Tilman Baumgaertel on Mon, 17 Jun 2002 14:59:06 +0200 (CEST) |
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Geschrieben für MedienRezensionen 3/2002, Schüren Verlag Sammelrezension Computerspiele, "I fell in love with videogames because I believed in the future..." Van Burnham Mathias Mertens; Tobias O. Meißner: Wir waren Space Invaders - Geschichten von Computerspielen, Frankfurt/Main 2002: Eichborn, ISBN 3-8218-3920-1, 192 S., 17 Euro 90 Konrad Lischka: Spielplatz Computer - Kultur, Geschichte und Ästhetik des Computerspiels, Hannover 2002: Verlag Heinz Heise, ISBN 3-88229-193-1, 180 S., 15 Euro Steven Poole: Trigger Happy - Videogames and the Entertainment Revolution, New York 2000: Arcade Publishing, ISBN 1-55970-539-6, 242 S., Van Burnham: Supercade - A Visual History of the Videogame Age 1971 - 1984, Cambridge, Mass.: MIT Press, ISBN 0-262-02492-6, 450 S., 49 Dollar 49 www.supercade.de Jaro Gielens & Robert Klanten (Hrsg.): Electronic Plastic, Berlin 2000: Die Gestalten, ISBN 3-931126-44-7, 69 Mark www.handhelden.de Ässthetik & Kommunikation, Heft 115, 32. Jahrgang, Winter 2001/2, Schwerpunkt Computerspiele Diese schon Anfang 2002 vereinbarte Sammelrezension von Büchern über Computerspiele hat einen aktuellen Anlass erhalten. Nachdem der Erfurter Schüler Robert Steinhäuser in seiner ehemaligen Schule Amok lief und 17 Menschen umbrachte, wird in Deutschland wieder über den Zusammenhang von Jugendgewalt und Computerspielen diskutiert. Die Bücher, die im folgenden vorgestellt werden, gehören nicht zu den zahlreichen deutschsprachigen Publikationen und Studien, die versuchen, einen Zusammenhang zwischen dem Daddeln am Computern und einer angeblich zunehmenden Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen herzustellen. Alle fünf Bücher stammen von bekennenden Games-Fans, die mit Computerspielen aufgewachsen sind und aus der Liebhaber-Perspektive über sie berichten. Die Ausgabe zum Thema "Computerspiele" von Ästhetik und Kommunikation lässt ebenfalls Fans zu Wort kommen, ist aber ansonsten eine der raren Veröffentlichung, in der Medienwissenschaftler und andere Akademiker zu Wort kommen, die Computerspiele nicht in erster Linie als soziales Problem betrachten, sondern sich aufgeschlossen und kenntnisreich mit ihrer Ästhetik und der Entwicklung auseinandersetzen. Dabei wird die Gewalt-Frage zwar nicht unbedingt ausgespart, sie steht aber auch nicht im Mittelpunkt dieser Publikationen. Gerade darum täte jeder "Jugend-" und "Medien-Experte" gut daran, einen Blick in eins dieser Bücher zu tun, um sich sachkundig zu machen, bevor er oder sie sich das nächste Mal in Diskussionsrunden und Zeitungsinterviews zum Thema Computerspiele äußert. "Wir besaßen richtige Computer und gingen ganz selbstverständlich mit ihnen um. Der Unterschied zwischen RAM und ROM war uns klar, wir konnten mit den Grammatiken von Disk-Operating-Systems umgehen, hantierten mit Disketten-Monitoren und sprachen ganz gezielt einzelne Speicherbereiche mit Maschinensprache-Befehlen an. Dass das alles nur dazu diente, um das neueste Spiel zum Laufen zu bringen, spielte strukturell keine Rolle. Dem Computer ist es völlig egal, ob er nun Spiele darstellt oder Mandelbrot-Mengen", schreibt Tobias Meissner im Vorwort zu "Wir waren Space-Invaders" (S. 12). Dass Computerspiele für vieler ihrer User die "Einstiegsdroge" zur ernsthaften Arbeit am Computer, ja, sogar zum eigenen Programmieren waren, ist ein Argument für die Games, das alle Autoren ins Feld führen. Auch die Möglichkeit, als Kind oder Jugendlicher selbst Einfluss auf eine komplexe (und für die eigenen Eltern oft unverständlichen) Maschine zu nehmen und das Gefühl, der Zukunft näher zu kommen, werden in allen Büchern hervorgehoben. Doch in keinem der Bücher geht es nur um den erzieherischen Wert der Games. Sie alle feiern auch die bunte, zum Teil fast surrealistisch anmutende Pop-Kultur, die sich um die Games herum entwickelt hat. "Wir sind die Space Invaders" und Konrad Lischkas fast gleichzeitig erschienendes "Spielplatz Computer" sind wohl die ersten deutschsprachigen Bücher seit "Pac Man & Co" von Georg Seesslen und Christian Rost aus dem Jahr 1982, die versuchen, die Ästhetik und Kultur von Games dingfest zu machen statt in erster Linie die "Gewaltfrage" zu diskutieren. Nachdem in den USA bereits seit Anfang der 90er Jahren erste Bücher über die Geschichte des Computerspiels erschienen sind, zeigen diese Bücher, dass nun auch in Deutschland die erste Generation, die mit Games sozialisiert wurde, in das Alter gekommen ist, in dem man die Erlebnisse der eigene Jugend zu kanonisiert und geschichtlich aufarbeitet. Sie sind - ähnlich wie die unzähligen Websites, die es inzwischen im Internet zu historischen Computerspielen gibt - erste Anzeichen einer Art Do-It-Yourself-Medienwissenschaft, die sich aus Fan-Perspektive mit einem genuinen Computerphänomen beschäftigt. "Wir waren Space Invaders" ist ein witzig und flott geschriebenes Buch voller pointierter Einsichten. Immer wieder verfallen die Autoren dabei in die "Wir-Perspektive". Aus der Sicht echter Fans singen sie in einem Stil, der auch Laien einleuchten dürfte, ein Loblied auf die Computerspiele, und ihr Enthusiasmus ist ansteckend. Erzählt wird die Geschichte des Videospiels mit den aus einer Reihe von englischsprachigen Publikationen inzwischen bekannten Stationen: Die ersten Spiele wie "Tennis for Two" und "Spacewar!", die erste Spielkonsole "Odysee", die Gründung von Atari. Danach hält sich das Buch nicht weiter mit technischen Details und Konsolentypen auf, sondern widmen sich einer Reihe bekannter Spiele, die zur Entwicklung und Erweiterung des Genres beigetragen haben: "Breakout", "Space Invaders", "Pac-Man", "Donkey Kong" ("das erste literarische Computerspiel", S. 86), "Tetris" ("eine Verschwörung des leeren Raums gegen den Drang des Menschen, sich mit seinen Bauten gegen das Nichts zu stemmen", S. 145), "Sim City", "Doom", "Myst", "Tomb Raider". Immer wieder weist Mertens dabei auf Parallelen zwischen den in einem Lebensabschnitt gespielten Games und dem jeweiligen Stand der Computertechnologie und der biographischen Phase hin: "Die Lemminge (in dem Spiel "Lemmings" - T.B.) waren eine Metapher für den Datenstrom, der durch unsre 386er floß und sinnlos versickerte. Erst unsere gezielten Handgriffe in Form von DOS-Befehlen, ließen Einsen und Nullen dort ankommen, wo sie sich zu sinnvollen Textdateien oder Anwendungsprogrammen formieren konnten und zur Ruhe kamen. Und so wie wir mit einem lässigen ‚/p' den ‚dir'-Befehl dazu bringen konnten, uns den Inhalt eines Ordners in gut lesbaren Seitenhäppchen zu präsentieren, so konnten wir mit einem Mausklick die Lemminge umprogrammieren und zu Dienern unserer Sache machen." (S. 158) Unterbrochen werden diese kurzen Kapitel von einigen medienwissenschaftlichen Betrachtungen über grundsätzliche Aspekte des Gamings. Während die Analysen der Spiele in leichten Ton oft bemerkenswerte Einsichten vermitteln, sind diese Texte zum Teil leider enttäuschend flach. Hier hätten sich die Autoren an der Art, wie der englische Autor Steve Pool in seinem Buch "Trigger Happy" Spiele erklärt, ein Beispiel nehmen können. Konrad Lischka erzählt die Geschichte von Computerspielen entlang derselben Linien. Allerdings legt er in seinem Buch größeren Wert auf Klassifizierungen von Spielen und auf die geschäftlichen, sozialen und kulturellen Hintergründe der Games-Industrie. Er beleuchtet verschiedene Genres wie Advertures, MUDs, Online- oder Strategiespiele, und liefert auch Material etwa zu den Geschlechterrollen in Games oder den theoretischen Ansätzen, die versuchen, den Reiz von Videospielen zu erklären. Mertens/Meißner wie auch Lischka verlassen sich dabei allerdings inhaltlich stark auf die Recherchen der US-amerikanischen Autoren und nehmen dabei oft den Blickwinkel der Amerikaner ein. Es wäre zu begrüßen, wenn in zukünftigen Publikationen zum Thema verstärkt auf die europäische Entwicklungen (z.B. den die Commodore-64-Szene) eingegangen würde; den Verdiensten einer kleinen Gruppen von europäischen Programmierer, die hitverdächtige Musik für C64-Rechner geschrieben haben, ist zum Beispiel bisher nur ein CD-Sampler mit einem kleinen Booklet gewidmet worden. Eine interessante Vorgeschichte des Computerspiels, die über die bekannten Stationen hinausgeht liefert dagegen zum Beispiel der Weimarer Medienwissenschaftler Claus Pias in seinem Beitrag für "Ästhetik & Kommunikation": die ersten Computerspiele waren für ihn strategische Krisensimulationen im Pentagon während des Kalten Krieges, in denen die US-Army den Ernstfall erprobte. Nebenbei sägt er auch gleich an dem Mythos, dass "Tennis for two" das erste Computerspiel war. ("Welt im Raster", S. 39 - 50) Sowohl Lischka wie Mertens/Meißner geben dagegen viele der Mythen und Anekdoten wieder, die sich um bestimmte Games gerankt haben und die seit Jahren von Fan-Mund zu Fan-Ohr weitergeflüstert werden: die Pizza, die angeblich die Form von Pac Man beeinflusst haben soll, die 100-Yen-Stücke, die in Japan nachgeprägt werden mussten, weil sie so schnell in den "Space Invaders"-Automaten verschwanden, die bekifften Hippies, die - wie es die Legende will - bei Atari Konsolen zusammengelötet haben sollen - je öfter man diese Geschichten hört, desto stärkere Zweifel kommen einem daran, ob das alles so wirklich stimmt. Immerhin melden Mertens/Meißner selbst an einigen dieser Histörchen Zweifel an, oder wiederlegen einige der Klassiker sogar - zum Beispiel die berühmte Geschichte vom ersten Pong-Automaten, der in seiner Debut-Nacht in einer kalifornischen Kneipe so oft gespielt wurde, dass die Münzen nach wenigen Stunden die Maschine verstopften. Die Geschichte erzählt Pong-Erfinder Nolan Bushnell inzwischen sogar selbst, obwohl sie in der Literatur längst widerlegt worden ist. Ein grundsätzliches Manko plagt leider beide Bücher: wie soll man die Faszination der knallbunten Spiele verstehen, wenn man sie überhaupt nicht sehen kann? "Wir waren Space Invaders" enthält bedauerlicherweise überhaupt keine Illustrationen, "Spielplatz Computer" nur kleine Schwarz-Weiß-Bilder. Die zweitbeste Alternative, hier Abhilfe zu schaffen - nach dem Spielen selbst, natürlich - sind die Bücher "Supercade" von Van Burnham und "Electronic Plastic" von Jaro Gielens und Robert Klanten. "Supercade" dürfte das erste "Coffeetable-Book" sein, dass je einem Computerthema gewidmet worden ist. Für den Wälzer im LP-Großformat und mit 450 knallbunten Seiten hat Van Burnham, die das Buch auch selbst layoutet hat, eine dem Thema vollkommen entsprechende Buchgestaltung entwickelt. Alle wichtigen Konsolen und eine Auswahl der populärsten Spiele aus den 70er und 80er Jahren sind in sorgsam am Rechner nachgebauten Illustrationen zu sehen und werden kurz besprochen - in einigen Fällen sogar von den Programmierern selbst. Da die meisten Spiele inzwischen kaum noch zu spielen sind, weil die notwendige Hardware auf dem Schrott gelandet ist, helfen die Illustrationen von "Supercade", zu verstehen, wieso die Arbeit der Softwarefirma Activision in den frühen 80er Jahren mit dem italienischen "Memphis Design" verglichen werden, auch wenn man keine Atari-2600-Konsole von damals besitzt. Das Buch "Electronic Plastic" präsentiert die Sammlung von "Handheld"-Computerspielen von Jaro Gielens. Auch die kleinen Computer, eine Art Vorläufer des Gameboys, bestechen heute - wie die Spiele von damals - durch ihr gleichzeitig simples, fantasievolles und futuristisches Design im Stil der späten 70er und frühen 80er Jahren. Wer die ebenfalls (von der Grafikdesign-Agentur Büro Destruct) hervorragend gestaltete Publikation durchblättert, versteht, warum für die aufwendig gestalteten Mini-Konsolen beim Internet-Versandhaus Ebay inzwischen Höchstpreise geboten werden. Bleibt "Trigger Happy" von Steven Poole: der englische Journalist hat das bisher reifste und durchdachteste Buch über Computerspiele geschrieben. Wer eine fundierte Auseinandersetzung mit der Kultur von Computerspielen haben will, ist hier richtig. Poole versucht in "Trigger Happy" nicht weniger als eine erste Ästhetik des Videospiels zu schreiben. Er hat dafür nicht nur Video-Spielmagazine und Fan-Websites gelesen, sondern auch Heidegger, Pierce, Gombrich und Huizinga. Seine Analysen gewinnen dadurch, dass er immer wieder traditionelle theoretische Ansätzen einbezieht. "Pac-Man" ist für ihn eine "Parabel des Spät-Kapitalismus" (S. 178), "Battlezone" "leuchtender Neoplatonismus" (S. 208), die "Extra-Lifes" in Spielen wie "Defender" oder "Space Invaders" eine "ethisch umgekehrte Form des Buddhismus" (S. 55). Steve Poole ist kein Kracauer und kein Bazin, doch seine Analysen gehören zu dem reflektiertesten und originellsten, was bisher über Computerspiele geschrieben worden ist. Zusammen mit der "Computerspiele"-Ausgabe von "Ästhetik & Kommunikation" liefert "Trigger Happy" erste Handreichungen zu einer Poetik des Computerspiels. Tilman Baumgärtel, Berlin ------------------------------------------------------- rohrpost - deutschsprachige Liste zur Kultur digitaler Medien und Netze Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost http://post.openoffice.de/pipermail/rohrpost/ Ent/Subskribieren: http://post.openoffice.de/cgi-bin/mailman/listinfo/rohrpost/