukt ist von Duchamp
dynamisiert worden.
Ich glaube, dass es an der Zeit ist, sich im 21. Jahrhundert vom Zeitalter
der monofurkalen Perspektivizitaet in allen Medien zugunsten von
verclusterten Multistreams zu distanzieren und von jeglicher Betrachtung
Abstand zu nehmen, besonders, wenn sie in Textform verfasst ist. Ganz im
Sinne von Heidegger sind unsere Konfigurationen des Denkens in ihrer
Zeitlichkeit zu jedem Zeitpunkt ihrer medientechnischen Manifestation
ueberholbar, evaluativ opperativ optimierbar und dennoch brauchen wir zu
unserer Verstaendigung Redundanzen (z.B. sind Koerperbezuege beim
Formulieren von mathematischen Theoremen schwerer Herzustellen als in
Sprache).

Unsere Kinder (und Geisteskinder) werden einmal zu jedem Zeitpunkt ihres
Lebens viel mehr Wissen verwalten, als wir uns jetzt noch vorstellen
koennen.

___-_-_-_-_-_________

Mein Beitrag moechte sich als Hinweis auf diese Problematik verstehen,
gewissermaßen die Initiative ergreifen, in dem das Wort den Medien selbst
erteilt wird, er moechte sich als ein Referat innerhalb einer
anderthalbstuendigen Veranstaltung zu diesen Themenbreich ausnehmen und
Meinungen von Entwicklern und Machern zu diesem Thema zum Fließen zu
bringen.
Ob dies schon medientechnisch so aufwendig, in der von mir hier
vorgestellten Art und Weise sein muss, beweist diese E-Mail:
es muss nicht sein.
Denn dieses Sprachmedium ist schon eine tolle Sache, aber selbst wenn sie
Gott gegeben ist, sie ist in einem globalen Kontext nicht immer sehr
konfortabel. Zumindest nicht um damit metaphysische Wahrheiten und Emotionen
auszudruecken innerhalb eines technisch dominierten Herrschaftsapparates.
Vielleicht liesse sich dies ja aendern.

Schoenen Gruss
Peter Krell



------- End of Forwarded Message




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