Krystian Woznicki on 23 Jul 2001 10:01:38 -0000


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[rohrpost] TELEPOLIS: Nuetzliche Tools fuer den Netzintellektuellen


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von  <krystian@snafu.de> gesandt.

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  Nützliche Tools für den Netzintellektuellen

  Vali Djordjevic   23.07.2001

  Minordomo und textz.com aus dem Hause ROLUX



   Das Berliner Internet-Projekt  ROLUX [0] verfolgt in den drei Jahren
seines Bestehens die Entwicklungen in den Neuen Medien von Websites und
Texten bis zu Veranstaltungen. Zwischen Netzdiskurs und Offline-Welt
angesiedelt bietet ROLUX alternative Lebens- und Denkweisen, die den
Mehrheitsdiskurs von Verwertbarkeit und Profitstreben um eine
gemeinschaftliche, linke Gesellschaftskritik [1] ergänzen. In diesem
Jahr starteten gleich zwei Projekte, die einen Kommentar zu virtuellen
Gemeinschaften, geistigem Eigentum und Netz abgeben, aber gleichzeitig
auch ganz praktischen Zwecken dienen.



       Die Netzkritik sollte Websites machen, statt zu kritisieren. Oder
aber Netzkritik wie Websites machen.
  Sebastian Lütgert:  Einfuehrung in eine wahre Geschichte des Internet
[2]





  Es ist es wichtig, dass sich Projekte in einem Kontext befindet und
dass dieser Kontext auch thematisiert wird, sagt Sebastian Lütgert, der
Betreiber von ROLUX. ROLUX gehört zu den unabhängigen kleinen
Netzprojekten, die sich im Berlin der 90er Jahre mit seinen
leerstehenden Gebäuden und verlassenen Geländen im Umfeld von Clubs und
Bars, Kunst und elektronischer Musik gebildet haben. Dazu gehört unter
anderem auch  mikro [3] e.V., das  Bootlab [4], wo sich auch Lütgerts
Arbeitsplatz befindet, Veranstaltungen wie last tuesday, der inzwischen
geschlossene Club DaimlerChrysler, aber auch das virtuelle Umfeld der
Mailinglisten wie  nettime [5] und  rohrpost [6].

  Die ROLUX-Website nimmt das Netzwerkprinzip als Strukturprinzip. Auf
der ROLUX-Homepage sind unterschiedlichste Projekte gleichberechtigt
nebeneinander angeordnet - Partner gegen Berlin, Real, allemagne ta
gueule ca suffit, Auseinander, a.s. ambulanzen, Rolux, luxor, urlxo,
kleine Scherze wie "this is not a link" oder "this is not an icon"
stehen Seite an Seite und bilden ein Netzwerk des Gleichen. Hierarchien
gibt es nicht, der Besucher weiß nicht, ob hinter einem Projektnamen
nur ein kleiner Kommentar zu der Konsolidierungsdebatte in der
Netzkunst steckt ("classics of net.art") oder eine ganze Site wie zum
Beispiel das  Textwarezprojekt [7].

  Der Vorteil am Programmieren ist, dass das, was man geschrieben hat,
sofort Auswirkungen hat. Beim Texte schreiben passiert oft gar nichts.
Man sitzt stunden- manchmal tagelang vorm Rechner und überlegt sich was
und versucht, es möglichst passend zu formulieren. Dann veröffentlicht
man auf einer Mailingliste oder in einem Magazin und erhält keine
Reaktion. Beim Programmieren hingegen wird der geschriebene Code
ausgeführt und man sieht sofort, ob das Programm so funktioniert, wie
man es sich vorgestellt hat oder nicht. Die oft übliche Arbeitsteilung
zwischen Programmierern auf der einen und denen, die den Inhalt der
Webseiten machen (um hier nicht das blöde Wort "content provider"
schreiben zu müssen), ist in vieler Hinsicht unbefriedigend. Sie
schafft Differenzen und verhindert Kommunikation, die der Weiterführung
des Projektes "Netzkritik" nicht dienlich ist. Daher bewegt sich
Lütgert auch zwischen diesen beiden Tätigkeiten, die sich gegenseitig
befruchten und andere Zusammenhänge erschließen, als die Beschränkung
auf ein Feld es möglich machen würde. So verkoppeln die Projekte von
ROLUX immer diese Bereiche zu neuen Ausdrucksformen.



  minordomo



  Mailinglisten sind vielleicht das wichtigste Werkzeug bei der
Vernetzung von alternativen Öffentlichkeiten.  nettime [8],  rhizome
[9],  syndicate [10], um nur einige zu nennen, spielen eine nicht mehr
wegzudenkende Rolle in der kulturellen Netzlandschaft. Die
Rolux-Mailingliste bezeichnet sich als Liste "for the advancement of
minor criticism". Dabei ist nicht gemeint, dass es um geringfügige
Kritik geht, sondern um Kritik, die sich selbst in der Minderheit
befindet. "rolux.org selbst ist entsprechend ein netzwerk zur
befoerderung von "critical minorities", also kritischer minderheiten.
kritisch hat dabei immer auch eine bedeutung wie in 'kritischer
zustand'", meint Lütgert.

  So heißt das Programm, das die Rolux-Liste verwaltet, in Abwandlung
auf das häufig verwendete Programm "Majordomo", natürlich "Minordomo".
Das ist auch der Name des neuen Dienstes, den rolux vor zwei Wochen auf
den einschlägigen Mailinglisten ankündigte.  Minordomo [11] ist nicht
nur ein Programm für die Verwaltung von Mailinglisten, das man auf
seinem Server installieren kann, so man denn einen hat, sondern bietet
die Möglichkeit über ein Webinterface selbst Listen einzurichten. Damit
stellt es eine Alternative zu kommerziellen Anbietern wie eGroups dar.
Nicht nur dass Minordomo viel besser aussieht, es ist auch freie
Software, die von den Usern gemeinschaftlich weiterentwickelt werden
soll. Das Programm selbst ist komplett in php 4 geschrieben und
benötigt keine zusätzliche Software oder eine darunterliegende
Datenbank, was die Installation sehr einfach macht. Bisher wird der
Server bei einem kommerziellen Anbieter gehostet und von bootlab.org
betrieben und bezahlt. Der Umzug auf einen befreundeten Host ist
allerdings schon geplant. Wenn mehr Listen den Traffic in die Höhe
treiben, was an sich eine gute Sache wäre, wird man sich um zusätzliche
Finanzierung in Form von Sponsoring oder Fördergeldern kümmern.



  "we are the & in copy & paste"



   textz.com [12] ist eine Warez-Datenbank für Texte. Man findet Texte
mit und ohne Copyright, fiktionale und theoretische Texte, Manifeste
und Songlyrics. Da steht Theodor W. Adorno neben der autonomen
Afrika-Gruppe, Douglas Adams neben Klaus Theweleit. Die Texte stammen
aus verschiedenen Quellen. Sie werden entweder von den Autoren selbst
eingereicht, als freie im Netz kursierende Texte von Mitwirkenden in
die textz.com-Datenbank eingespeist oder von mit Scannern und
Texterkennungssoftware bestückten Usern vom Analogen Medium Papier in
digitale ASCII-Files umgewandelt. "1 month 4 weeks 1 day 16 hours 56
minutes 33 seconds of plain ascii available in 491 files" steht in der
Ecke der Website und die Betrachterin fragt sich, wie das nur gemessen
worden kann. Das ist natürlich eine Anspielung auf das Projekt  Radio
Internationale Stadt [13] und das  Open Video Archive [14] von Thomax
Kaulmann [15], das einen öffentlich verfügbaren Real Audio bzw. Real
Video Server für unabhängige Projekte zur Verfügung stellt, allerdings
nicht im Sinne von Warez wie bei textz.com, sondern als gemeinsam
nutzbare Ressource für Projekte, die sich ansonsten keinen
Streaming-Server leisten könnten.

  Die Auswahl der Texte bei  textz.com [16] ist vom  Projekt Gutenberg
[17] so weit entfernt wie nur möglich. Es geht hier nicht darum, Texte,
auf die kein Copyright mehr besteht, verfügbar zu machen und damit,
gewollt oder ungewollt, einem bildungsbürgerlichen Kanon Vorschub zu
leisten. Es geht um Widerstand:




     "intellectual, digital and biological property -- cornerstones of
the new regimes of control -- are the direct result of organized
corporate piracy. they are not only replacing such obsolete notions as
freedom, democracy, human rights and technological progress. all these
new forms of ownership are, in the first place, attempts to expropriate
people's work, data and bodies -- just as the they begin to acquire,
for the first time in history, the technical means to organize them
differently." a.s. ambulanzen: napster was only the beginning.  an
introduction to textz.com [18] [v0.5]





  Eine Gesellschaftskritik im Sinne von Sprechen/Schreiben über Politik,
Medientheorie oder Cultural Studies ist in der Zeit von globalen
Werbekampagnen multinationaler Konzerne und weltweiter Vermarktung
nicht mehr sinnvoll, da jeder Widerstand sofort vereinnahmt und in den
Kreislauf der Werbebilder eingespeist wird. Eingreifsstellen erscheinen
woanders, zum Beispiel in den Netzwerken der Filesharing-Gemeinschaften
um Napster, Gnutella & Co. Obwohl die Musikindustrie Napster als ihr
wichtigstes Feindbild HTTHTTH  kleingekriegt hat [19], war es derjenige
Dienst, der den Tausch copyrightgeschützten Materials ins Bewusstsein
der Öffentlichkeit gebracht hat. Bei Texten zeigt sich das Konzept mit
sehr viel weniger Virulenz. Bisher haben sich noch keine Anwälte mit
"Cease and Desist"-Briefen an Lütgert gewandt, der im Falle des Falles
entscheiden wird, wie er darauf reagieren wird. Überhaupt ist
  textz.com [20] nur ein Archiv, in dem die in diversen
Filesharing-Programmen kreisenden Textdateien, die gegenüber mp3 nur
einen Bruchteil der Datenmengen ausmachen, gesammelt werden.

  Der textz.com-Newsticker hat seinen Weg von textz.com auch in alle
anderen ROLUX-Projekte gemacht. Dabei werden die Titelzeilen
verschiedener Newsdienste und Tageszeitungen, wie CNN, BBC, El Pais,
New York Times, Tagesschau, Der Spiegel und einige andere, ausgelesen
und per Laufschrift auf den unteren Rand des Bildschirms gebracht. Die
Vereinnahmung der Informationen der herrschenden Informationshändler
durch ein Warezprojekt macht darauf aufmerksam, dass Information auch
nur eine Ware ist und in dieser Funktion materiell wird und ihren
Geldwert hat. Spätestens wenn man die auf den Punkt des Infotainment
gebrachten thema1.de-Schlagzeilen ansieht, sollte man die
Konstruiertheit dessen, was uns von der Presse als objektive Nachricht
verkauft wird, erkennen. Die Übernahme von Logos und Textbausteinen der
"Mehrheitskultur" und ihre neue Zusammensetzung fügt dabei einen
Kommentar ein, der den Anspruch "Websites wie Netzkritik zu machen"
vollstens erfüllt. Die Websites von ROLUX sind immer auch eine Kritik
der herrschenden Verhältnisse im Netz. Dazu aber bieten sie eine
durchaus praktischen Mehrwert.





  Links

  [0] http://www.rolux.org
  [1] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/on/3369/1.html
  [2] http://rolux.org/intro/main.html
  [3] http://www.mikro.org
  [4] http://bootlab.org
  [5] http://www.nettime.org
  [6] http://www.mikro.org/rohrpost
  [7] http://textz.com
  [8] http://www.nettime.org
  [9] http://www.rhizome.org
  [10] http://colossus.v2.nl/syndicate/
  [11] http://minordomo.org
  [12] http://textz.com
  [13] http://orang.orang.org
  [14] http://ova.zkm.de
  [15] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/sa/3590/1.html
  [16] http://textz.com
  [17] http://gutenberg.aol.de
  [18] http://www.nettime.org/rohrpost.w3archive/200103/msg00086.html
  [19] http://www.wired.com/news/business/0,1367,45364,00.html
  [20] http://textz.com

  Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/on/9142/1.html


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