Krystian Woznicki on 5 Jul 2001 20:55:10 -0000


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[rohrpost] TELEPOLIS: Jörg Tauss Interview


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  Netzüberwachung: Im Zweifel besser sein lassen

  Stefan Krempl   05.07.2001

  Interview mit dem Netzexperten der SPD, Jörg Tauss, anlässlich einer
Anhörung zum Thema Cybercrime im Bundestag

  Vor der öffentlichen Anhörung im  Unterausschuss für Neue Medien [0]
deren Thema die von der Bundesregierung geplante Überwachung der
Telekommunikation einschließlich des Internet sowie die umstrittene
Cybercrime-Konvention des Europarats war, sprach Stefan Krempl mit dem
Ausschussleiter Jörg Tauss. Der Internetexperte der SPD hatte dem
Bundesjustizministerium schon im Frühjahr eine Reihe von
Änderungswünschen zur Konvention mit auf den Weg zu den Verhandlungen
nach Straßburg gegeben. Allerdings waren sie damals im Berliner
Briefverkehr "verloren gegangen".





   Die Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) des
Bundeswirtschaftsministeriums hat einen Proteststurm der Provider
ausgelöst. Halten Sie die Kritik für gerechtfertigt?

       Jörg Tauss: Die Kritik an dem aktuellen Entwurf der TKÜV weist
zurecht auf die derzeit bestehenden Defizite hin. Da wären die hohen
Kosten, die in Anbetracht des zu erwartenden mangelnden
Ermittlungserfolges mehr als unverhältnismäßig sind, oder die fehlende
technische Abstimmung. Bis heute weiß niemand genau, wie die
Schnittstellen aussehen sollen und was sie daher kosten werden.
Besonders sind aber negative Auswirkungen auf die IT-Sicherheit
insgesamt zu befürchten, wenn praktisch jeder relevante Diensteanbieter
eine standardisierte Schnittstelle vorhalten muss, die letztlich ein
Einfallstor für Dritte darstellt. All dies sind offene Fragen, auf die
weder die TKÜV noch die politisch Verantwortlichen bisher befriedigende
Antworten gegeben haben.


   Der Bundesdatenschutzbeauftragte Joachim Jacob fürchtet einen
unverhältnismäßigen Eingriff in die Privatsphäre der Bürger. Teilen Sie
als Beauftragter für die Modernisierung des Datenschutzrechts seine
Meinung?

       Jörg Tauss: Die TKÜV ändert nichts an den Eingriffsbefugnissen
der Ermittlungsbehörden, hier ist vielmehr die Cybercrime-Konvention
des Europarates zu beachten. Aber natürlich vereinfachen die
vorgesehenen Schnittstellen auch den Zugang von Kriminellen zu
kritischen Bereichen und damit den Missbrauch von sensiblen oder
personenbezogenen Daten, etwa von Adressen oder Kreditkartennummern.
Generell gebe ich Herrn Jakob aber recht, dass die vorherrschende
Wahrnehmung in der Bevölkerung bereits kritisch in Richtung totale
Überwachung tendiert. Es ist und bleibt in einer liberalen Gesellschaft
unerträglich, wenn aus der zu begründenden Ausnahme der Überwachung im
Einzelfall nunmehr der hinzunehmende Normalfall werden würde.

  Wenn die Bürgerinnen und Bürger davon ausgehen müssen, dass ihre
elektronische Kommunikation dauernd und vollständig überwacht wird,
dann haben nicht nur die neuen Netzmöglichkeiten keine Chance, ihre oft
beschriebenen positiven Potenziale zu verwirklichen. Darüber hinaus
haben auch gewünschte sensible und wichtige Transaktionen und
entsprechende Dienste keine Möglichkeit, einen gesellschaftlich
relevanten Umfang zu erreichen. Die Akzeptanz der neuen Technologien
hängt untrennbar mit dem Vertrauen in einen hinreichenden Schutz
personenbezogener Daten zusammen. Ohne Akzeptanz kollabieren die
Geschäftsmodelle der Net Economy schneller, als die Aktienkurse am
Neuen Markt zu fallen vermögen.


   Der momentane Entwurf zu einer TKÜV ist bereits der zweite Vorstoß.
Warum ist es so schwierig, eine Kompromisslösung bei den Abhörplänen zu
finden?

       Jörg Tauss: Die Spielregeln der digitalen Welt korrespondieren
nur leidlich mit den politischen Regeln des kompromissorientierten
Ausgleichs zwischen legitimen gegenläufigen Interessen. Auch bei der
TK-Überwachung bestehen auf beiden Seiten Ansprüche, denn natürlich
müssen die Ermittlungsbehörden in die Lage versetzt werden, ihren
Aufgaben auch nachkommen zu können. Ebenso selbstverständlich ist, dass
das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und auf
Vertraulichkeit der Kommunikation und sensibler Daten gerade in einer
globalen Informations- und Wissensgesellschaft ein hohes Gut ist.

  In der digitalen Netzwelt wird der 'Kompromiss irgendwo in der Mitte',
nach dem nun klassischerweise gesucht werden würde, allein durch die
Komplexität der Netze und die technische Dynamik im IT-Bereich kaum
erreicht werden können. Entweder steht man in der Gefahr, lediglich
symbolische und daher wirkungslose Regelungen zu treffen, oder aber man
eröffnet Kriminellen und interessierten Dritten in Ermangelung einer
wirksamen Lösung einen Zugang-de-Luxe zu vertraulichen Inhalten.
Passend zur digitalen Natur kann es nur um 'Ganz oder gar nicht' gehen,
und im Zweifel bin ich aufgrund meiner demokratischen
Grundüberzeugungen für 'sein lassen'.


   Erscheint Ihnen eine Überwachungsverordnung innerhalb des
vorgegebenen Gesetzesrahmens als machbar oder müssen die Grundlagen im
Telekommunikationsgesetz (TKG) geändert werden?

       Jörg Tauss: Das Grundproblem ist natürlich die Regelung im TKG,
die eben eine TKÜV vorsieht und auch die Kosten allein den
Diensteanbietern zuschiebt. Wenn wir wirklich zugeben müssen, dass im
Rahmen des geltenden Rechtsrahmens keine akzeptable TKÜV möglich ist,
dann muss natürlich das TKG in diesem Punkt auf den Prüfstand. Auf
keinen Fall sollte ein falscher Kompromiss verwirklicht werden, der nur
pro forma Anforderungen erfüllt und letztlich bestenfalls leer läuft
und schlimmstenfalls die IT-Sicherheit insgesamt weit zurückwirft.


   Ist ein gesonderter "großer Lauschangriff" auf das Internet überhaupt
nötig oder reichen die Überwachung der Telefonleitungen und des
Mobilfunks sowie der Einsatz der normalen Ermittlungstechniken im Netz
aus?

       Jörg Tauss: Das Problem der Doppelüberwachung ist nicht vom
Tisch. Schließlich könnten Vorrichtungen bei den TK-Anbietern und
Carriern völlig ausreichen, um die von den Strafverfolgern benötigten
Informationen zu erhalten. Warum dies unbedingt auch auf Ebene der ISPs
möglich sein muss, bleibt nicht nachvollziehbar - abgesehen von der
Komfortabilität, die ein Online-Zugriff vom Behördenschreibtisch aus
auf uncodierte Inhalte mit sich bringt.


   Auch der Europarat fordert unter dem Stichwort "Cybercrime" eine
Ausweitung der Befugnisse der Strafverfolger. Was kommt aus dieser
Richtung auf die deutschen Provider und Surfer zu?

       Jörg Tauss: Der Cybercrime-Entwurf des Europarates definiert
Straftatbestände im Zusammenhang mit sog. Datennetzen und legt
vereinfachte prozessrechtliche Verfahren der internationalen
Rechtshilfe nah. Aufgrund bestenfalls unscharfer, aber auch expansiv
interpretierbarer Rechtsbegriffe sowie der Pflicht zur gegenseitigen
Rechtshilfe - im Zweifel auch gegenüber Staaten, die alles andere als
europäische Standards in Sachen Menschenrechte oder Rechtstaatlichkeit
erfüllen - besteht eine akute Gefahr einer substanziellen Aushöhlung
der europäischen Rechtsnormen.

  Insbesondere im Zusammenspiel mit nationalen Verordnungen wie der TKÜV
wird die Cybercrime-Konvention zu einer erheblichen Ausweitung der
Eingriffsbefugnisse führen und die über die national vorgeschriebenen
Schnittstellen erhaltenen Informationen letztlich sozusagen als
"Dienstleistung" ausländischen Ermittlungsbehörden zur Verfügung
stellen können. Der Trend zur Überwachung ist unübersehbar, auch wenn
die Versprechen der staatlich garantierten Vollkasko-Sicherheit längst
überholt sein müssten.


   Wie groß ist die von "Cybergangstern" ausgehende Gefahr wirklich?
Mutieren alle Bürger im Netz automatisch zu Kriminellen?

       Jörg Tauss: Ich halte die tatsächliche Bedrohung für übertrieben,
aber es fehlen verlässliche Zahlen. Letztlich muss derjenige, der
Verfolgungsrechte ausweiten will und Verfahren verändern möchte, dies
begründen und geeignete Vorschläge machen. Diese Debatte fehlt bisher
völlig. Bestärkt werde ich durch die immer wieder herbeizitierten Fälle
von Kinderpornographie oder Rechtsextremismus im Internet, die -
obgleich sie natürlich äußerst schwerwiegend und nicht hinnehmbar sind
- letztlich zur Begründung der Überwachungsziele instrumentalisiert
werden. Nicht Kriminelle in diesem Sinn, sondern sensible und
vertrauliche Daten und Kommunikation werden Hauptgegenstand aller
Überwachungsmaßnahmen sein, deren Effektivität daher wohl weiterhin
ungeklärt bleibt.


   Ist der Trend zur lückenlosen Überwachung der gesamten
Telekommunikation noch zu stoppen?

       Jörg Tauss: Der Trend ist offenkundig und spiegelt sich in
zahlreichen Aktivitäten insbesondere auf europäischer und
internationaler Ebene wieder. Ich erwähne nur die Mitteilungen der
EU-Kommission zu e-Security und Cybercrime oder die Arbeitsgruppe bei
den G8-Staaten. Wir müssen diesen Aktivitäten zumindest die richtigen
Fragen entgegenhalten und die Antworten kritisch prüfen. Ich jedenfalls
werde mich mit halben Erklärungen und auch mit einem nicht
sachgerechten Zeitdruck nicht zufrieden geben. Das Expertengespräch des
Unterausschusses ist eine gute Möglichkeit, Antworten auf die
zahlreichen offenen Fragen zu erhalten.




  Links

  [0] http://www.bundestag.de/gremien/a23_ua/index.html

  Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/te/9017/1.html


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