Harald =?iso-8859-15?q?Hillg=E4rtner?= on Sun, 2 Feb 2003 00:25:02 +0100 (CET)


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Re: [rohrpost] Nachtrag zum bootlab



Am Samstag, 1. Februar 2003 15:57 schrieb Florian Cramer:
> Ähnlich wie Mercedes sehe ich hier die Gefahr eines Platonismus mit
> umgekehrten Vorzeichen, in dem die Hardware Essenz ist und die Software
> mit ihren Abstraktionsschichten verderbter Abglanz dieser Essenz.  Ein
> Essentialismus, in dessen Falle meiner Meinung nach Kittler und seine
> Schule geraten sind.

Na, ganz so plump ist der gute Kittler dann doch nicht. Wenn ich ihn richtig
lese, dann geht es vielmehr darum, dass die User nicht systematisch von der
Betriebssytemebene, oder Hardware, abgeschnitten, also entmündigt werden. Von
einer generellen Ablehnung von Software und von GUIs habe ich bisher nichts
gelesen. Auch wenn es mitunter den Anschein haben mag.
Als Autor ist Kittler recht gewitzt.

> Andererseits stimme ich zu, daß graphische Benutzeroberflächen - egal
> ob Windows, MacOS 9/X, KDE oder Gnome -, regressiv sind.  Definiert
> man Computer als Maschinen zur Automatisierung von Arbeitsabläufen
> durch Programmierung, so regredieren heutige GUIs den Computer zu
> einem recht stupiden, nur manuell bedienbaren Werkzeug.  Es gibt zwar
> Scripting-Engines auch für die o.g. Systeme, aber sie sind einer
> manuellen Bedienlogik nur extern aufgeschraubt, vergleichbar etwa mit
> einem Arsenal von Aufschraub-Motoren für die einzelnen Werkzeuge eines
> Taschenmessers.  Eine Unix-Shell hingegen ist bereits in sich ein
> vollwertiger Programm-Interpreter (wie z.B. BASIC oder Perl), in der
> Programmierung keine esoterische Geheimwissenschaft ist, sondern ganz
> simpel das Abspeichern einer Reihe von Kommandos in eine Textdatei, die
> man später wieder ausführen kann, um sich ihre wiederholte Eingabe zu
> sparen.

Wobei sich m.E. auch ein grafisches Frontend zu einem, oder mehreren
Programmen, sich nach dieser Argumentation verstehen lässt. Als Beispiel etwa
"cdrecord", dass sich unter Eingabe aller notwendigen Parameter aus einer
Konsole heraus bedienen lässt (oder eben mithilfe selbstgeschriebener
Skripte). Nimmt man aber eins der zahlreichen Frontends, so sind die
Parameter in der Fläche aufbereitet (der GUI), also anklickbar, und ähnlich
der Erstellung eines Skriptes in einem Editor als Kette von Befehlen und
Parametern in dieser 'Anklick-Logik' zusammenstellbar. Desweiteren bieten
Frontends häufig die Intergration mehrer Programme innerhalb eines Interface.
Etwa cdrecord, mkisofs, cdda2wav, etc. Warum dies nun "stupider" oder
"manueller"  ist, als das (ebenso manuelle) Erstellen der Skripte oder das
(manuelle) Aufrufen der Skripte, leuchtet mir nicht so unmittelbar ein.

Dies tangiert zwar nicht das Argument der "Turing-Vollständigkeit", aber
unterschieden werden kann sicherlich zwischen der Programmierung und dem
(alltäglichen) Arbeiten mit Programmen. Letzteres, das wäre mein Einspruch,
wird durch die Verwendung von GUIs nicht regressiver.
Zumal das Arbeiten mit GUIs die parallele Verwendung von Shells ja nicht
ausschließt.

> Der springende Punkt eines Computerinterfaces (zu denen ich auch
> Programmiersprachen zähle) ist für mich deshalb nicht die Abstraktion
> vom Maschinencode, sondern die Frage, ob es algorithmisch programmierbar
> bzw. Turing-vollständig ist. Ob die Programmiersprache nun Assembler,
> bourne shell, LISP oder meinetwegen auch BASIC heißt, ist dabei leztlich
> egal, denn jede von ihnen ist ein Weg, der zum selben Ziel führt (es sei
> denn, man programmiert zeit- und speicherkritische Anwendungen), und
> jede von ihnen basiert letztlich auf denselben Strukturen: Variablen,
> Operatoren, Schleifen, if/then-Bedingungen.

....

Harald.


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