Mapping the New Post-Territorial Comunitities

Date: Sat, 18 May 96 02:09 MDT

From: inke@is.in-berlin.de (Inke Arns)

Mapping the New Post-Territorial Comunitities

Mobile States / Shifting Borders / Moving Entities

The Slovenian Art Collective

Neue Slowenische Kunst (NSK)

Inke Arns

"Immer geht es um Objektivitaet und Subjektivitaet, aber nie um Trajektivitaet. In der anthropologischen Diskussion um Nomadentum und Seßhaftigkeit wird erklaert, wie die Stadt als wichtigste politische Form der Geschichte entstanden ist; aber es fehlt jegliches Verstaendnis fuer das Vektorielle unserer auf der Erde hin- und herziehenden Gattung.

Zwischen Subjektivem und Objektivem bleibt offenbar kein Platz fuer das "Trajektive", naemlich dafuer, daß eine Bewegung von hier nach dort stattfindet, eine Bewegung von einem zum anderen, ohne die wir die verschiedenen Ordnungen der Wahrnehmung der Welt niemals wirklich verstehen werden." (Virilio) [1]

Hermetisierung der Territorien

Politische Ereignisse haben Ende der 80er bzw. zu Beginn der 90er Jahre zum Verfall der bis dato gueltigen Weltordnung gefuehrt, die die Welt in zwei antagonistische Bloecke einteilte. Gleichzeitig wird eine neue Weltordnung sichtbar, die nach Baudrillard durch "weissen Fundamentalismus, Protektionismus, Diskriminierung und Kontrolle" charakterisiert ist. Dieses "reale, weisse, moralisch, oekonomisch oder ethnisch weiss gemachte, einheitliche und gesaeuberte Europa" [2] ist ein Resultat des Ethnopluralismus, der zwar das Recht auf Differenz bekraeftigt, dieses Recht aber nur unter der Gewaehrleistung der Unantastbarkeit der eigenen Identitaet zulaesst - also mit der Segregation des Anderen operiert. Im Europa der Gegenwart schlagen sich die Konzeptionen einer so formulierten nationalkulturellen Identitaet in der Tendenz zur zunehmenden Subnationalisierung nieder. Dieser Partikularismus aber stellt nichts anderes dar, als die Verlagerung der bekannten "Lebensraumkonzeption" auf die Region.

Im Zusammenhang mit der Wahrung des "Lebensraums" der europaeischen Nationen ergibt sich in der politischen Praxis eine zunehmende Hermetisierung der aeusseren Grenzen der von ihnen besetzten Territorien sowie eine gleichzeitige zunehmende ideologische Ueberfrachtung derselben, insofern das Territorium wesentlicher Bezugspunkt der Abgrenzung gegen das Andere / den Anderen ist. Obwohl man ihn ueberwunden glaubte, gewinnt der Begriff des Territoriums in den 90er Jahren eine neue Brisanz: als Kristallisationspunkt aktueller politischer Konflikte.

Art Facing Territory

In den 90er Jahren untersuchen KuenstlerInnen die Mechanismen, die den politisch-territorialen status quo konstituieren. Dabei erzeugen sie parallel funktionierende, subversive Ordnungen, die immer auch auf eine Transformation des Territoriums, d. h. auf die Durchbrechung von territorialen Festsetzungen ausgerichtet sind. Einerseits versuchen künstlerische Projekte alternative Gegenentwuerfe zu den wiedererstarkten politischen Fixierungen auf Territorien, Ethnien und Grenzen zu entwickeln, andererseits stellen sie den Sinn eines nationalkulturell definierten Territoriums in Frage und versuchen neue produktive Kategorien zur Definition des gesellschaftlichen Raumes zu entwerfen. Jameson bemerkt dazu:

"Die neue politische Kunst - sollte sie ueberhaupt moeglich sein - wird es mit der 'Wahrheit' der Post-moderne halten, das heißt festhalten muessen an der wesentlichen Tatsache, am neuartigen Welt-Raum des multinationalen Kapitals. Dabei sollte ein Durchbruch moeglich sein zu heute noch nicht vorstellbaren neuen Formen der Repraesentation dieses Raums, mit denen wir wieder beginnen koennen, unseren Standort als individuelle und kollektive Subjekte zu bestimmen. *...* Wenn es etwas wie eine politische Erscheinungsform der Postmoderne geben sollte, so waere diese dazu aufgerufen, eine globale Kartographie unserer Wahrnehmung und Erkenntnis zu entwerfen und diese in den genau zu ermessenden gesellschaftlichen Raum zu projizieren." [3]

Das Spektrum kuenstlerischer Strategien reicht in den 90er Jahren von den Versuchen der physischen Durchwanderung realer Territorien ueber die Simulation politisch- territorialer Strukturen und Mechanismen bis zu fundamentalen, an Expansionsbestrebungen heranreichende Formen der Eroberung von unkontrollierten Territorien [4].

The 80s: Facing Ideology - "NSK - More Total than Totalitarianism"

Das seit 1984 bestehende multimediale Kuenstlerkollektiv 'Neue Slowenische Kunst' setzte sich aus der Musikgruppe 'Laibach' (* 1980), dem Malerkollektiv 'Irwin' (* 1983) und dem Theaterensemble 'Gledalisce Sester Scipion Nasice' (* 1983) zusammen. Nach den 1982 von 'Laibach Kunst' - der 'Vorlaeuferorganisation' der NSK - verfaßten 10 Tock Konventa definierte sich die NSK nicht als Zusammenschluß einzelner Individuen, sondern explizit als uniformes Kollektiv, das nach dem Vorbild des Staates dem Prinzip der industriellen Produktion und dem "Direktivenprinzip" verpflichtet war und die "Identifikation mit der Ideologie" als seine Arbeitsmethode uebernommen hatte. Bei dieser wohlkalkulierten Uebernahme von Bestandteilen und dem Spiel mit Versatzstuecken der offiziellen Ideologie, die von 'Laibach Kunst' als "ready-mades" in Sinne von Duchamp begriffen wurden, ging es darum, vorhandene Herrschaftscodes aufzunehmen und "diesen Sprachen mit ihnen selber [zu] antworten." [5] Es handelte sich um eine Strategie, die Zizek als radikale "Ueber-Identifizierung" mit der die gesellschaftlichen Beziehungen regulierenden Ideologie bezeichnet hat. 'Laibach Kunst' bzw. die spaeter gegruendete 'Neue Slowenische Kunst' traten - unter Verwendung aller durch die offizielle Ideologie explizit und implizit vorgegebenen Identifikationsmomente - als eine Organisation auf, die noch "totaler als der Totalitarismus" (Groys) zu sein schien. Es handelte sich um einen provokativen Verweis auf die dem "semitotalitaeren System" (Barber-Kersovan) Jugoslawiens zugrundeliegende ideologische Struktur.

'Retrogarde': Verarbeitung kollektiver Traumata

Verbindlich war fuer alle Gruppen der NSK die Arbeitsmethode der 'Retrogarde', die mittels eines "emphatischen Eklektizismus" auf die Texte (Zeichen, Bilder, Symbole und Formen der Rhetorik) zurueckgriff, die retrospektiv zu Erkennungszeichen bestimmter kuenstlerischer, politischer, religioeser oder technologischer 'Erloesungsutopien' des 20. Jahrhunderts geworden sind. Diese sehr unterschiedlich gearteten, immer auch aesthetisch ausformulierten 'Erloesungsutopien' und -'ideologien' sind im Verstaendnis der NSK unloesbar mit bestimmten kollektiven Traumata verbunden, die bis heute wirksam sind. Die NSK vertritt die Ansicht, daß es nicht durch die Erarbeitung einer neuen Zeichensprache, sondern nur mittels des Rueckgriffs auf diese vorhandenen traumatischen Texte moeglich sei, die speziellen Punkte in der Geschichte zu benennen und zu verarbeiten, in denen das Umschlagen von genuin utopischen Ansaetzen in traumatische Erfahrungen festzumachen ist: Einen solchen Punkt erkennt die NSK z.B. in der gegen Ende der 20er Jahre dieses Jahrhunderts vollzogenen Assimilation bzw. der Aufhebung der kuenstlerischen Avantgarden in totalitaere Systeme.

Die NSK zielt nicht mittels Ironie, Parodie oder Satire auf eine Ueberwindung der Macht der ideologischen Zeichen ab, sondern bemueht sich um eine Bewußtmachung der Macht dieser Zeichen. Der NSK geht es um ein Nachvollziehen, um eine Rekonstruktion und, daraus folgend, um ein analysierendes Zerlegen der Ideologie in ihre herrschaftskonstituierenden aesthetischen Fundamente. Das slowenische Kollektiv ist der Überzeugung, daß diese ideologischen Zeichen niemals ueberwunden werden koennen, sondern daß einer Ideologie nur durch Bewußtmachung dieser aesthetischen Fundamente ein Teil ihrer Macht genommen werden kann.

Subversive Strategie

Die von der NSK in den 80er Jahren eingesetzten radikalen kuenstlerischen Strategien koennen als aesthetische Umsetzung der sich in den 80er Jahren entwickelnden Theorie der slowenischen Lacan-Schule um den slowenischen Psychoanalytiker und Lacanier Slavoj Zizek gesehen werden. Diese neue Theorie, auf die sich die spaeteren Mitglieder der NSK schon Anfang der 80er Jahre bezogen, wurde zu einem wichtigen theoretischen Fundament des Selbstverstaendnisses der subkulturellen Szene Ljubljanas. Die Aktionen des Kuenstlerkollektivs sind weniger als Reaktionen auf bestimmte tagespolitische Ereignisse in Slowenien bzw. Jugoslawien zu begreifen; vielmehr ist die NSK als ein die ideologisch-aesthetische Fundierung des Staates 'uebercodierendes' Rechercheunternehmen zu verstehen, das den sogenannten ideologischen Ueberbau des jugoslawischen Staates zum Thema machte und diesen 'Ueberbau', den die NSK als Regulativ aller gesellschaftlichen Beziehungen begriff, subversiv in Frage stellte. Die Betonung liegt hier auf subversiv, denn die Strategie der NSK aeußerte sich nicht in einem offen kritisierenden bzw. moralisierenden Diskurs gegenueber dem Staat und der Ideologie, nicht in der 'Distanzierung zur Ideologie' durch Satire oder Ironie, sondern zeichnete sich durch eine 'Ueber-Identifizierung' mit der 'herrschenden Ideologie' aus.

'Ueber-Identifizierung' mit der 'verdeckten Kehrseite' der Ideologie

Nach Slavoj Zizek und Peter Sloterdijk laeuft offene Kritik an der Ideologie eines Systems ins Leere, denn jeder ideologische Diskurs zeichne sich heute durch Zynismus, d.h. durch die internalisierte, in ihm schon vorweggenommene Kritik seiner selbst aus. Die Ideologie 'glaubt' ihren eigenen Aussagen nicht mehr, sie hat eine zynische Distanz zu den eigenen moralischen Praemissen angenommen. Folglich ist dem Zynismus als universalem und diffusem Phaenomen mit den tradierten Mitteln der Ideologiekritik (z.B. durch aufklaererisches Engagement) nicht mehr adaequat zu begegnen. Gegenueber einer zynischen Ideologie erweist sich, so Zizek, das Mittel der Ironie als 'in die Haende der Maechtigen spielend'. Die von der Ideologie vorgebrachten oeffentlichen getroffenen Aussagen und vermittelten Werte sind 'zynisch', sie sind also nicht dazu da, ernstgenommen zu werden. Problematisch wird es dann fuer die sogenannte 'herrschende Ideologie', sobald der 'angemessene Abstand' nicht laenger gewahrt bleibt, wenn also eine 'Über- Identifizierung' mit der Ideologie stattfindet. Denn nach Zizek setzt sich eine Ideologie immer aus zwei Teilen zusammen: aus den von einem politischen System oeffentlich verkuendeten und propagierten 'expliziten' Werten und der sogenannten 'verdeckten Kehrseite' ('the hidden reverse'), d. h. den implizit mittransportierten Werten und Praemissen einer Ideologie, die aber, damit eine Ideologie funktionieren und sich reproduzieren kann, unausgesprochen bleiben muessen. Die NSK nahm sich dieser 'impliziten' ideologischen Praemissen (z.B. Gewalt, Faszination, Genießen) an und brachte diese durch ihre Strategie der 'Über-Identifizierung' zum Vorschein.

Schaffung einer dysfunktionalen Ideologie

Ein wichtiges Element der Funktionsweise von Ideologien wird von Zizek im Angebot des Genießens, also in einer dem Individuum von einer Ideologie angebotenen Abnahme der Ordnung des Realen gesehen. Der ideologische Diskurs setzt sich aus einzelnen Elementen, den sogenannten 'gleitenden Signifikanten' oder sinthomen zusammen, die, fuer sich genommen, bedeutungslos sind und ihre ideologische Bedeutung erst im Kontext des Diskurses einer Ideologie annehmen. Die von der NSK vor allem in den Buehnenauftritten von 'Laibach' vollzogene Dekonstruktion der Ideologie ist, folgt man Zizek, als ein sich auf zwei Ebenen vollziehender Prozess zu verstehen: 1. als Dekontextualisierung, also als das Herausreißen der einzelnen Elemente aus dem Kontext, der den Phaenomenen Bedeutung verleiht und 2. als Rekontextualisierung dieser fuer sich bedeutungslosen Fragmente (sinthome) in einer von dem Kollektiv geschaffenen dysfunktionalen Ideologie bzw. einer Pseudoideologie. Das vermeintliche Identifikationsangebot, das allen von der NSK verwendeten ideologischen Elementen eigen zu sein scheint, loest sich nach dem Abzug des sinnstiftenden Kontextes auf - uebrig bleiben die Versatzstuecke und Splitter der Ideologie, die in der "voelligen Stumpfsinnigkeit ihrer materiellen Praesenz" (Zizek) erfahrbar werden. Die Funktion dieser 'exorzistischen Strategie' (Benson) kann als das 'Vorhalten eines Zerrspiegels' umschrieben werden, die durch die Offenlegung des in einer Ideologie wirkenden Genießens beim Publikum eine kathartische 'Selbstaufklaerung' bewirken sollte.

* The 90s: Facing Global Politics

Die politischen Ereignisse in Jugoslawien zu Beginn der 90er Jahre sind nicht ohne Auswirkungen auf die Arbeit des Kuenstlerkollektivs Neue Slowenische Kunst geblieben. Zeitgleich zur politischen Durchsetzung der Unabhaengigkeit Sloweniens hat sich die NSK 1991 deklarativ von einer 'Organisation' in einen 'Staat' umgewandelt. Das kuenstlerische Konzept des NSK Drzava v casu ('NSK Staat in der Zeit') nimmt in spezifischer Weise Stellung zu den konkreten politischen Entwicklungen in Ex-Jugoslawien: Es versucht durch einen kuenstlerischen Gegenentwurf eine Alternative zu den seit Beginn der 90er Jahre wiedererstarkten politischen Fixierungen auf Territorien, Ethnien und Grenzen (nicht nur in Ex-Jugoslawien, aber dort sicherlich in seiner extremsten Auspraegung) aufzuzeigen.

Time & Movement: the Key Relation

Der NSK Drzava v casu definiert sich als kuenstlerisches Staatskonzept weder durch ein konkretes geografisches Territorium, noch durch eine ethnisch festgelegte Staatsnation. Das Konzept der NSK betont fuer die Definition des eigenen 'geistigen' Territoriums den Begriff der Zeit. Der Begriff der Zeit wird als eine neue produktive Kategorie zur Definition des Raumes herangezogen. 'Zeit' ist in dieser Terminologie mit der individuellen Akkumulation von 'Erfahrungen' gleichzusetzen:

"The role of art and artists in defining time which belongs to them individually is more effective than in defining territory. The real, not imaginary, 'fatherland' of the individual is limited to the circle of the house in which he was born, the classroom or the library in which he acquired knowledge, the landscapes in which he walked, the spaces to which he is oriented, to the circle of his own individual experience, to that which exists and not that he was born into.

The territorial borders of the NSK state can by no means be equated with the territorial borders of the actual state in which NSK originated. The borders of the NSK state are drawn along the coordinates of its symbolic and physical body, which at the time of its activity acquired objective values and objective status." [6]

Das kuenstlerische Konzept definiert den "NSK Staat" als 'abstrakten Koerper', dessen Grenzen sich - abhaengig von den Aktivitaeten des ihn konstituierenden 'physischen' und 'symbolischen' Koerpers - in einem Zustand staendiger Bewegung befinden und dessen 'Territorium' im Bewußtsein seiner 'Buerger' angesiedelt ist:

"The NSK state in time is an abstract organism, a suprematist body, installed in a real social and political space as a sculpture comprising the concrete body warmth, spirit and work of its members. NSK confers the status of a state not upon territory but upon the mind, whose borders are in a state of flux, in accordance with the movements and changes of its symbolic and physical collective body." [7]

Mit der Betonung des Faktors Bewegung wird eine weitere produktive Kategorie zur Definition des 'Raumes' eingefuehrt. Durch Bewegung, also physischen Ortswechsel von einem Ort zu einem anderen und, daran anschließend, durch die intellektuelle Auseinandersetzung mit dem 'anderen Ort' bzw. mit dem 'anderen geistigen Territorium' werden neue Erfahrungen moeglich, die so wieder zur Entstehung von 'Zeit' beitragen. "The relation between place and time is the key relation. Movement implies temporality, i.e. produces time." [8] In der Terminologie von 'Irwin' ist diese spezifische Form von Bewegung mit einer 'Transplantation von Wissen' gleichzusetzen:

"There are basic differences between the perception and interpretation of the sign language of Irwin's paintings. This is one of our main concerns, because signs change with time and place. A sign may have one meaning in Russia, and yet another meaning in the West. Recognition of signs and symbols functions in such a way that their meanings differ with places; but nevertheless they have certain elements in common. Differences and similarties provide logic to our research. Irwin's starting point is to proceed from the specificity of the place of its origin, and to transfer experience [to the West]. This is transplantation of knowledge." [9]

Der 'immaterielle Staat' NSK Drzava v casu vollzieht diese Bewegung, indem er sich in zeitlichen Abstaenden an verschiedenen Orten in Form einer 'Botschaft' oder eines 'Konsulates' materialisiert [10]. Dies bedeutet, daß sich Mitglieder der verschiedenen Gruppen der NSK, wie erstmalig 1992 im Rahmen der "NSK Embassy Moscow" [11] in Moskau geschehen, gemeinsam an einen bestimmten Ort begeben (in Moskau z.B. eine private Wohnung) und dort im Rahmen von eigenen Vortraegen, Vortraegen eingeladener Theoretiker und Kuenstler und Diskussionen mit dem Publikum zu einem Erfahrungsaustausch einladen. Der Veranstaltungsort wird fuer die Dauer der 'Botschaft' oder des 'Konsulates' zum staatlichen Territorium des NSK Drzava v casu deklariert. Das zentrale Element des Erfahrungsaustausches wird von Ausstellungen ('Irwin'), Konzerten ('Laibach') oder Theater- auffuehrungen ('Kozmokineticni Kabinet Noordung') begleitet. Der NSK Drzava v casu hat sich bislang in Moskau, Gent, Venedig, Suhl, Berlin, Florenz, Amsterdam und Umag temporaer, teilweise auch permanent installiert.

NSK State without Territory

Slavoj Zizek hat in seinem Text "Es gibt keinen Staat in Europa" (1992) eine theoretische Untermauerung des kuenstlerischen Konzeptes des "NSK Staates" gegeben und seine Ueberlegungen an die konkreten Ereignisse in Ex- Jugoslawien seit 1991 angeknuepft. Zizek geht davon aus, daß die utopischen Vorstellungen sowohl der europaeischen radikalen Linken wie auch der antiliberalen Rechten entweder auf die Abschaffung des Staates oder auf seine Unterordnung unter die 'Gemeinschaft' gezielt haetten.

"The utopian perspective, which henceforth opened up towards both the radical left-wing as well as the antiliberal right- wing, was the abolition of the State or its subordination to the community." [12]

Der Krieg in Ex-Jugoslawien ist - so Zizek - auf den Zerfall staatlicher Autoritaet sowie auf die Unterordnung staatlicher Strukturen unter ethnische Interessen zurueckzufuehren:

"Today's experience, summed up in the word 'Bosnia', confronts us with the reality of this utopia. What we are witnessing in Bosnia is the direct consequence of the disintegration of State authority or its submission to the power play between ethnic communities - what is missing in Bosnia is a unified State authority elevated above ethnic disputes." [13]

Entgegen den utopischen Vorstellungen sowohl der Extrem- Linken wie auch der Extrem-Rechten zeige sich nun, "that there is nothing liberating about the breaking of the state authority - on the contrary: we are consigned to corruption and the impervious conflict of local interests which are no longer restricted by a formal legal framework." [14] An diese Ueberlegungen anschließend formuliert Zizek sein zunaechst paradox erscheinendes philosophisch-theoretisches Staatskonzept, das eine Umkehrung der bislang vorherrschenden Utopiekonzepte darstellt:

"From all this it is thus necessary to draw what at first glance seems a paradoxical, yet crucial conclusion: today the concept of utopia has made an about-turn - utopian energy is no longer directed towards a stateless community, but towards a state without a nation, a state which would no longer be founded on an ethnic community and its territory, therefore simultaneously towards a state without territory, towards a purely artificial structure of principles and authority which will have severed the umbilical chords of ethnic origin, indigenousness and rootedness." [15] *

Transposition: Zeppelin = Vehikel / Trajekt und Vektor

Waehrend die NSK in den 80er Jahren statisch, also ortsgebunden, die Fluktuation von aesthetisch-ideologischen Zeichen durch Territorien analysierte, wird das Kuenstlerkollektiv in den 90er Jahren durch seine Transformation von einer Organisation in einen 'Staatkoerper' selbst zu einem durch reale Territorien fluktuierenden immateriellen 'Organismus'. Der NSK Drzava v casu wird so zum trajektiven Vehikel eines "reinen Aussen", zu einer Huelle ohne Inneres, zu einer Grenze ohne Territorium. Die einzige Existenzform des NSK State in Time sind seine Botschaften, die als ephemere temporaere Materialisationen der Sichtbarmachung symbolischer Differenzen dienen. Das Ziel der Transpositionen der NSK, des Sich-In-Bewegung-Setzens, der Reisen und des sukzessiven Ver-Setzens des gesamten 'Organismus' der NSK ist die Kommunikation und der Austausch mit diesem anderen (differenten) Ort.

"[...] an autonomous NSK territory can be defined; a territory capable of moving, not confined by geographical, national and cultural borders; a territory realizing its own notional space." [16]

* This text partly relies on the concept paper for the exhibition "Topos / Territorium: Mobile States - Shifting Borders - Moving Entities" by Inke Arns and Kathrin Becker (both Berlin) , written in March 1996 and on the M. A. thesis "Neue Slowenische Kunst (NSK) - their artistic strategies in Yugoslavia in the Eighties" by Inke Arns, Eastern European Institute at the Free University of Berlin, December 1995

Anmerkungen / References:

[1] Paul Virilio, "Revolutionen der Geschwindigkeit", Berlin 1993, S. 62

[2] Jean Baudrillard, "Kein Mitleid fuer Sarajevo" (1993), in: Lettre international, Berlin, Winter 1995, S. 91

[3] Fredric Jameson, "Postmoderne: Zur Logik der Kultur im Spaetkapitalismus", in: Andreas Huyssen / Klaus Scherpe (Hg.), "Postmoderne. Zeichen eines kulturellen Wandels", Reinbeck bei Hamburg 1989, S. 99 f.

[4] vgl. Inke Arns / Kathrin Becker, "Topos / Territorium. Mobile States - Shifting Borders - Moving Entities", (Ausstellungskonzept) Berlin 1996

[5] Laibach, zit. nach: Claudia Wahjudi, "Zwoelf Jahre musikalische Zitatenschlacht zwischen zwei kontraeren Systemen", Interview mit 'Laibach', in: Neues Deutschland, 13. 8. 1992

[6] Eda Cufer & Irwin, "Concepts and Relations"(1992), in: Irwin, "Zemljopis Vremena / Geografia del Tempo", Ausstellungskatalog, Umag 1994, o. S

[7] Eda Cufer & Irwin, "NSK State in Time"(1993), in: Irwin, "Zemljopis Vremena / Geography of Time", a.a.O.

[8] 'Irwin', in: "Transcentrala (Neue Slowenische Kunst Drzava v casu)", Video von Marina Grzinic & Aina Smid, 20.05 min, Ljubljana 1993

[9] Ebd.

[10] Eine andere Manifestationsform des NSK Drzava v casu sind die von diesem herausgegebenen Reisepaesse, die als "confirmation of temporal space" (NSK) gelten und unabhaengig von Staatsangehoerigkeit oder Nationalitaet von jeder Person erworben werden koennen.

[11] Neue Slowenische Kunst, "NSK Embassy Moscow. How the East sees the East" (Irwin in Collaboration with Apt-Art International and Ridzina Gallery, Moscow May 10 - June 10, 1992), Obalne Galerije Piran / Loza Gallery Koper (eds.), Koper [1992]

[12] Ebd.

[13] Ebd.

[14] Ebd.

[15] Ebd.

[16] Miran Mohar (Irwin), in: Eda Cufer, "The Symptom of the Vehicle", Interview with Irwin (NSK), 1995