Tilman Baumgaertel on Wed, 22 May 2002 14:14:20 +0200 (CEST)


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[rohrpost] Die Rache der Hacker


http://www.jungle-world.com/_2002/22/15a.htm
Nr. 22/2002 - 22. Mai 2002 


Die Rache der Hacker

Am Anfang war alle Software umsonst. Microsoft, Linux und die
Privatisierung des geistigen Eigentums Dritter. Von Tilman Baumgärtel


Das Monopol. Seit Jahren laufen in den USA Verfahren gegen Microsoft, mit
denen versucht werden soll, dem Konzern Wettbewerbsbeschränkungen
aufzuerlegen. Das Urteil eines Gerichts in Washington wird Anfang Juni
erwartet.

Doch wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass ein einzelnes Unternehmen
den Weltmarkt für Software so vollkommen beherrschen kann?




Halloween ist die Nacht vor Allerheiligen. Schenkt man keltischen Legenden
Glauben, so soll in der Nacht des 31. Oktober die Trennwand zwischen der
Welt der Toten und der der Lebendigen besonders dünn sein. Vor der
Christianisierung feierten die keltischen Druiden an diesem Tag die Ankunft
des Todesfürsten Samhain, der während des Winters die Welt regierte. Es gab
Lagerfeuer und Festmähler, und man stellte den Toten Leckereien bereit, um
sie in die Feierlichkeiten einzubeziehen. Die Iren wandelten den Brauch ab.
Sie zogen sich in dieser Nacht möglichst schrecklich an, damit die Toten
und Geister, die auf der Suche nach einem Körper, in den sie fahren
konnten, durch die Nacht zogen, an ihnen vorbeigingen. Heute wird Halloween
besonders in den USA gefeiert. 


Halloween Papers

Wenn jemand einem Dokument den Namen »Halloween Papers« gibt, sind
Assoziationen des Schauers nahe liegend und vom Namensgeber wahrscheinlich
gewünscht, besonders wenn es sich um etwas so Trockenes wie interne Memos
aus einem Software-Unternehmen handelt. Brisanter ist es, wenn das
Unternehmen Microsoft heißt und sich das Memo mit Methoden beschäftigt,
einen neuen Konkurrenten vom Markt zu verdrängen. Noch interessanter wird
es, wenn sich herausstellt, dass der neue Konkurrent kein rivalisierendes
Unternehmen ist, sondern das alternative Betriebssystem Linux, ein
Programm, das von Hackern auf der ganzen Welt gemeinsam geschrieben wird
und das man umsonst aus dem Internet herunterladen kann. 

Die Halloween Papers sind eine Reihe von Dokumenten, die der US-
Programmierer und Autor Eric Raymond in der letzten Oktoberwoche des Jahres
1998 von einer Quelle innerhalb Microsofts zugespielt bekommen haben will.
Raymond veröffentlichte die Memoranden im Internet. Rasch verbreiteten sie
sich über Mailinglisten und Websites in der ganzen Welt. Nicht nur die
Computer-Szene, auch die Massenmedien nahmen von dem Vorfall Notiz. Denn
das Verfahren, das in den USA gegen Microsoft wegen monopolistischer
Taktiken geführt wurde, war zu dieser Zeit in eine entscheidende Phase
getreten. 

Microsoft hat die Existenz der Memos schließlich zugegeben, gleichzeitig
aber betont, dass sie keine offizielle Äußerung des Konzerns darstellten,
sondern von einem Mitarbeiter in bewusst provokanter Weise geschrieben
worden seien, um eine firmeninterne Diskussion über Open Source Software
auszulösen. Dass der Computerriese gezwungen wurde zuzugeben, dass er sich
mit Linux beschäftige, dürfte bei vielen Hackern ein Grinsen ausgelöst
haben. Denn das »Reich des Bösen«, als das Microsoft bei ihnen gilt, wies
in den Papieren darauf hin, dass Open Source Software wie Linux eine
direkte Bedrohung für die Firma ist.

Wie die Halloween Papers zeigen, hat das Management von Microsoft die
Eigenschaften von Open Source Software besser verstanden, als es die
irreführenden Argumente vermuten lassen, die die Firma in den folgenden
Jahren gegen Linux und Open Source vorbrachte. Auf diese Eigenschaften soll
später genauer eingegangen werden, hier nur so viel: Um als Open Source
Software zu gelten, muss der Code eines Programms, der so genannte
Quellcode, von jedermann einsehbar sein und von jedermann benutzt,
verändert und in dieser modifizierten Form weiterverbreitet werden können.

Das ist das Gegenteil der Geschäftspolitik von Microsoft. Die Firma
betrachtet den Quellcode ihrer Programme als Geschäftsgeheimnis. Der Code
wird von umfangreichen Lizenzen geschützt, die man akzeptiert, wenn man
eines ihrer Software-Pakete öffnet. Privatkunden, die diese Programme
kopieren, weitergeben oder gar den Quellcode ansehen oder verändern, müssen
damit rechnen, dass das Unternehmen sie anzeigt. Darum arbeiten an
Microsoft-Software nur Programmierer, die vom Unternehmen bezahlt werden.
Im Gegensatz dazu werden Programme wie Linux, deren Quellcode offen liegt,
häufig von mehreren Tausend Programmierern entwickelt. Sie produzieren
dabei oft Software, die der kommerziellen Konkurrenz ebenbürtig, wenn nicht
sogar überlegen ist. 

Die Halloween Papers sind Teil einer Auseinandersetzung, die seit mehreren
Jahren zwischen den ungleichen Gegnern Microsoft und der »Gemeinde«, die
Open Source Software entwickelt, ausgetragen wird. Die Konfrontation geht
auf beiden Seiten an die Substanz. Verhandelt werden nicht nur
unterschiedliche Methoden, Software zu entwickeln oder Geschäfte zu machen,
sondern unterschiedliche philosophische und politische Überzeugungen. 


Quellen der Macht

Der weltweite Geschäftserfolg von Microsoft beruht auf einem
Paradigmenwechsel, den Bill Gates als Software-Produzent und Unternehmer
Mitte der siebziger Jahre eingeleitet und bis heute konsequent durchgesetzt
hat. Vorher war Software fast ausschließlich und ganz selbstverständlich
»open source«, so selbstverständlich, dass es noch nicht einmal einen
eigenen Begriff dafür gab. Gates' Leistung als Unternehmer bestand darin,
aus Software ein kommerzielles Produkt zu machen. Computerprogramme, die
vorher gemeinschaftlich genutzte und weiterentwickelte Werkzeuge waren,
wurden von Microsoft zu consumer products gemacht. Dabei nutzte Gates die
Tatsache aus, dass Mitte der siebziger Jahre die ersten Mini-Computer auf
den Markt kamen, deren Anwender zum Teil keine Programmierkenntnisse
besaßen und die darum auf leicht zu bedienende Software angewiesen waren.
Das Unternehmen Microsoft gäbe es in seiner heutigen Form wahrscheinlich
gar nicht, wenn es bei seiner Gründung nicht auf Open-Source-Programme
hätte zurückgreifen können.

Die Wurzeln der unterschiedlichen Grundsätze von Microsoft und der
Hackerszene liegen in der Computerkultur der sechziger und siebziger Jahre,
in denen die Grundlagen für die Entstehung des Personal Computers (PC)
gelegt wurden. Während Microsoft ein profitorientiertes Unternehmen ist,
basiert die Hackerethik auf dem Glauben, dass Computer das Leben vieler
verbessern und zu einer Demokratisierung des Wissens und der Fähigkeiten
führen können. »All information should be free«, lautet ein zentrales Dogma
der Hackerethik, wie sie der US-Computerjournalist Steven Levy in seinem
Buch »Hackers - Heroes of the Information Revolution« festgehalten hat.
Dieser Glaubenssatz kursiert seit Beginn der Hackerkultur um 1960 am
Massachusetts Institute of Technology (MIT) in verschiedenen Versionen.

Im Mittelpunkt der Angriffe aus dem Open-Source- und Hackerlager steht
immer auch Microsoft-Gründer Bill Gates. Das ist nicht nur einer Strategie
der Personalisierung des Konflikts geschuldet. Gates steht für einen
Paradigmenwechsel von einem Wertekodex, der dem seiner Kritiker aus dem
Open-Source-Lager entspricht, zu einem, der diesem diametral
entgegengesetzt ist. Gates gilt seinen Gegnern als Verräter an ehemals
gemeinsamen Idealen. 

Im »Hacker's Dictionary«, einem Kompendium im Internet, findet sich die
folgende Definition des Hackers: »Jemand, der Vergnügen an der
intellektuellen Herausforderung findet, Begrenzungen kreativ zu
überschreiten oder zu umgehen.« Hackern geht es um das »Aufmachen« der
Technologie und der Programme, die das Leben immer stärker lenken und
bestimmen. Technologie, Computer zumal, sind für die meisten von uns black
boxes, deren Inhalt und Funktionsweise unverständlich sind. Hacker sind
nach ihrer eigenen Definition diejenigen, die wissen wollen, was in diesen
schwarzen Kisten steckt, wie sie funktionieren und was sie mit uns tun.
Levy schreibt: »Hacker glauben, dass wichtige Dinge über Systeme - und über
die Welt - dadurch gelernt werden können, dass man Dinge auseinander nimmt,
um zu sehen, wie sie funktionieren, und dieses Wissen dazu zu benutzen,
neue, noch interessantere Dinge zu erschaffen. Sie verachten jede Person,
jede physische Barriere und jedes Gesetz, das sie davon abzuhalten versucht.« 

Mit der Geheimhaltung des Quellcodes seiner Programme unterbindet der
Konzern diese Möglichkeit, »Dinge auseinander zu nehmen«, also Einblick in
die Architektur seiner Programme zu nehmen. Eine Kultur der Schließung bei
Microsoft steht einer Kultur der Offenheit in der Hackerszene gegenüber,
und die Ansicht, dass Software ein Wirtschaftsgut ist, der Ansicht, dass
Computer und ihre Programme Kultur sind, die jedem zugänglich sein soll.

Dieser Paradigmenwechsel, Gates' »Verleugnung« der Werte der Hackerkultur,
fand bei der Gründung von Microsoft statt. Der finanzielle Erfolg der
Firma, der Gates inzwischen zum reichsten Mann der Welt gemacht hat, war
dabei weniger Auslöser für den Konflikt als vielmehr die Tatsache, dass
Gates Software zu einem Produkt gemacht hatte, das zu hohen Preisen
verkauft wurde. Für diese Praxis ist Gates bereits in den siebziger Jahren
von den Computerhobbyisten, zu denen er ursprünglich gehörte, kritisiert
worden. Durch diese persönliche Verstrickung ist es wohl zu erklären, dass
sich Bill Gates selbst auch immer wieder zu Open Source, Linux & Co
geäußert hat. 


Software

Zu Recht sieht Gates durch die Entwicklung von Open Source sein Unternehmen
bedroht, nicht nur in finanzieller Hinsicht. Zwar ist den Halloween Papers
zu entnehmen, dass Microsoft in Linux einen potenziellen Konkurrenten
sieht; Microsoft hat inzwischen in einigen Geschäftsbereichen tatsächlich
Kunden an Linux verloren. Doch Microsoft muss sich vor allem davor
fürchten, dass sich die Philosophie ausbreitet, die hinter Linux und den
anderen Open-Source-Software-Projekten steckt.

Die traumhaften Gewinne, die Microsoft einfährt, beruhen allein auf dem
Kunstgriff, frei verbreitete Software zu einem handelbaren Produkt gemacht
zu haben. Den meisten Computerusern ist heute gar nicht mehr bekannt, dass
der größte Teil der Computerprogramme jahrzehntelang gratis war. »Am Anfang
war alle Software frei«, betonen daher Anhänger der freien Software immer
wieder. 

Denn digitale Information hat eine wichtige Eigenschaft, wegen der sie sich
gut dazu eignet, sich frei zu verbreiten. Sie wird nicht dadurch weniger,
dass man sie teilt. Wie John Perry Barlow in einem Aufsatz in Wired gezeigt
hat, hat man in der analogen Vergangenheit bei der Verbreitung von
Informationen in der Regel für die Trägermedien dieser Information (Buch,
Zeitung, Video etc.) bezahlt, und nicht für die Information selbst.
Digitale Medien, bei denen Informationen ohne Qualitätsverlust und ohne
große Kosten kopiert und über das Internet billig weiterverbreitet werden
können, benötigen diese Trägermedien nicht mehr.

Darum hat sich im Internet eine eigene »Kultur des Schenkens« entwickelt.
Sie wird im Usenet, in Mailinglisten, in webbasierten Diskussionsforen oder
bei Tauschbörsen wie Morpheus, Kazaa oder Napster praktiziert, wenn die
Teilnehmer Informationen, Musikstücke oder Software austauschen. Auch
Computerprogramme wurden bis Mitte der siebziger Jahre nicht als Ware
betrachtet, sondern als etwas, was man teilen konnte oder sollte. Zu dieser
Zeit entsprach der größte Teil der existierenden Software dem
Open-Source-Prinzip, ohne dass es ausdrücklich so definiert worden wäre.
Ihr Quellcode war meist frei einsehbar, konnte modifiziert und in dieser
Form auch weitergegeben werden. Software stellte zu dieser Zeit schlicht
noch keinen eigenständigen Markt dar. Firmen wie IBM lieferten die
benötigten Programme als eine Art Service zu den Computern, die das
Unternehmen verkaufte. Bezahlt wurde nicht für die Software, sondern für
ein Bundle aus Hardware, Software, Peripheriegeräten, Wartung und Schulung. 

1969 begann IBM, diese Bündelung aufzugeben und einen Teil seiner Programme
separat anzubieten. Das US-Justizministerium hatte ein Kartellverfahren
gegen IBM eingeleitet, und der Konzern war gezwungen, von Praktiken
Abschied zu nehmen, die die Konkurrenz behindern konnten. Wenn diese
Entkoppelung von Hard- und Software zum Entstehen eines eigenen Markts für
Computerprogramme führte, dann war das Aufkommen des PC die Bedingung
dafür, dass dieser Markt zu dem werden konnte, der er heute ist.

Die Programme von Firmen wie IBM waren nicht die einzige Computersoftware,
die zu dieser Zeit entstand. Viel von der gebräuchlichen Software kam aus
Universitäten und Forschungsinstitutionen. Der Code war so wenig geheim
oder kostenpflichtig wie die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die dort
erbracht wurden. Weitere Programme kamen aus der Hacker- und
Computerbastlerszene. Sie erschienen in den ersten Computer- Zeitschriften,
eine Praxis, die noch bis Mitte der achtziger Jahre bei Rechnern wie dem
Commodore 64 zu beobachten war. Programme wurden in Computermagazinen auf
seitenlangen Listings gedruckt, die man selbst eintippen musste, um ein
Programm »zum Laufen zu bringen«.

Aber Software wurde auch auf Lochstreifen, später auf Audio-Kassetten und
den ersten Disketten weitergegeben. Viele dieser Programme waren Shareware.
Sie konnten zuerst getestet werden, bevor man ein paar Dollar oder Mark per
Brief an den Programmierer schickte. Dafür erhielt man einen Zugangscode,
mit dem man eventuell weitere Funktionen des Programms »öffnen« konnte. 

Der Grundsatz »All information should be free« war also bei den ersten
Programmen selbstverständliche Realität, und das hatte auch einen guten
Grund, wie Steven Levy in »Hackers« erklärt: »Ein freier Austausch von
Information, besonders wenn die Information die Form eines
Computerprogramms angenommen hatte, erlaubte größere Kreativität. Wenn man
an einer Maschine wie dem TX-O (ein Mini-Computer, der ein bevorzugter
Rechner für akademische Hacker war, T.B.) arbeitete, für den es so gut wie
keine Software gab, schrieb jedermann wie wild Systemprogramme (...). So
musste nicht jeder sein eigenes Programm schreiben, stattdessen war die
jeweils beste Version für jedermann zugänglich, und jeder konnte sich in
den Code vertiefen und diesen verbessern.« Die Software, die so entstand,
entsprach dem Grundsatz von Open Source, ohne dass es den Begriff schon
gegeben hätte.

Dass sich das in den letzten 20 Jahren grundsätzlich geändert hat, ist
nicht zuletzt den Aktivitäten des ehemaligen Hackers Bill Gates und
Microsofts zu verdanken. Er hat eine entscheidende Rolle dabei gespielt,
dass Software von einem Tauschgegenstand zu einer Ware wurde. Dass Gates
heute der reichste Mann und Microsoft eins der umsatzstärksten Unternehmen
der Welt ist, hängt damit zusammen, dass er sich früh von dem Grundsatz
»All information should be free« verabschiedete. Es ist heute nicht mehr
nachzuweisen, ob Gates je von den Maximen der Hackerethik überzeugt war. In
seiner Autobiografie »The Road Ahead« ist von ihnen an keiner Stelle die
Rede. 

Um zu verstehen, wie Gates aus etwas, das unter Computerfreaks getauscht
wurde, die Grundlage für einen Megakonzern machen konnte, muss man in die
Frühgeschichte des PC zurückgehen, so weit, bis man sich im Jahr 1975 in
einer etwas verwahrlosten Shopping Mall in Albuquerque/New Mexico
wiederfindet. Dort befand sich ein kleiner Laden, auf dessen Fenster mit
großen Buchstaben MITS stand. Die Firma Micro Instrumentation Telemetry
Systems stellte ein neues Produkt her, auf das viele Leute in den USA kaum
warten konnten. Manche von ihnen flogen nach New Mexico, um sich ihre
Bestellung abzuholen. 

MITS stellte einen der ersten Minicomputer her. Nachdem die Fachzeitschrift
Popular Electronics im Januar 1975 ein Bild des Altair veröffentlicht
hatte, konnten sich MITS und sein Gründer Ed Roberts kaum noch vor
Bestellungen retten. Binnen kurzer Zeit hatten Computer- Hobbyisten aus den
USA 2 000 Stück geordert. Die Firma war mit der Herstellung der Maschine
vollkommen überfordert. Selbst der Versand von Bausätzen dauerte
monatelang; wer ein fertiges Gerät haben wollte, musste noch länger warten.

Das Gerät war der erste Computer, den sich Privatleute leisten konnten, und
das war etwas, worauf viele Bastler in den USA schon seit Jahren gewartet
hatten. Denn für die meisten Menschen, die sich für Computer
interessierten, waren die number crunchers unerreichbar: riesige Maschinen,
zum Teil so groß wie Kühltruhen, zum Teil sogar ganze Gebäudegeschosse in
Universitäten und Unternehmen einnehmend, wo sie meist nur von
spezialisierten Technikern bedient werden durften. Wer nicht zu dieser
kleinen Kaste gehörte, der bekam Computer nur als riesige
»Elektronengehirne« mit vielen blinkenden Lämpchen in Science-Fiction-
Filmen zu sehen.

Zwar gab es Gruppen wie den Homebrew Computer Club in Kalifornien, bei dem
sich Tüftler trafen, die ihre Rechner selbst zusammenschraubten. Auf alle,
denen die technischen Fertigkeiten dafür fehlten, muss der Altair wie die
lang erwartete Antwort auf ihre Gebete gewirkt haben. Er präsentierte sich
in Preis und Format als »Computer für jedermann«: MITS verkaufte die erste
Version für weniger als 400 Dollar, das Chassis war kaum größer als eine
Schreibmaschine. Der Altair war der Vorläufer des PC, der heute auf den
meisten Schreibtischen zu finden ist.

Man darf nicht glauben, dass eine solche Maschine große Ähnlichkeit mit dem
hatte, was wir heute unter einem Computer verstehen. Der Ur-Altair hatte
keinen Monitor und keine Tastatur, kein Disketten- oder gar CD-
Rom-Laufwerk. Es war nur ein blau-silberner Kasten, den man über Leisten
mit Kippschaltern »programmierte«. Der Computercode wurde mit Hilfe von
Schalterkombinationen eingegeben. Erst später bot MITS Lesegeräte für
Lochstreifen an, mit denen man Programme ins Gerät laden konnte. Doch 1975
gab es kaum Programme für den neuen Computer. Wer etwas mit ihm anfangen
wollte, musste sich die Anwendung selbst schreiben. 


Back to Basic

Hier kommen der 19jährige William H. Gates und der ein Jahr ältere Paul
Allen ins Spiel. Sie gehörten zu jener Subkultur, die sich Anfang der
sechziger Jahre am MIT entwickelt hatte und die sich in den Computerräumen
der Universitäten auszubreiten begann: Junge Männer, die mit fanatischem
Ehrgeiz bis zur totalen Erschöpfung an den Rechnern saßen.

Der US-Informatikprofessor Joseph von Weizenbaum hat sie in »Computer Power
and Human Reason« so beschrieben: Man könne diese »intelligenten jungen
Männer mit heruntergekommenem Äußeren, die oft tiefliegende, glänzende
Augen haben, an Computerterminals sitzen sehen. Ihre Arme sind angespannt
und warten nur darauf, ihre Finger vorschießen zu lassen, um auf die Tasten
und Knöpfe einzuhämmern. (...) Ihre verknüllte Kleidung, ihre ungewaschenen
und unrasierten Gesichter und ihr ungekämmtes Haar zeigen, dass sie alle
jedes Interesse an ihrem Körper und der Welt, durch die sie sich bewegen,
verloren haben. Das sind die computer bums, die zwanghaften Programmierer.«
Man kann sie auch Hacker nennen. 

Auf Fotos aus seiner Universitätszeit sieht man einen Bill Gates, der der
Beschreibung Weizenbaums entspricht: ein schlaksiger Knabe mit ungekämmten
halblangen Haaren in speckigen Blue Jeans und einem undefinierbaren
Pullover, sein Blick scheint ins Nichts gerichtet zu sein. Als Allen Anfang
1975 aus Popular Electronics von dem neuen Altair erfuhr, war er sofort
sicher, dass diese Maschine eine neue Ära in der Entwicklung des Computers
einleiten würde. Paul Freiberger und Michael Swaine beschreiben die
Situation in »Fire in the Valley - The Making of the Personal Computer« so:
Allen »lief mit dem Artikel über Harvard Square, hielt ihn Gates unter die
Nase, und rief: 'Siehst Du, es ist passiert! Ich habe Dir doch gesagt, dass
das passieren würde! Und wir haben es verpasst!' Gates musste zugeben, dass
sein Freund Recht hatte; es sah in der Tat so aus, als ob sie 'etwas', auf
das sie gewartet hatten, nun gefunden hätten.« Die beiden Hacker
entschlossen sich, ein Betriebssystem in der populären Programmiersprache
Basic für den neuen Rechner zu schreiben. 

Basic (Beginners All-purpose Symbolic Instruction Code) war Anfang der
sechziger Jahre von den Informatikprofessoren John Kemeney und Thomas Kurth
am britischen Dartmouth College als eine Programmiersprache entwickelt
worden, die ihre Studenten in kurzer Zeit lernen konnten. Der Gebrauch von
Computern sollte für sie so selbstverständlich werden wie der Gebrauch der
Bücherei. Es ist kein Wunder, dass Gates und Allen sich für Basic
entschieden, als sie ein Betriebssystem für den Altair entwarfen. Sie
bedienten sich dabei eines Programms, das an einer akademischen Institution
entstanden war, umsonst vertrieben wurde und das, ähnlich wie Linux, von
Hunderten Programmierern auf der ganzen Welt gratis weiterentwickelt worden
war. Allen und Gates privatisierten dieses kollektiv und frei entwickelte
Programm und machten daraus ein Produkt, mit dessen Erlösen sie Microsoft
gründeten. 

Den Altair hatten sie nicht. Sie emulierten die Maschine auf einem Rechner
in Harvard und schrieben auf diesem »virtuellen« Computer ihre Version von
Basic. Roberts übernahm die Basic-Version von Allen und Gates und stellte
Allen als Mitarbeiter ein. Gates kam nach dem Ende des Semesters ebenfalls
nach Albuquerque und wurde freier Mitarbeiter bei MITS. Sein Jura-Studium
hat er nie beendet. In seinem letzten Semester wäre er fast aus Harvard
geflogen. Nach Ansicht der Universität hatte er öffentlich finanzierte
Ressourcen missbraucht, als er an den Uni-Computern kommerzielle,
proprietäre Software schrieb. 

Gates und Allen waren clever genug, Roberts nicht ihr Programm zu
verkaufen, sondern ihm nur eine Lizenz für den Gebrauch zu erteilen. So
erhielten sie einen Teil des Gewinns von jedem verkauften Computer, eine
Methode, die Microsoft bis heute praktiziert und die für die traumhaften
Gewinne der Firma verantwortlich ist. Trotzdem musste Gates feststellen,
dass die meisten Käufer des Altair nicht bereit waren, für das Basic, das
er und Allen geschrieben hatten, zu zahlen, sondern dass sie es
untereinander weitergaben. Ende 1975 sollen bereits der größte Teil der
Basic-Software, die auf Altair-Computern lief, Raubkopien gewesen sein.

Bei einer Konferenz, die MITS 1975 für die Nutzer des Altair veranstaltete,
begann Gates eine Fehde mit den Computeramateuren, die mit Raubkopien von
Software arbeiteten. In ihrem Buch »Computer - A History of the Information
Machine« nehmen Martin Campbell Kelly und William Aspray den Auftritt
Gates' unter die Lupe: »Er nahm eine dramatische Position ein: Er forderte,
dass die Kultur des freundlichen Tauschs von kostenloser Software unter
Computeramateuren durch etwas ersetzt werden sollte, das als Vorläufer
einer Software-Industrie betrachtet werden kann. Gates stieß auf extreme
Feindseligkeit - immerhin war sein Vortrag die vollkommene Antithese zur
Computer Liberation«, von der viele Fans träumten. Gerade Basic galt bei
politisch aktiven Hackern als »the people's language«, und viele
Programmierer hielten es daher »für ihr Recht, das Programm zu kopieren,
ohne dafür zu bezahlen, zumal sie den Preis von 500 Dollar nicht für
gerechtfertigt hielten«, wie Michael Friedemann in »Der Computer als
Werkzeug und Medium« schreibt. 

Doch Gates ließ nicht locker. In einem berühmt gewordenen »Offenen Brief«,
den er an Computerzeitschriften in den USA verschickte, kritisierte er
abermals die freie Weitergabe von Software. Im »Open Letter to Hobbyists«
schrieb er: »Wie die Mehrheit der Computeramateure wissen müsste, stehlen
die meisten von euch ihre Software. Für Hardware muss man bezahlen, aber
Software ist etwas, das man teilen kann. Wen kümmert's schon, ob die Leute,
die daran gearbeitet haben, bezahlt werden. (...) Ihr verhindert damit,
dass gute Software geschrieben wird.« Unterzeichnet ist der Brief mit »Bill
Gates, General Partner, Micro-Soft«. Zu dieser Zeit soll die im August 1975
gegründete Firma bereits mehrere 100 000 Dollar eingenommen haben.

Mitte der siebziger Jahre entstand durch die vielen neuen Micro- und
Personal-Computer, die zu dieser Zeit auf den Markt kamen, ein riesiger
Bedarf nach neuer, benutzerfreundlicher Software. Die Fachpresse in den USA
sprach 1976/77 von einer »Software-Krise«, die durch das Fehlen von
brauchbaren Programmen für Mini-Computer wie den Altair und die schnell
folgenden Konkurrenten wie IMSAI oder SWTPC 6800 entstanden sei. Man kann
nur darüber spekulieren, ob dieser Bedarf auch hätte gedeckt werden können,
wenn Gates nicht den Paradigmenwechsel von freier zu bezahlter Software
eingeleitet hätte. 

Wie das Beispiel von Linux zeigt, ist es nicht immer die finanzielle
Kompensation, die Programmierer dazu bringt, gute Software zu schreiben,
sondern auch die Anerkennung von Kollegen und das Gefühl, an einer
gemeinsamen, guten Sache zu arbeiten. Allerdings ist die Arbeit an einem so
riesigen Projekt wie dem Schreiben eines funktionierenden Betriebssystems
auch erst dadurch möglich geworden, dass über das Internet Programmierer
gemeinsam arbeiten können. Andererseits gibt es bis heute Programme, die
umsonst vertrieben werden oder nur für Unternehmen und Institutionen Geld
kosten, und auch mit diesem Geschäftsmodell können einige Firmen Gewinne
einfahren. Bill Gates hat diese Möglichkeit nie erwogen. Er forderte alle
Amateure, die sein Basic benutzten, dazu auf, ihm Geld zu schicken, das er
in die Verbesserung des Programms investieren wollte: »Nichts würde mir
mehr Spaß machen, als zehn Programmierer einzustellen, und den Markt der
Computeramateure mit guter Software zu überschwemmen.« 

1978 verlegten Gates und Allen den Firmensitz von Microsoft von New Mexico
in einen Vorort von Seattle und begannen, eigene, kostenpflichtige
Versionen von Fortran und Cobol für PC zu verkaufen. Der Aufstieg
Microsofts von einer kleinen Softwarefirma zum internationalen Konzern
begann 1980 mit dem IBM-PC. Der Computerkonzern hatte den PC-Markt lange
ignoriert und erst Ende der siebziger Jahre überstürzt mit der Entwicklung
eines eigenen Personal Computers begonnen. Auf der Suche nach einem
geeigneten Betriebssystem hatte sich IBM zunächst an den ehemaligen
Universitätsprofessor Gary Kildall gewandt, der 1975 zusammen mit Digital
Research das Programm Control Program for Microcomputers, kurz CP/M, als
Betriebssystem auf den Markt gebracht hatte.

Aus Gründen, die heute nicht mehr nachzuvollziehen sind, erhielt Kildall
den Auftrag von IBM nicht. Ihm entging ein gigantisches Geschäft. Statt
Digital Research erhielt Microsoft den Zuschlag, ein Betriebssystem für den
PC zu entwickeln, und der Erfolg dieses Programms wie des IBM-PC und seiner
unzähligen Nachbauten machte Bill Gates im Alter von 31 Jahren zum
Dollarmilliardär. Angeblich sollen bei der Entscheidung, Microsoft den
Auftrag zu erteilen, auch persönliche Verbindungen eine Rolle gespielt
haben: John Opel, der Präsident von IBM, saß mit Gates' Mutter im Vorstand
der Wohltätigkeitsorganisation United Way. 

Die Qualität des Programms war es jedenfalls nicht, was IBM davon
überzeugte, Microsoft den Auftrag zu erteilen, denn zu dieser Zeit hatte
die Firma keine einschlägige Software im Angebot. Als der Auftrag an
Microsoft erteilt wurde, kaufte die Firma die Rechte an dem Programm
SCP-Dos von der Firma Seattle Computer Products. SCP-Dos war, wie Paul
Freiberger und Michael Swaine schreiben, eine »genaue, aber krude Imitation
von CP/M«, die von Microsoft in monatelangen, streng geheimen Arbeiten
unter dem Codenamen »Project Chess« den Erfordernissen des IBM-PC angepasst
wurde. Gleichzeitig sorgte die Firma dafür, dass alle Programme, die für
CP/M entwickelt worden waren, nicht auf ihrem neuen Betriebssystem liefen. 

Robert Slater schreibt in »Portraits in Silicon«, als Kildall MS-Dos zum
ersten Mal ausprobierte, sei er überrascht gewesen über die Parallelen
zwischen PC-Dos und CP/M. »Die beiden Programme waren sich so ähnlich, dass
sogar die Befehle dieselben waren. (...) Es gab in der ganzen
Computerindustrie niemanden, der bezweifelt hätte, dass die beiden
Programme gleich waren. Ich habe das Programm sofort ohne Handbuch benutzen
können.« Kildall verzichtete auf rechtliche Schritte gegen MS- Dos, weil er
befürchtete, einen Prozess gegen IBM nur verlieren zu können.

MS-Dos machte Microsoft zu einem der wichtigsten Player auf dem Markt für
Software. 1984 war das Programm bereits zwei Millionen Mal verkauft worden,
es wurde zum dominanten Betriebssystem in den USA, später auch im größten
Teil Westeuropas und in Japan. Der Aufstieg des Programms ist nicht nur
darauf zurückzuführen, dass es mit dem IBM-PC ausgeliefert wurde. Vor allem
gelang es Gates, IBM davon zu überzeugen, die Hardwarespezifikationen des
IBM-PC zu veröffentlichen.

Da die verschiedenen Komponenten von anderen Herstellern als IBM gekauft
werden konnten, begannen andere Firmen schnell damit, »Klone« des IBM-PC
herzustellen. Aber nicht nur große Unternehmen wie Dell oder Digital
konnten so billige Kopien herstellen, sondern letztlich jeder Bastler. In
den achtziger Jahren wurden »IBM-kompatible Computer« so zum Personal
Computer schlechthin. Die meisten anderen PC-Hersteller von Radio Shack
über Commodore und Atari bis zu Osborne wurden nach und nach vom Markt
verdrängt, bis zuletzt als einziger Konkurrent Apple übrig blieb. 

Dies bedeutete jedoch gleichzeitig das Ende des Monopols von IBM. Bei den
neuen PC zählte nicht mehr in erster Linie das Fabrikat der Hardware,
sondern das Betriebssystem. Microsoft investierte seine Gewinne zum Teil in
die Entwicklung neuer Produkte, die der Firma und ihren Programmen zu einer
immer dominanteren Rolle auf dem Software-Markt verhalfen: das
Betriebssystem Windows, die Textverarbeitung Word und das
Kalkulationsprogramm Excel sowie der Internet-Browser Explorer wurden zu
Marktführern.

Diese Rolle verdanken sie auch der aggressiven Marketing- und Lizenzpolitik
des Unternehmens. Hersteller von PC wurden zum Teil durch Knebelverträge
gezwungen, auch die übrigen Programme von Microsoft zu bundeln.
Gleichzeitig konnte Microsoft durch seine unerschöpfliche Kriegskasse in
anderen Geschäftsbereichen schnell aufholen. So gelang es der Firma zum
Beispiel, den Browser des Unternehmens Netscape vom Markt zu verdrängen,
obwohl Netscape bereits Jahre vor Microsoft die erfolgreiche
Browsersoftware Navigator anbot, die lange die am häufigsten benutzte
Internetsoftware der Welt war. Inzwischen beherrscht Microsoft 80 Prozent
des Browsermarkts.

Auch im Internet hat das Unternehmen inzwischen eine dominante Position.
Das Microsoft-Network (MSN) verbuchte nach einer Untersuchung der
amerikanischen Wirtschaftszeitung Industry Standard vom Juli 2001 weltweit
die meisten Zugriffe auf seine Websites. 55 Prozent der populärsten
Websites in 26 Ländern gehören zu der Software- Firma. Der Hauptgrund für
Microsofts Übermacht im Netz liegt darin, dass die Redmonder ihren eigenen
Browser gemeinsam mit Windows ausliefern. Bei ihnen ist die Website von
Microsoft als Startseite eingestellt, wer seinen Browser öffnet, bewegt
sich automatisch erst einmal zu dieser Website und erzeugt hohe
»Klickraten«, die wiederum Einkünfte durch Banner-Werbung sichern. Auch in
den lukrativen Markt der Computer- Spielkonsolen ist Microsoft mit seiner
Xbox eingestiegen. 


Linux mit Erfolg

Was aber bedeutet der Geschäftserfolg von Microsoft, wenn man ihn vor dem
Hintergrund von Open Source Software betrachtet? Der größte Teil der
gebräuchlichen Software war Mitte der siebziger Jahre, als Microsoft
entstand, so »offen« wie heute zum Beispiel Linux. Von den Vorteilen dieses
Modells hat die Firma profitiert, ohne sie wäre die Unternehmensgründung
weniger erfolgreich ausgefallen.

Paul Allen und Bill Gates nahmen das frei erhältliche Basic, modifizierten
es für den Altair von MITS und privatisierten ihre Version des Programms.
Eine Software, die sie selbst als Open-Source-Programm erhalten hatten,
wurde zu einem profitträchtigen Produkt. Auch das erfolgreiche MS-Dos
basierte auf dem Programm CP/M, das Gary Kildall wiederum aus Elementen der
damals noch freien Programmiersprache Unix und anderen, zu dieser Zeit frei
erhältlichen Betriebssystemen entwickelt hatte. Selbst der Erfolg des
IBM-PC und damit auch von MS-Dos kam nicht zuletzt dadurch zustande, dass
IBM die Bauanleitung des Rechners veröffentlichte und so zum Nachbau
einlud. Und schließlich hat auch der Browser Microsoft Explorer mehr als
eine nur flüchtige Ähnlichkeit mit dem Netscape Navigator, der auf der
Software Mosaic basierte, die am National Center for Supercomputing
Applications an der Unversity of Illinois entwickelt worden war.

Viele der Vorteile, die Microsoft zum Marktführer gemacht haben, verdankt
das Unternehmen frei zugänglicher Software und ihrer kollektiven
Weiterentwicklung. Das Unternehmen hat freilich mit martialischen Maßnahmen
dafür gesorgt, dass seine eigenen Produkte gegen die Übernahme und
Weiterentwicklung durch Dritte geschützt wurden und somit Konkurrenten in
den von dem Unternehmen dominierten Geschäftsfeldern keinen Fuß fassen
konnten. Selbst IBM scheiterte mit dem Versuch, ein eigenes Betriebssystem
als Konkurrenz zu Microsofts Windows zu etablieren. Viele Beobachter
glauben darum, dass die Dominanz von Microsoft dazu geführt hat, dass
Innovationen auf dem Markt für PC-Software verhindert werden und dass
Microsoft die Preise für seine Produkte nach Belieben bestimmen kann.

In den letzten Jahren ist das Misstrauen gegenüber Microsoft und seinen
Produkten größer geworden. Denn die fehlende Transparenz der Programme
trägt auch zu ihrer mangelnden Sicherheit bei. E-Mail-Viren wie »I LOVE
YOU« haben meist Lücken im Mail-Programm Outlook von Microsoft ausgenutzt.
Bei Open-Source-Programmen können entsprechende Veränderungen schnell von
Dritten durchgeführt werden, während man sich bei Outlook strafbar machte,
würde man das Programm modifizieren, um Virenschäden zu verhindern.
Sicherheitslücken gibt es auch beim Browser Internet-Explorer, der
Webserver-Software, der neuesten Inkarnation des Microsoft-Betriebssystems
Windows, beim Passport-System, das Internet-Surfern das Einkaufen im
Internet leichter machen soll, und beim Programm Media Player. Die
ununterbrochene Berichterstattung über die Sicherheitsprobleme hat sogar
dazu geführt, dass Bill Gates im Dezember 2001 erklären musste, die
Systemsicherheit bei Microsoft-Programmen habe in Zukunft oberste Priorität.

Andere Anzeichen dafür, dass die Art und Weise, wie Microsoft Geschäfte
macht, von den Konsumenten und der Justiz nicht mehr widerspruchslos
toleriert wird, kommen seit Mitte der neunziger Jahre aus den USA. Dort
sind verschiedene Verfahren wegen Monopolbildung gegen das Unternehmen
anhängig; die Europäische Kommission ermittelt in gleicher Sache.

Und auch die »Rache der Hacker« an Microsoft, nämlich der Erfolg von Linux
und anderer quelloffener Software, ist wohl zu einem nicht geringen Teil
der Unzufriedenheit vieler Computernutzer mit den Programmen von Microsoft
und der Geschäftspolitik des Unternehmens zuzuschreiben. Nicht wenige
Länder vor allem in der Dritten Welt sind in den letzten Jahren dazu
übergegangen, im Informatikunterricht ihrer Schulen statt Microsoft-
Produkten Open Source Software einzusetzen. 

Wie die Halloween Papers zeigen, hat das Unternehmen früh begonnen, sich
mit Linux als potenziellem Konkurrenten auseinander zu setzen. Die Memos
zeigen, dass man bei Microsoft einige der Vorteile von freier Software gut
verstanden hat. Der freie Austausch von Ideen, der bei Open Source Software
möglich sei, habe Vorteile, die Microsoft nicht bieten könne, heißt es in
einem Dokument, das ein Microsoft-Mitarbeiter namens Vinod Valloppillil
verfasst hat. In dem Memo gibt er zu, dass Open Source Software wie Linux
langfristig die Qualität von kommerzieller Software erreichen oder sie
sogar übertreffen könne und dass diese Programme bei ihren Usern eine hohe
Glaubwürdigkeit genössen.

In einem zweiten Memo ging Valloppillil noch weiter. Er räumte ein, dass
Linux schneller und zuverlässiger als Windows sei, sich leichter den
Bedürfnissen seiner Benutzer anpassen ließe und weniger schnelle Rechner
als das eigene Produkt benötige. Außerdem wies er darauf hin, dass Firmen
wie Compac und Dell Linux auf ihren Computern bereits anböten und dass das
Programm beim Betrieb von Webservern immer häufiger zum Einsatz käme. Diese
Memoranden blieben im Unternehmen nicht folgenlos. Immer wieder haben sich
Bill Gates und andere Manager in der Öffentlichkeit über Linux und andere
Open Source Software abwertend geäußert, gleichzeitig aber versucht, die
Bedrohung, die von dieser Software-Produktionsmethode ausgeht, zu minimieren. 

Zu diesen Versuchen gehört auch die Einführung einer Shared Source- Lizenz,
die mit ihrem Namen, aber auch nur damit, an das Konzept von Open Source
erinnert. Denn während Open Source nicht nur eine Offenlegung des
Quellcodes eines Programms verlangt, sondern auch die Möglichkeit einräumt,
dass dieser Code von jedermann modifiziert und weiterverbreitet werden
kann, gestattet die Shared Source lediglich einer ausgewählten Gruppe von
Benutzern einen Einblick in den Code eines Microsoft-Programms.
Universitäten, Forschungsinstitute und Entwickler von Software, die mit
Microsoft-Programmen kompatibel sind, dürfen nun den Code von Programmen
wie Windows CE einsehen. Das nützt vor allem Microsoft. Denn so ist es
Dritten leichter möglich, Software zu schreiben, die reibungslos mit den
Produkten des Unternehmens funktioniert. 

Die Auseinandersetzung zwischen Gates und der Linux-Community dürfte den
meisten Außenstehenden, die mit der Materie nicht vertraut sind, wie der
Streit zwischen einem erfolgreichen Geschäftsmann und einer Gruppe
fanatischer Hacker erscheinen. Erst wenn man die Vorgeschichte der
Auseinandersetzung kennt, werden die philosophisch-politischen
Implikationen deutlich. Während Microsoft an der Maximierung der Profite
interessiert ist, geht es den Linux-Hackern um den freien Austausch von
Wissen. Der US-Programmierer Richard Stallman bringt seine Position im
GNU-Manifesto auf den Punkt: »Wenn ich ein Programm gut finde, muss ich es
mit anderen Menschen, die es gut finden, teilen.«


Eine vollständige Fassung des Artikels erscheint im Oktober in: Alexander
Roesler/Bernd Stiegler (Hrsg.): Microsoft, Macht, Monopol. Edition Suhrkamp
2281





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