florian schneider on 9 Jan 2001 22:18:17 -0000


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[rohrpost] spam


[aufgrund verschiedentlicher nachfrage hier der text aus der
linksverkehr kolumne erschienen in der sz von gestern mit 
ein paar links versehen /fls]

http://www.linksverkehr.net

ALLES GUTE AUS DER DOSE

Was den Münchnern die Weißwurst, ist den Amerikanern das
Frühstücksfleisch: Ein kulinarischer Mythos, der für
Aussenstehende pedantisch wirkende Auseinandersetzungen nach
sich zieht, wie zum Beispiel, ob die rosa Fleischmasse
besser zu schneiden oder würfeln wäre. 1937, nur kurze Zeit
nach der Erfindung des Dosenbiers, kam der Unternehmer Jay
C. Hormel auf die Idee, auch Schinkenwurst in kleine
Blechbehälter zu packen. Der Name für das neuartige
Erzeugnis wurde per Preisaussschreiben ermittelt: 100 US
Dollar war der Firma Hormel der Vorschlag eines
Schauspielers wert, die jeweils ersten und letzten beiden
Buchstaben von "Spiced Ham" zu "Spam" zusammenzuziehen.
Original "SPAM Luncheon meat" besteht aus Schinken,
Schweineschulter und einer streng geheim gehaltenen
Gewürzmischung. 

Die <http://www.spam.com> "Hormel Foods Corporation" hat
SPAM in 101 Ländern dieser Welt markenrechtlich geschützt.
Offenbar vergeblich, denn was heutzutage immer mehr Menschen
unter Spam verstehen, hat mit der ersten Mahlzeit des Tages
so wenig zu tun wie Internet mit dem Krieg der Sterne. Im
Netz steht Spam umgangssprachlich für elektronische
Postwurfsendungen, unverlangt eingehende Werbung, Junk-Email
oder wie es offiziell heißt: "Unsolicited Commercial Email"
(UCE).  Also Nachrichten, die meist mit Sätzen beginnen wie:
"Vielen Dank für Ihr Interesse...", "Lesen Sie diese
Nachricht bitte zweimal!" oder "Beinahe hätte ich mir diese
Gelegenheit durch die Lappen gehen lassen..." und dann
Angebote beinhalten, die beim Wort genommen eigentlich gar
nicht ausgeschlagen werden können: "Finanzielle
Unabhängigkeit auf immer und ewig", "50.000 Dollar in den
nächsten 90 Tagen", "Sofortige Entschuldung" bis hin zur
"Umkehrung des Alterungsprozess". Oft handelt Spam auch von
zwielichtigen Offerten wie der Zugang zu bislang
geheimgehaltener Software, die Ausstellung von Reisepässen
oder Decoder, die angeblich Pay-TV-Programme entschlüsseln.
Ganz zu schweigen von kaum glaublichen Zeugnissen virtueller
Großzügigkeit: Hochwertige Handtelefone kostenlos,
Gratis-Pornos, Firmenanteile umsonst, Bargeld auf die
Hand...

Dass nun ausgerechnet Frühstücksfleisch als Metapher für
solche Kommunikation herhalten muss, soll der Legende nach
auf einen Klassiker der englischen Komikertruppe
<http://www.pythonline.com> Monthy Python zurückgehen. Der
<http://www.btinternet.com/~basedata/sinkordie/spam.htm>
Sketch spielt in einem Restaurant, das ausschließlich
Speisen mit Frühstücksfleisch anbietet. Der akute Widerwille
eines Gastes wird von einem Wikinger-Chor erstickt, der
immer lauter den Gesang von "Spam, lovely spam, wonderful
spam" anstimmt. Ähnlich muss es den meisten Nutzern der
Newsgroups im Usenet Anfang der 90-er Jahre ergangenen sein,
als sie Opfer der ersten Spam-Attacken wurden. Berüchtigt
waren seinerzeit der ominöse
<http://www.ibiblio.org/usenet-i/groups-html/alt.fan.serdar-argic.html>Serdar
Argic sowie
<http://www.cybernothing.org/faqs/net-abuse-faq.html#2.6>
Canter & Siegel, eine Rechtsanwaltskanzlei aus Phoenix, die
in Hunderten von Diskussionsforen ihre Dienste dermassen
dumm-dreist anboten, dass daraufhin eine eigene Newsgroup
gegründet wurde: <http://www.killfile.org/~tskirvin/nana>
"alt.current-events.net-abuse". Dort wurde dann eingehend
diskutiert, wie dem Missbrauch des Netzes Einhalt geboten
werden könne. Es waren aber weder blanker Idealismus noch
der Traum von einem nicht-kommerziellen Internet, der die
Selbstverteidigungskurse gegen Spamming motivierte, sondern
ein ausgeprägter Gemeinsinn angesichts der damals noch
äußerst knappen Ressourcen und ausgesprochen kostbaren
Netzzugängen. 

Im Gegensatz zu Telefonmarketing oder Werbefaxen zahlt beim
Usenet- oder Email-Spamming schließlich der Empfänger die
Rechnung für die unverlangt eingegangene Nachricht. Den
Spammern kostet der Massenversand nur ein paar Mark Traffick
plus einmalig rund zweihundert Mark für Zigmillionen
Email-Adressen. Diese werden mit besonderen Programmen von
Webseiten, aus Mailinglist-Archiven und Newsgroups
abgefischt, um dann von windigen Adresshändlern in eigenen
Spam-Angriffen verscherbelt zu werden. Verschiedene Seiten
wie <http://spam.abuse.net> "Spam.abuse.net" oder das
<http://mail.abuse.net> "Mail Abuse Prevention System" haben
sich inzwischen ganz und gar dem erbitterten Kampf gegen
Spam verschrieben. Sie führen schwarze Listen mit
Mailservern, von denen aus Spam versandt wird, und bieten
Anti-Spam-Filter an, die einem wenigstens garantieren,
denselben Werbebrief nicht zweimal zu bekommen. Machtlos
sind diese Instrumente gegenüber einer besonders perfiden
Abart des Spammings. Wie eine elektronische Plage breiten
sich <http://www.tu-berlin.de/www/software/hoax.shtml#8>
Kettenbriefe im Netz aus, bei denen die Empfänger aus ebenso
durchsichtigen wie undurchsichtigen Gründen angehalten
werden, die e-mail an möglichst viele Adressaten
weiterzuleiten. Appelliert wird dabei nicht nur an die
Habgier, sondern immer öfter auch an die  Gutmütigkeit:
Krebskranken Kindern einen letzten Wunsch erfüllen,
afghanische Frauen vom Schleierzwang erlösen, Nazis aus
Newsgroups verbannen sind die Vorwände für fadenscheinige
und völlig überflüssige Rundsendungen, die jahrelang
kursieren und letztlich auch seriöse, weil ordentlich
datierte und mit gültigen Absender- und Webadressen
versehene Kampagnen in Misskredit bringen. 

Wesentlich einfacher ist es, Spam zu goutieren oder zu
verklären. Schließlich können die unerwünschten
Werbebotschaften durchaus als das Hereinbrechen des Realen
in die heimische Mailbox verstanden werden: Die symbolische
Ordnung des elektronischen Postfachs gerät in Gefahr; denn
Spam ist ein Gift, das die Atmosphäre kleinkarierter
Kommunikation zersetzt, welche vorgibt, nichts als
zielgerichtet und nützlich zu sein. Und das allerschlimmste:
Man kann vermeintlich nichts dagegen tun und ist den
Werbesendungen, Kettenbriefen und Pyramidenspielen als
unbedarfter Endnutzer wehrlos ausgeliefert. Diese
Hilflosigkeit führt zu aufschlussreichen Formen von
Eskapismus: Wie virtuelle Kaffeefahrten scheint von Spam
eine eigenartige Faszination ausgehen, die manche Menschen
solche Nachrichten, wenn sie sie schon nicht glauben und
wenn es schon keinen Sinn hat, dagegen anzukämpfen, dann
zumindest akribisch registrieren, archivieren und
aufbereiten läßt. Passionierte Spam-Sammler protzen gerne
mit persönlichen Statistiken ("38 Megabyte in mehr als 5200
einzelnen Nachrichten. Das ist eine Menge Spam für etwas
mehr als drei Jahre") oder bieten gleich die komplette
Privat-Kollektion zum Herunterladen an - kostenlos versteht
sich. <http://www.cspam.com> "Cspam.com" hat eine große
Auswahl ständig wechselnden Spams animiert und läßt die
aufregenden Nachrichten durch das Browserfenster scrollen,
wahlweise sogar mit passender Musikbegleitung. Seine
Aktivitäten mittlerweile eingestellt hat das
<http://www.visi.com/~drow/spam> "Historical Spam Museum and
Archive", das in den Jahren 1996 bis 1999 immerhin 5,6
Megabyte Spam sammelte, um das Material künftigen
Netzarchäologen zur Forschungszwecken zur Verfügung zu
stellen. Am bekanntesten aber ist die <http://ga.to/mmf>
"Make Money Fast (MMF) - Hall of Humiliation", die schon
1997 auf der Ars Electronica mit einer Goldenen Nika in der
Kategorie ".net" ausgezeichnet wurde. Es handelt sich um
eine öffentlich zugängliche Plattform, die Spam nicht nur in
einer Datenbank ablegt, sondern vor allem eines ermöglicht:
Lästige Werbung bis zum Ursprungsort zurückzuverfolgen. 

Wie jede Form Müll kann aber auch der Datenschrott, der beim
Spamming anfällt, wiederverwertet und für äußerst 
praktische Zwecke eingesetzt werden. Dies versuchen
zumindest die Betreiber von <http://www.spammimic.com>
"Spammimic.com" unter Beweis zu stellen. In einer Dialogbox
auf deren Homepage können kürzere Nachrichten so ver- und
wieder entschlüsselt werden, dass sie als einschlägiger Spam
kodiert völlig belanglos wirken und wohl kaum die
Aufmerksamkeit von Geheimdiensten und anderen elektronischen
Lauschern erregen. Die Idee ist geradezu ideal für Menschen,
denen die ständige Benutzung von herkömmlichen
Kryptografieprogrammen zu aufwendig ist oder die nicht durch
plötzlich kodierte Nachrichten kundtun wollen, dass nun auf
einmal Geheimnisse ausgetauscht werden. Die sicherlich
kurioseste Methode, das Briefgeheimnis zu wahren, dürfte
insofern selbst High-Tech-Abhörsystemen wie Echolon oder
Carnivore überlegen sein. Echter Spam, schreiben die Gründer
von "Spammimic", sei so erschreckend dumm, dass es kaum
möglich ist, den von der Maschine künstlich erzeugten Unsinn
von authentischem Spam zu unterscheiden. 

Ein Problem, mit dem sich schließlich auch die "Hormels Food
Corporation" herumschlagen muss. Doch die Hersteller des
Ur-Spam verzichten auf zivilrechtliche Schritte gegen die
geschäftsschädigende Gleichsetzung ihres Markennamens mit
Belästigungen wie Junk-Email und machen einen Vorschlag zur
Güte: Wer echtes Frühstücksfleisch meint, solle SPAM einfach
in Grossbuchstaben schreiben.

FLORIAN SCHNEIDER

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