Tilman Baumgärtel on Mon, 3 Mar 2003 15:30:04 +0100 (CET) |
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[rohrpost] Kittler-Interview |
Weil wir ja gerade neulich diese Diskussion über Kittler hatten, hier ein Interview mit ihm zum Irakkrieg aus der "Welt am Sonntag". Auf weia! Gruesse, Tilman http://www.wams.de/data/2003/03/02/47069.html „Technisch ist der Krieg ein Quantensprung" Der Medienphilosoph Friedrich Kittler erklärt, warum ein Kampfeinsatz im Irak gute Gründe hat - Interview WELT am SONNTAG: Waren Sie bei einer der vielen Friedensdemonstrationen der letzten Tage? Friedrich Kittler: Bei aller Sympathie mit dem Wunsch nach Frieden und der Irritation, die der Begriff „Präventionskrieg" in jedem von uns erregt: Wenn es darum geht, präventiv den Ölpreis für die nächsten 20 Jahre abzusichern, statt nur nach diplomatischen Initiativen zur Kriegsverhinderung um jeden Preis zu schreien, kann ich diese Operation billigen. WamS: Sie sind für einen Krieg? Kittler: Wenn es darum geht, einen handfesten Mörder zu fassen, wäre es nicht notwendig, ein ganzes Land anzugreifen. Ich hielte Polizeimaßnahmen an dieser Stelle für angezeigt. Wenn die CIA es nicht schafft, mit einem Kommandounternehmen jemanden aus seinem Bunker zu holen - der Mossad kann es auf jeden Fall. WamS: Sie haben also doch Verständnis für Schröders Anti-Kriegs- Politik? Kittler: Nein, für Schröder habe ich nie Verständnis. Wenn der brillante französische Außenminister - und unserer scheint ja im Unterschied zu seinem Kanzler auch nicht auf den Kopf gefallen - im Sicherheitsrat unerwarteterweise noch etwas erreicht, kann man immerhin sagen: Die französische und russische Diplomatie hat sich bewährt. Aber die deutsche können wir für die nächsten zehn Jahre beerdigen. WamS: Was spricht gegen die deutsche Position? Kittler: Nur weil wir uns schon zu Breschnews Zeiten das russische Erdgas in den Rachen geschmissen haben, können wir einigermaßen so tun, als ob uns das Erdöl gar nichts anginge. Unsere Auto- und Flugzeugindustrie geht es aber sehr wohl etwas an. WamS: Zur Sicherung der Erdöl-Ressourcen wäre ein Krieg für Sie gerechtfertigt? Kittler: Ist ja nichts Ehrenrühriges. Dass die USA zehnmal mehr Öl verbrauchen als Not täte und Spitzenreiter sind im Verprassen der unersetzlichen fossilen Reichtümer, macht einem Sorgen. Aber das ist nun einmal die amerikanische Mentalität. WamS: Ein Krieg würde auch bedeuten: Bomben auf Frauen und Kinder. Kittler: Diese Art von Bombenkrieg ist nicht so fahrlässig ordinär wie die Bombardierung Japans und Deutschlands im Zweiten Weltkrieg. Wenn die Bomben jetzt fallen, dann für den guten Zweck, so schnell wie möglich auf Bagdad zu marschieren. Das verstehe ich schon. WamS: Die Hoffnung auf eine friedliche Weltordnung nach dem Kalten Krieg hat sich zerschlagen. Kittler: Es sieht so aus. Das Pentagon selbst hatte ja eine Zeit lang die Hoffnung eines künftig rein virtuellen Krieges, bei dem sich nur noch Software gegenseitig ruinieren würde. Offenbar vom serbischen Geheimdienst bezahlte Hacker haben ja einmal den Server des NATO-Pressezentrums ausgeschaltet. An dieser Anekdote schien mir bezeichnend, dass es eben nicht die Kampf- relevanten High-Security-Netze waren. WamS: Sie haben als Wissenschaftler die moderne Kulturgeschichte als „Kriegsmediengeschichte" beschrieben. Erklären Sie das kurz? Kittler: Ich fand und finde, dass man in der Kulturgeschichte die technischen Medien massiv berücksichtigen muss. Es gibt Speichermedien, die etwas auf Dauer stellen. Es gibt Übertragungsmedien, die Nachrichten sehr schnell machen, und drittens - das ist vor allem für die Jetztzeit wichtig - Medien, die Daten manipulieren und verändern können, zum Beispiel Computer. „Technisch ist der Krieg ein Quantensprung" (2) WamS: Für Sie ist die vom Krieg vorangetriebene Evolution der Technik eigentlicher Antrieb der Moderne. Kittler: Wenn jemand glaubte, ich würde durch Fälschung Heraklits behaupten, alle Medien kämen aus dem Krieg oder der Krieg sei der Vater aller Medien, dann wäre das ein Kittler-Missverständnis. WamS: Wie meinen Sie es denn? Kittler: Speichermedien wie Bücher sind eher für Priesterkasten, wie wir Gelehrten ja auch eine sind, haben Kriege - oder auch Liebe - also nur als Thema. Ich glaube aber genauso fest, dass Kriegern am meisten daran liegen muss, die schnellsten Befehls- und Nachrichtenwege zu haben. Deshalb kommt alles, was heute Telekommunikation heißt, aus dem Krieg - bis einschließlich zum Internet. Das Radio hat 1914, lange vor seiner zivilen Nutzung, als Heeresfunk das Wesen des Ersten Weltkriegs verändert; der Computer wurde im Zweiten Weltkrieg eingesetzt, um gemeine Funksprüche der Wehrmacht zu knacken... WamS: ...klingt, als wollten Sie sagen: Krieg hat auch sein Gutes. Er bringt viele Erfindungen hervor. Kittler: Ja, wie das Beispiel zweier Weltkriege zeigte: Jedes Übertragungsmedium ruft seine eigene Überbietung hervor, der Heeresfunk den Geheimdienstcomputer. Aber alle Medien sind so zweideutig, selbst mit Briefen kann man Schindluder treiben. Gleichzeitig sind Liebesbriefe das Schönste - na ja, Zweitschönste - der Welt. Es war nie meine Aufgabe, in dieser Sache moralisch zu werden. WamS: Ein möglicher Krieg ... Kittler: ... wieso möglich? Sicher! Wer schmeißt so viele Milliarden raus und unternimmt nichts? In zwei Wochen ist es so weit. WamS: Befördert auch dieser Krieg den Fortschritt? Kittler: Technisch ist es wieder ein Quantensprung. Während des Zweiten Weltkriegs gab es in England zehn oder elf Fast-Computer, um die deutsche Geheimschreibmaschine zu knacken. Der einzige kriegswichtige Computer in den USA wurde erst nach dem Sieg über Hitler fertig und hat geholfen, die A-Bomben über Japan durchzurechnen. Heute hat jeder US-Elitesoldat einen eigenen PC dabei, hängt bei Tag und Nacht am Satellitensystem GPS, das ihm sagt, wo in der arabischen Wüste er gerade steht. Vernetzte PC sind also eine Waffe. WamS: In der Ablehnung eines Krieges weiß Schröder die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich. Darf sich ein demokratisch gewählter Politiker darüber hinwegsetzen? Kittler: Müsste er sogar. Aber Schröder ist ja selbst der Kanzler des zweiten Bildungsweges und hat sich um die Bildung der Deutschen nicht gerade verdient gemacht. Es ist schon die verdammte Schuld der SPD-Schulpolitik, dass wir so blöd geworden sind. Und prompt kommt besagte Stimmung von Leuten zurück, die sich wenig um die Welt kümmern... WamS: Sie behaupten, mangelnde Bildung und Friedensliebe hingen zusammen? Kittler: Nein, Anstand ist kein Bildungsgut. Aber bei den besser Verdienenden - die ja vielleicht doch ein bisschen mehr Ahnung von der Welt haben - gab es laut Allensbacher Studien vor der Bundestagswahl einen wilden Willen, CDU zu wählen. WamS: Wäre ein Kampfeinsatz gegen den Irak ein gerechter Krieg? Kittler: Es wäre auf jeden Fall aus Sicht der westlichen Welt ein nützlicher Krieg. Das Interview führte Markus Albers. Artikel erschienen am 2. M?2003 ------------------------------------------------------- rohrpost - deutschsprachige Liste zur Kultur digitaler Medien und Netze Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost http://post.openoffice.de/pipermail/rohrpost/ Ent/Subskribieren: http://post.openoffice.de/cgi-bin/mailman/listinfo/rohrpost/