Florian Cramer on Mon, 13 Jan 2003 20:45:01 +0100 (CET)


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Re: [rohrpost] Workshop Freie Software


Am Montag, 13. Januar 2003 um 18:53:08 Uhr (+0100) schrieb Ingo Luetkebohle:
 
> Aber was soll das?  Was sagt das aus?  

Daß es ein paar überoptimistische Vorurteile und übereilte
Schlußfolgerungen über GNU/Linux als Desktop-OS gibt, die auch in dieser
Diskussion zirkulierten, daß nämlich das System

- weil es frei ist, auch kostenlos sei (ja, aber nur dann, wenn man
  nichtkommerzielle Distributionen verwendet, Traffic, der von
  Netzwerk-Installationen verursacht wird, nicht zahlen muß und weder
  Ansprüche an Support, noch an Weiterentwicklungen stellt und die
  Entwickler in keiner Form unterstützt).

- erheblich weniger Resourcen fresse (ja, aber nur ohne fette 
  Desktop-Software, wie sie kommerzielle Distributionen als Standard
  installieren).

- weil es heutzutage "einfach zu installieren" sei (ja, in puncto
  Erstinstallation und Softwareupdates), auch kein Unix- und
  Administratoren-Knowhow mehr brauche (nein, es sei denn, man macht es
  wie die meisten Windows-Nutzer und löst Probleme entweder gar nicht oder
  durch trial-and-error und periodische Neuinstallationen).

- für fast jede populäre PC-Anwendung ein Freies Software-Pendant
  auf freshmeat.net oder sourceforge.net bereithalte (ja, wenn man 
  umzudenken bereit ist und "Anwendung" nicht mit "Computerprogramm" 
  gleichsetzt, also z.B. ein Buch statt in Quark XPress mit groff, TeX, 
  lout oder SGML/jade setzt oder ein Musikstück statt mit CuBase mit 
  PD komponiert; nein, wenn man unter GNU/Linux die von Windows oder 
  MacOS gewohnten Arbeitsumgebungen und Arbeitsweisen behalten möchte; 
  abgesehen von einigen Dingen, die es wirklich nicht gibt, wie z.B. 
  brauchbare OCR-Software).

Nach sechs Jahren Arbeit mit Freier Software inkl. Advocacy und Support
in Usergroups, Newsgroups und Mailinglisten, bei Infotagen und
Installationsfesten ist es nicht nur meine Erfahrung, daß ca. 90% all
derer, die sich für Freie Software interessieren und einen Umstieg auf
GNU/Linux versuchen, scheitern. Es scheitern vor allem die, die nur ein
besseres Windows haben wollen.  Am Ball bleibt erfahrungsgemäß, wer sich
(a) systematisches Unix-Wissen aneignet und (b) die Unix-Philosophie
schätzen lernt oder sogar bestimmte Unix-Software als Killer-Applikation
braucht. Die Kommandozeilenumgebung, die Netzwerk- und
Entwicklersoftware sind solche Killerapplikationen; auf dem Desktop sind
sie rar, bestenfalls LyX und PD fielen mir ein. 

Ich halte deswegen wenig davon, Neuanwender mit dem Argument zu ködern,
daß freie Software heute nicht komplizierter zu benutzen sei als
kommerzielle Desktop-Betriebssysteme. Wer sein Computersystem mit einer
bloßen Plug'n'Play-Konsumentenhaltung nutzen will (was ja nicht
verwerflich ist - zu einem Auto z.B. verhalte ich mich auch nicht
anders), ist mit freien Unix-Clones sehr schlecht bedient. Es sei denn,
er oder sie engagiert jemanden dafür, das System einzurichten und in
Schuß zu halten.

-F


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