Dieter Wieczorek on 6 Feb 2001 23:28:29 -0000 |
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[rohrpost] Transmediale 01/ Panel "Musik im Internet: Audio Visions" |
Vom spätzeitlichen Hören ...oder Hören sie was? von Dieter Wieczorek Das Panel der Transmediale 01 "Musik und Internet: Audio Visions" verblüffte aufgrund des Mangels an Verblüffung und der völligen Absenz von Vision/s. Die Situation sei komplex, hiess es (nicht zu unrecht), sprich unüberschaubar, und wer sich an die Arbeit mache - so ein Sprecher - , das Unüberschaubare zu überschauen, der mache nur wenige Funde, die der Erwähnung lohnten. Von schlicht trister Kargheit blieben dann auch die Hör-Angebote dieses Panels. Da wurde etwa eine Stimme mit mehreren Verzögerungsstufen in diversen Sequenzen zerlegt, so dass ein Hörbild entstand, das nur wenig noch an eine Stimme erinnerte. Ist das der Stand der Dinge oder gar der Sound der Zukunft? Zwei Moderatorinnen moderierten vier Teilnehmer/innen, verzichteten aber auf die Preisgabe eigener Hörerlebnisse im Internet, die sie einst vielleicht motivierten, über "Visionen" zu sprechen. Vielleicht ist der Begriff der "Komposition" unangemessen, um das zu beschreiben, was an interaktiven Formen zur Gestaltung von Sounds entwickelt wurde und wird, da die Verzögerungszeiten des Zusamenspiels im Internet keine unmittelbare Reaktionen, sondern lediglich Reaktionen auf antizipierte Reaktionen auf den eigenen Input ins Netz erlauben. Dies führt zu interessanten Klangfiguren meist nur auf Kosten erhöhter Reduktion der musikalischen Parameter (wie etwa auf reine Sinuskurven). Das Einspielen komplexerer Parameter wird für den Zuhörer schnell zu einem unentzifferbaren Klangkonglumerat von wenig Interesse. Zugänglich ist ein solches "Volumen" (partiell) lediglich noch den Klangerzeugern in real time selbst, die die von ihnen erzeugten Modifikationen wiederzuerkennen vermögen. Spannungszeugend und inspirierend ist Sound (wie gesagt als additive Klangerzeugung, nicht als "Komposition")im Medium des Internets folglich vor allem - wenn nicht ausschliesslich - für ihre unmittelbaren Erzeuger. Jedes so erzeugte Resultat aber lässt sich unter elektoakkustischen Bedingungen ohne das Netz ebenso herstellen. Allein der performative, überraschende Charakter könnte als Spannungselement eine zusätzliche Dimension ins Spiel bringen und das Medium der "Internetmusik" überhaupt erst zu einer differenzieren Grösse machen. Allerdings muss das Überraschungsmoment der unmittelbaren musikalischen Darbietung unter konzertanten Bedingungen aus Publikumsperspektive auch zustanden werden. Das Panel unnahm leider wenig, hier weitere Differenzarbeit zu leisten. Man hätte sich auch wünschen können, Aufschluss zu gewinnen über Entwicklungsformen der letzten Jahre sowie über deren Deutung als "Fortschritt" oder als horizontale Entwicklung in Form eines Feldes von Partikularitäten. Gewiss, nicht jeder Wunsch kann erfüllt werden. Bleibt aber - um das Paradox zu umschreiben - das eigentliche Interesse der Internet-Sound-Kreation auf die Partizipierenden beschränkt, macht die Kritik, dass die "Resultate" (fast immer) von wenig Überzeugungskraft sind, keinen Sinn, da es nie um sie ging, sondern lediglich um den Produktionsprozess selbst. Das Netz erfordere prozessuale Musik, hiess es. Teleologische oder höhepunktorientierte Strukturen machen im Netz wenig Sinn, da mit schnellen und stetigen Ein- und Ausklickvorgänge zu rechnen sei, die in die Klanggestalung schon mit einbezogen werden müssen. Anders gesagt, ein Zugang müsste an jeder Stelle und zu jedem Zeitpunkt möglich sein. Die an diesem Panel teilnehmenden Komponisten aber zögerten sichtlich, ihr Klanggut lediglich kurz anklingen zu lassen. Sie verlangten längere und konzentriertere Aufmerksamkeitszeiten. So grüsst das Paradox noch einmal. Für die Sound-Erzeuger, so scheint´s, zählen die "Resultate" doch (noch). Warum benutzen sie dann das Internet, fragt sich der Hörwillige? _________________________________________________________________________ Get Your Private, Free E-mail from MSN Hotmail at http://www.hotmail.com. ---------------------------------------------------------- # rohrpost -- deutschsprachige Mailingliste fuer Medien- und Netzkultur # Info: majordomo@mikrolisten.de; msg: info rohrpost # kommerzielle Verwertung nur mit Erlaubnis der AutorInnen # Entsubskribieren: majordomo@mikrolisten.de, msg: unsubscribe rohrpost # Kontakt: owner-rohrpost@mikrolisten.de -- http://www.mikro.org/rohrpost