Dietmar Kammerer on Thu, 19 Sep 2002 11:35:08 +0200 (CEST) |
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[rohrpost] OmniCleaner |
Folögendes Interview erschien heute, am 19.09.02 in der SZ: Sie können Ihren Rechner jetzt ausschalten Ein Gespräch mit dem Computerexperten Alvar Freude über den Filter „OmniCleaner“, der die Zensur im Internet kinderleicht macht Alvar Freude, Dragan Espenschied und Andreas Milles haben ein Filtersystem für das Internet entwickelt. Sie haben es den „OmniCleaner“ genannt, im Internet zu finden unter „www.omnicleaner.com“ oder „ www.odem.org“, weil es den Inhalt von Webseiten und Email nach Belieben „reinigt“. Im Interview spricht Alvar Freude über die technischen Möglichkeiten einer künftigen Internet-Zensur und das Erschrecken darüber, dass so etwas wie der „Alles-Putzer“ die Wirklichkeit verändern könnte. SZ: Das Internet gilt als unkontrollierbar. Sie sagen, dass der von Ihnen entwickelte „OmniCleaner“ das Internet sogar manipulieren könne. Wie wollen Sie alle existierenden Internetseiten, alle Email unter Ihre Kontrolle bringen? Alvar Freude: Es ist ein weit verbreiteter Irrtum zu glauben, dass man Internetseiten „direkt“ abruft, dass also Nutzer- Rechner und Inhaltsseite unmittelbar miteinander verbunden sind. Sie sind es nie. Denn es gibt immer „Brückenrechner“, über die der Nutzer an Netzinhalte wie Webseiten oder Email gelangt, etwa die Rechner einer „Fire-Wall“ in einem Firmennetz. In einem Langzeitexperiment haben wir die von uns entwickelte Software auf den Brückenrechner der Stuttgarter Merz Akademie aufgesetzt. Der Manipulationsserver bildete so das Nadelöhr zwischen den Computern der Nutzer und dem World Wide Web. Durch ihn lief der gesamte WWW-Verkehr. Und an uns ging nichts mehr vorbei. SZ: Was haben Sie damit gemacht? Freude: Natürlich kann unser System nicht die Original- Inhalte der Webseiten verändern. Der Filter manipuliert aber die Darstellung dieser Seiten auf den Rechnern der Nutzer. Er verändert Texte. Und zwar präventiv. Wir haben lediglich die Regeln aufgestellt, nach denen die ein- und ausgehenden Datenströme gefiltert werden. So können wir jedes Wort auf einer Web-Seite durch ein beliebiges anderes ersetzen lassen. Textpassagen werden hinzugefügt, Textteile geschwärzt oder verändert. „Und“ wird zu „oder“, „nicht“ zu „bestimmt“. Aus einem „Obersturmbannführer“ wird der „Präsident und Vorsitzende“. Oder umgekehrt. Man kann Webadressen vollständig blockieren oder auf beliebige andere Seiten umlenken. Diese Manipulationen geschehen ohne Verzögerung in Echtzeit. Man schafft eine neue Realität. SZ: Sie haben Internet-Inhalte nicht nur manipuliert, sondern auch diktiert? Freude: Genau. Das klappt auch bei web-basierten Email- Diensten. Dort ließen wir einen Hinweis auf die nicht existierende „Global Penpals Association“ einlaufen: Wer seine Email abrief, wurde mit einem „Brieffreund“ konfrontiert, der „aufgrund der persönlichen Einstellungen und des Surfverhaltens“ ausgesucht wurde. Woher aber weiß das Emailprogramm von persönlichen Einstellungen und dem Surfverhalten? Das hätte stutzig machen müssen. Hat es aber nicht. SZ: Niemand hat etwas bemerkt? Freude: Nein, leider nicht. Wir wurden sogar immer dreister. Wir veränderten die Ergebnisse von Suchmaschinen, spannten vor Musiktauschbörsen ein unsinniges Formular, das den Mädchennamen der Mutter abfragte. Ja, wir schalteten fiktive Werbebanner als „Commercial Break“ der amerikanischen Regierung, die so angeblich den Unterhalt des Netzes finanzieren wollte. Schließlich haben wir ein „Blockwartsystem“ installiert. Über jede Website wurde ein Kasten gestülpt, in dem der Nutzer gefragt wurde, ob er die Site als anstößig, geschäftsschädigend oder gotteslästerlich empfindet. Seine Einschätzung konnte man an eine fiktive Aktion „GegenRechts. de“ schicken. Natürlich landeten diese Mails, wie die Penpal- Antworten, bei uns. Die Krönung war, dass wir auf alle Nutzer- Rechner das typische Letztbild: „Sie können den Computer jetzt ausschalten“ eingespielt haben. Die Leute haben das dann auch brav gemacht. SZ: Warum haben Sie ein solches Horrorsystem überhaupt entwickelt? Freude: Wir wollte Dreierlei testen: Erstens: Kann man ein umfassendes Filtersystem für das Internet bauen, das beliebige Webseiten verändert und sogar im laufenden Betrieb immer neue Filterregeln akzeptiert? Ja, das geht. Es ist sogar sehr einfach. Zweitens: Bemerken die Nutzer solche Manipulationen? Das Ergebnis ist erschreckend: Man muss extrem weit gehen. Zum Schluss waren die Webseiten mit tagesaktuellen News bis zur Unleserlichkeit verstümmelt doch niemand hat Anstoß genommen. Und drittens: Was geschieht, wenn die Leute von den Manipulationen erfahren? SZ: Und? Wie haben sie reagiert? Freude: Uns ist ein Fehler unterlaufen: Der Manipulationsserver ist ausgefallen. Da der Rechner jedoch das „Tor zum Internet“ war, gelangte niemand mehr ins Netz, auch nicht ins manipulierte. Und das endlich fiel auf. Wir haben dann ein „Geständnis“ abgelegt und eine einfache Anleitung gegeben, wie man den Filtermechanismus abschaltet. Auch das hat kaum jemanden interessiert. SZ: Wie bewerten Sie das? Freude: Es bedeutet, dass Filtersysteme im Internet nicht als Mittel der Zensur wahrgenommen werden. Wenn man Inhalte blockt, fällt das noch auf. Unauffälliger ist es, die Webseiten für die Empfängerseite zu verändern. Dennoch muten sie immer noch an, als stammten sie vom Originalabsender. SZ: Es gibt so viel Schmutz und Gewalt im Internet: Was sollen Politiker tun, wenn sie nicht gleich „Großer Bruder“ spielen wollen? Freude: Man muss die Medienkompetenz und Kritikfähigkeit der Nutzer stärken. Angesichts der Fülle illegaler und volksverhetzender Inhalte im Netz sollte man nicht fragen, wie man sie ausfiltern kann, sondern vielmehr, wie sie hinein gekommen sind. Lehrer etwa sollten die historische Wahrheit gegen die rassistischen Lügen stellen aber nicht überlegen, wie man Nazi-Seiten blockt. Denn sobald man anfängt, das Netz zu filtern, wird der Manipulation Tür und Tor geöffnet: Wer bestimmt, was angeschaut werden darf? Wie vertrauenswürdig werden die Informationsmonopolisten sein, die bestimmen sollen: Das ist egal, das ist legal, das ist illegal? Wer also kontrolliert die Kontrolleure, wenn wir nicht einmal mehr wissen werden, dass das Netz unter Kontrolle steht? SZ: Wie muss man sich Ihren Manipulationsrechner eigentlich vorstellen? Ist das ein Hochleistungscomputer? Freude: Nein. Das ist ein ganz normaler PC. Noch nicht einmal der schnellste. Interview: Bernd Graff ------------------------------------------------------- rohrpost - deutschsprachige Liste zur Kultur digitaler Medien und Netze Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost http://post.openoffice.de/pipermail/rohrpost/ Ent/Subskribieren: http://post.openoffice.de/cgi-bin/mailman/listinfo/rohrpost/