autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe/mittlerer neckar Bewegungsle(e/h)re? Anmerkungen zur Entwicklung alternativer und linker Gegenoeffentlichkeit Obwohl die (radikale) Linke sich permanent selbst vergewissert, welch toter Hund sie im Grunde genommen sei, will sie selbst doch nicht ganz daran glauben. Derzeit unternehmen nicht wenige disputierende Zirkel unter dem Label 'Gegenoeffentlichkeit' einen Wiederbelebungsversuch. Doch fuer uns besteht der Verdacht, dass die Rosskur des medialen (Dis)Kurses von vornherein zum Scheitern verurteilt ist, nachdem die Utopien abhanden gekommen sind. Die aktuellen Diskussionen zum Thema 'Gegenoeffentlichkeit' erscheinen uns mit zwei Tendenzen eng verknuepft: dem generellen Lamento ueber die heutige Krise der linken Medien einerseits und den dazu kontrastierenden, mitunter fast euphorischen Hoffnungen auf die mit den neuen telematischen Kommunikationstechnologien (Internet) verbundenen Moeglichkeiten. Im folgenden gehen wir zunaechst der linken Version des Mythos von der 'Informationsgesellschaft' nach. Daran schliessen sich zum zweiten einige Anmerkungen zur Rolle der alternativen und eigenen Medien in der 'Bluetezeit' der sozialen Bewegungen an. Drittens versuchen wir, einige Konsequenzen fuer die Rekonstruktion eines politischen Projekts einer radikalen Linken zu umreissen, die sich vor dem Hintergrund der analysierten aktuellen Tendenzen im Bereich 'Gegenoeffentlichkeit' ergeben. Medientheorie und Informationsfetisch Bei der gegenwaertigen Diskussion um linke Gegenoeffentlichkeit und Gegenmacht werden unseres Erachtens zwei historisch unterschiedliche linke Medienkonzepte staendig durcheinandergeworfen. In Anlehnung an Geert Lovink (Agentur Bilwet, Amsterdam) gehen wir davon aus, dass es Sinn macht, die Medien der linken Gegenoeffentlichkeit hinsichtlich ihrer Funktion idealtypisch in 'alternative' und 'eigene' Medien zu unterscheiden. 'Alternative' Medien spiegeln sich vornehmlich an den buergerlichen Medien, indem sie bestaendig eine inhaltlich korrigierende und das bestehende Informationsspektrum ergaenzende Aufgabe wahrnehmen. Dabei kam den 'alternativen' Medien vor allem bei der Bereitstellung abweichender Lesarten sozialer und politischer Widersprueche in den 70er/80er Jahren eine wichtige Funktion fuer die Konstitution einer 'liberalen' Oeffentlichkeit zu. Davon zu unterscheiden ist die Herausbildung 'eigener' Medien, die nicht mehr so sehr auf die Bewusstwerdung der anderen, sprich auf eine direkte Beeinflussung bis Bereicherung der allgemeinen 'Oeffentlichen Meinung' setzen. Der eigentliche Unterschied zu den 'alternativen' Medien besteht dabei in der Art und Weise der Selbstpositionierung auf politischem Terrain, die sich nicht nur inhaltlich in explizit linken Stellungnahmen und Diskussionen aeussert, sondern auch ueber das Aufgreifen subkultureller Themen und Codes. Auf Szenen und subkulturelle Orte bezogen stellen 'eigene' Medien gewissermassen Orientierungspunkte der dortigen sozialen Praxis bereit. Dabei kommt ihnen primaer eine Identitaeten und Binnendiskurse stabilisierende Funktion zu. Zwar bewegen sich die 'eigenen' Medien in einem durch Slang und Gangart ihrer subkulturellen Basis eng begrenzten Raum, doch funktioniert hier der Austausch zwischen Publikum und Macherinnen noch am besten. Bei dieser Einschaetzung der Funktionsweise linker Medien wird deutlich, dass die sozialen Beziehungsrahmen und die aussermedialen politischen und kulturellen Praxen, in die sich linke Medien einordnen, fuer uns einen zentralen Stellenwert haben. Die Bedeutung dieses Bezugs wurde aber in den Diskussionen um linke Gegenoeffentlichkeit weitgehend ausser acht gelassen, solange ueberzogene Vorstellungen von den Moeglichkeiten einer medialen linken Intervention in die buergerliche Oeffentlichkeit dominierten. Es wurde, zugespitzt formuliert, davon ausgegangen, dass nur genug Aktivistinnen an moeglichst vielen Stellen Gegenoeffentlichkeit herstellen muessten, wodurch dann irgendwann eine gesellschaftsveraendernde Kettenreaktion ausgeloest wuerde. Eine Vielzahl linker Medienprojekte stellte sich aus dieser Logik heraus die Aufgabe, die in den buergerlichen Medien unterbliebenen Nachrichten zu verbreiten. Diese Konzeption von 'Gegenoeffentlichkeit' bezeichnet G. Lovink als 'Megaphonmodell', denn sie unterstellt unausgesprochen einen kausalen Zusammenhang zwischen Information, Bewusstsein und Handeln. Dahinter steht die Vorstellung einer manipulativen Medienwirkung, derzufolge es ausreicht, im Kommunikationskanal die 'falschen' Ideen durch die 'richtigen' zu ersetzen: Wenn die Menschen nur lange genug 'die Wahrheit' hoeren, werden sie irgendwann ihre Meinung aendern und sich gegen die (sie be)herrschenden Verhaeltnisse wenden. Diese klassische Konzeption zur Schaffung von Gegenoeffentlichkeit kann sich auf Theoretiker wie Brecht oder Enzensberger berufen. Sie naehrten im Glauben an die Wirkung von richtigen Informationen die Ueberzeugung, dass es genuege, wenn die Linke die Sendezentralen der Massenmedien uebernaehme bzw. ueber ausreichend starke eigene Medien verfuege, um ihren Ideen Plausibilitaet und Durchschlagskraft zu verleihen. Ein derartiges medientheoretisches Konzept, das darauf abzielt, Handeln durch Information zu bewirken, versteht die Medien letzten Endes als Manipulationsinstrument. Die Erfahrung der letzten Jahrzehnte hat gezeigt, dass ein solches, auf die Uebermittlung der 'richtigen' Informationen fixiertes Verstaendnis von Medien und Medienrezeption zu kurz greift. Denn heute sind, nicht zuletzt durch die Existenz von Gegenoeffentlichkeit, auch gesellschaftskritische Informationen jederzeit verfuegbar. Sie bleiben aber folgenlos. Das deutet darauf hin, dass die Medienkonsumenten gezielt Informationen auswaehlen und andere ignorieren. Diese Auswahl ist strukturiert durch das Interesse, gesellschaftliche Wirklichkeit in einer Weise wahrzunehmen, die die eigenen Selbst- und Gesellschaftskonzepte legitimiert. Es geht darum, zur Kenntnis zu nehmen, dass es ein gesellschaftliches Verhaeltnis gibt, das Erkenntnis vorstrukturiert. So wird umgekehrt ein Schuh daraus: Heute mangelt es in der buergerlichen Gesellschaft nicht an Informationen, sprich an Gegenoeffentlichkeit, sondern das Hauptproblem ist deren absolute Folgenlosigkeit. In "Oeffentlichkeit und Erfahrung" haben Negt/Kluge bereits 1972 darauf verwiesen, dass die Subjekte sich "die blosse Abbildung der Realitaet" nur dann aneignen, wenn sie zugleich wissen, wie sie aktiv die sie bedrueckenden Verhaeltnisse veraendern koennen: "Erst aus dieser Handlungsmoeglichkeit koennte sich ihr Interesse am Realismus rekrutieren." Das macht deutlich, dass ein umfassender Gegenoeffentlichkeitsbegriff nicht auf den medialen Aspekt reduziert werden darf. Mediale Interventionen muessen in einem umfassenderen Kontext von sozialem, politischem und kulturellem Handeln gedacht werden. (Gegen-) Oeffentlichkeit ist dann mehr als Bildschirm, Radio oder Zeitung. Mediale Strategien, die allein auf den Informationsaspekt setzen und den umfassenderen Lebenszusammenhang bei der Konzipierung politischer Strategien aussen vor lassen, laufen Gefahr, den medialen Bereich zu ueberschaetzen. (Mit dieser Ueberschaetzung von Medienwirkungen befinden sie sich uebrigens in gutbuergerlicher Gesellschaft, vgl. die Diskussionen um Mediengewalt.) In diesem Zusammenhang erscheint uns ein weiterer Aspekt wichtig, der zwar genau wie Negt/Kluges Erkenntnis hinreichend bekannt ist, aber genausowenig Folgen fuer die Diskussion der Strategien linker Gegenoeffentlichkeit hatte: Die linken medientheoretischen Vorstellungen in der Nachfolge Brecht/Enzensbergers setzen voraus, dass die herkoemmlichen Massenmedien sich - einmal im Besitz der richtigen Leute - als ein Instrument zur demokratischen Willensbildung einsetzen lassen. Aber das ist eine Mystifkation, denn Massenmedien sind nicht demokratisch. Ihre Kommunikationsform macht einen wirklich gleichberechtigten Austausch unmoeglich, denn Massenmedien beruhen auf dem Prinzip der Vervielfaeltigung von Informationen in nur eine Richtung, von den Produzierenden hin zu den Konsumentinnen. Ausserdem reproduzieren sie durch die Einbahnstrasse ihres Kommunikationskanals Machtpositionen. Eine Strategie von Gegenoeffentlichkeit, die sich auf Massenmedien stuetzt, vergisst, dass Massenmedien keine Reziprozitaet im Sinne von Gegenseitigkeit ermoeglichen, sondern einen eng gesteckten Rahmen setzen, was von wem in welcher Weise mitgeteilt werden kann und wer zum Schweigen verurteilt ist. Reversibilitaet (also Umkehrbarkeit des Informationsflusses, z.B. Hoererinnenanrufe oder Leserinnenbriefe) ist nicht mit Reziprozitaet gleichzusetzen. Aufgrund dieser Nicht-Reziprozitaet koennen Massenmedien fuer die Empfaengerinnen allenfalls in sehr reduzierter Weise Ausgangspunkt oder Element von ueber den reinen Medienkonsum hinausgehenden sozialen Praxen werden (fuer die Macher mag das anders aussehen). Gegenoeffentlichkeit und soziale Praxis Diese Kritik an einem verbreiteten linken Medienverstaendnis rueckt aus unserer Sicht auch die derzeitige Krise alternativer Medien in ein anderes Licht. Denn moeglicherweise war es gar nicht so, dass linke Gegenoeffentlichkeit 'frueher' besser 'funktionierte'. Wir denken, dass nicht die damalige Medienpraxis gut war, sondern vielmehr, dass die Staerke der sozialen Praxis die Unzulaenglichkeiten der medialen, 'inhaltlichen' Vermittlung unsichtbar machte. Wo man glaubte, durch Aufklaerung weitergekommen zu sein, war es in Wirklichkeit nicht die schlagende Brillanz der Argumente aus der Gegenoeffentlichkeit, die bei vielen Leuten ein Interesse fuer bestimmte Themen und Sichtweisen und ein Beduerfnis nach entsprechenden Informationen hervorrief. Vielmehr war dieses Interesse Ausdruck von Veraenderungen der eigenen Lebenszusammenhaenge vor dem Hintergrund jener gesellschaftlichen Transformationen, in deren Zuge auch die 'neuen sozialen Bewegungen' ihre Bedeutung gewannen. Etwas zugespitzt liesse sich daraus folgern, dass es nicht die linken Medien waren, die zur Ausbreitung der politischen Bewegungen beitrugen, sondern dass umgekehrt die Staerke der Bewegungen vor dem Hintergrund einer spezifischen gesellschaftlichen Situation den linken Zeitungen, Zeitschriften und Radios zu einer gewissen Verbreitung verhalf. Und in dieser Lesart ist es offensichtlich, worin der Unterschied zwischen den Funktionsweisen linker Oeffentlichkeit damals und heute besteht. Die Friedens-, die Anti-AKW- oder die feministischen Bewegungen boten konkrete Handlungsangebote und -zusammenhaenge. Gegenoeffentliche Medieninformationen gewannen vor diesem Hintergrund ihr Interesse, wurden verbreitet und rezipiert. Die Tatsache, dass Medieninformation ohne im Rahmen einer sozialen Praxis gegebene Handlungsmoeglichkeiten wirkungslos bleibt, fiel damals gar nicht weiter auf, und dies fuehrte zu dem Trugschluss, dass Medieninformation per se zu politischem Handeln fuehrt. Heute aber wird vor dem Hintergrund des Fehlens starker politischer und sozialer Bewegungen deutlich, dass zwischen Anspruch und realer Funktion von Medien der 'Gegenoeffentlichkeit' ein Widerspruch besteht (und vielleicht schon immer bestand). Auch solche Medien, deren Anliegen es war, in die buergerliche Oeffentlichkeit zu wirken, dienten faktisch wohl doch in erster Linie eher der Vernetzung und Selbstvergewisserung innerhalb der Linken, so dass es sich letzten Endes eher um 'eigene' denn alternative Medien handelte. Solange soziale und politische Bewegungen der 70er Jahre 'intakt' waren, fiel dieser Widerspruch zwischen Anliegen und tatsaechlicher Funktion ebensowenig auf wie die Tatsache, dass Information und Ideologiekritik fuer sich genommen keinen Hund hinter dem Ofen hervorlocken. Nun aber unterstreicht die Entwicklung die Richtigkeit von Negt/Kluges Analyse, dass Information per se nichts bewirkt, wenn nicht eine soziale Praxis damit verbunden ist. Wenn aber Stellenwert und Wirkungsweise von Information nicht allein durch ihren Wahrheitsgehalt bestimmt sind, sondern durch den Kontext, innerhalb dessen Information rezipiert wird und die Schluesse und Handlungsweisen, die daraus abgeleitet werden, dann ist das Konzept einer Aufklaerung durch Information problematisch. Campaigning Betrachten wir ueber den Tellerrand der linken Medienpraxis hinaus den Mainstream der buergerlichen Massenmedien, so scheint es zunaechst, dass ein solcher Blick unsere These "Informationen bleiben tendenziell folgenlos" widerlegt. Themen, die eigentlich in den Bereich der klassischen Gegenoeffentlichkeit (Oekologie, Ruestung) gehoeren, wurden Gegenstand grossangelegter und in ihrem selbstgesetzten Rahmen auch erfolgreicher Medienkampagnen. Auf kurzfristige Ziele bezogen, erreichten die Greenpeace-Proteste gegen das Versenken der Shell-Bohrinsel in der Nordsee sowie gegen die franzoesischen Atomversuche auf dem Mururoa-Atoll relativ grosse Breitenwirkung. Naja, Greenpeace ... Aber solche Aktionen, die die Funktionsweise oeffentlicher Medien genau kalkulieren, um eine moeglichst breite Wirkung zu erzielen, sind auch in anderen Bereichen moeglich. Waehrend kleine politische Gruppierungen seit Jahren versuchten, Solidaritaet mit dem politischen Gefangenen Mumia Abu Jamal zu organisieren und nur relativ bescheidene Erfolge erzielen konnten, gelang es in einer grossangelegten Solidaritaetskampagne wenigstens zunaechst, den staatlichen Mord an Mumia zu verhindern. Offenbar ist es also durchaus moeglich, durch eine bestimmte Form der Nutzung buergerlicher Medienoeffentlichkeit nicht nur gesellschaftliche Resonanz, sondern auch konkrete Erfolge zu erzielen. Bedingung fuer eine solche Mediennutzung, die wir hier als Campaigning bezeichnen, ist allerdings, sich den Funktionsmechanismen buergerlicher Medien weitgehend zu unterwerfen. Professionalisierung, Effizienz und Medienkompatibilitaet werden hierbei zu wesentlichen Kriterien politischen Handelns. Der Medienfetisch 'Ereignis' bestimmt, was berichtet wird. Das Spektakel der Greenpeace-Aktionen bedient diesen Fetisch ebenso wie die Darstellung von Mumia ("Der Mann, der ein Buch aus der Todeszelle schrieb"). Der Erfolg dieser Art von Campaigning liegt nicht zuletzt darin, dass es sich auf kurzfristige, punktuelle und 'realistische' Interventionen beschraenkt, in deren Rahmen der Medienkonsumentin konkrete Handlungsanweisungen angeboten werden, an denen jeder im Rahmen seines Alltages mitmischen kann: Tankt nicht bei Shell, kauft keine franzoesischen Produkte, schreibt an Richter Sabo. Diese Handlungsanweisungen stellen aber das grundsaetzliche Handeln bzw. die Lebensweise der Handelnden nicht infrage, sondern ermoeglichen es den Buergerinnen, sich als kritische Teilhaberinnen am politischen Geschehen wahrzunehmen, ohne die Verfasstheit der Gesellschaft als Ganzes zu kritisieren. Das massenmedial vermittelte gesellschaftliche Handeln erschoepft sich darin, im Einklang mit zumindest Teilen der Herrschenden in Einzelfragen zu intervenieren (Weizsaecker und Kinkel fuer Abu Jamal). Losgeloest von jeglicher grundlegenden Gesellschaftskritik dient diese Form der Intervention hauptsaechlich dem guten Gewissen aller Beteiligten. Es entsteht weniger eine soziale Praxis als eine (mediale) Simulation derselben (In demselben Sinne liessen sich vielleicht auch die Lichterketten als eine Simulation von Antirassismus interpretieren, die eine nicht existierende antirassistische Alltagspraxis ersetzte). Es soll jetzt nicht darum gehen zu behaupten, Campaigning sei per se verwerflich und diene nur der Stabilisierung gegenwaertiger gesellschaftlicher Verhaeltnisse. (Auch uns ist es lieber, dass Mumia noch lebt.) Vielleicht steckt in solchen Medienkampagnen ja doch noch ein Kern von Politisierung der Konsumentinnen. Aber: Schon aufgrund der Struktur massenmedialer Kommunikation ist mehr wohl prinzipiell nicht zu erreichen. Eine Handlungsaufforderung wie "Kauft nicht bei Shell!" laesst sich massenmedial erfolgreich vermitteln. Eine soziale Praxis, die auf grundlegendere Veraenderungen der Gesellschaft abzielt, ist aber nicht in solche Anweisungen zu kleiden. Sie erfordert Diskussionen, Versuche, Mut zum Unfertigen und Unrealistischen - all das, wofuer in der Einbahnstrasse massenmedialer Kommunikation kein Platz ist. Don't believe the Hype? Gegenoeffentlichkeit im Internet Wenn wir uns der Frage zuwenden, welche Chancen sich fuer eine linke 'Gegenoeffentlichkeit' aus neuen technischen Entwicklungen ergeben, ist das fuer uns zentrale Problem nicht, welche neuen Kanaele der Informationsuebermittlung sich durch freie Radios, Mailboxen und Internet allgemein bieten. Vielmehr geht es darum zu klaeren, wo solche Medien im sozialen Raum positioniert sind und welche neuen (Handlungs)perspektiven sie eroeffnen. Auch die Diskussionen um das Internet als neuen Ort linker Medienpraxis kreisen in erster Linie um den Fetisch "Information, Information, nochmal Information und zwar fuer alle". Dabei werden Diskussionen ueber die nun technischen Moeglichkeiten von Gegenoeffentlichkeit wiederholt, wie sie aehnlich z.B. auch im Zusammenhang mit freien Radios gefuehrt wurden. Berauscht von der Tatsache eines riesigen, internationalen und deswegen kaum zensierbaren Informationsflusses bleibt die Diskussion zumindest innerhalb der Linken haeufig an diesem Punkt stehen. Dabei ist auch hier zu fragen, welcher Stellenwert solcher Information zukommt: "Die Rede von der Mailbox als universelles Medium erweist sich vollends als Mythos, wenn der Austausch von Daten und politischen Informationen zum puren Selbstzweck wird, falls diese sich am Ende nicht in politischer Praxis materialisieren. Das heisst, die Anwendung dieser neuen Technologie (fuer sich genommen) erreicht nichts!" (Thomas Kunz, links 3/94). Die spannendere Frage waere aber aus unserer Sicht, was von Vorstellungen zu halten ist, die das Internet auch und gerade als potentiellen Ort neuer sozialer Praxen verstehen. Es darf nicht uebersehen werden, dass sich das Internet von traditionellen Medien insofern wesentlich unterscheidet, als es die Moeglichkeit einer reziproken und interaktiven Kommunikation bietet. Besteht die Aussicht, sich in diesem Rahmen selbstbestimmte Orte zu schaffen, 'temporaere autonome Zonen' (Hakim Bey), in denen die gesellschaftlichen Regeln zumindest zeitweise ausser Kraft gesetzt (bzw. noch gar nicht verbindlich formuliert) sind? Und wenn ja, welche Auswirkungen hat das auf die soziale Existenz ausserhalb der Netze? Die Kritik an solchen Vorstellungen wird haeufig von einer Position aus formuliert, die offen oder implizit die 'authentischen' Formen von Kommunikation, Interaktion und sozialer Praxis in der 'wirklichen' Welt der Scheinwelt des Cyberspace gegenueberstellt. Uns erscheint eine solche unterschwellig naturalisierende Gegenueberstellung und Bewertung von Formen menschlicher Praxis fragwuerdig. Vielleicht bietet gerade die reduzierte und 'unauthentische' Form der Kommunikation im Netz die Chance, dort bestehende soziale Identitaeten zumindest teilweise ausser Kraft zu setzen. Bei der Beurteilung, welche tatsaechlichen Moeglichkeiten sich hier bieten, ist unkritische Begeisterung ebenso unangebracht wie vorschnelle Ablehnung. Viele Fragen, die sich uns aufdraengen, sind aus anderen Zusammenhaengen wohlbekannt: Wer sind die Akteure im Internet (90 % maennliche weisse Metropolenmittelschichtsbuerger, genau wie in der Linken ...)? Wie lange wird es dauern, bis die bestehenden Spielraeume in Netz juristisch und polizeilich domestiziert sind? Inwieweit besteht die Gefahr, einmal mehr die Funktion der Avantgarde im kapitalistischen Modernisierungsprozess zu uebernehmen, deren Praxen dann in kommerzialisierter und entschaerfter Form in den gesellschaftlichen Mainstream eingehen? Wesentlich erscheint es uns auf jeden Fall, sich bei der Diskussion nicht selbst in den Cyberspace zu katapultieren, sondern das Verhaeltnis von Cyber-Netzkommunikation und Kommunikation im 'realen' Echtzeitleben im Auge zu behalten. Sonst laufen wir stets Gefahr, allzu technologiezentriert zu diskutieren oder gar dem Mythos der 'Informationsgesellschaft' aufzusitzen. "Vorwaerts und viel vergessen!" Es bleibt zum Schluss die Frage, was aus unseren Ueberlegungen fuer die linke Medienpraxis folgt. Das Hauptziel derzeitiger linker Politik muesste unseres Erachtens sein, Alternativen ueber die Natur gesellschaftlicher Beziehungen gegenueber dem bestehenden hegemonialen Konsens wieder denkbar zu machen, wobei es notwendig ist, die Modalitaeten der Herstellung dieses Konsens in Rechnung zu stellen. Ungeachtet der Verschaerfung von Klassengegensaetzen vollzieht sich gleichzeitig eine Ausdifferenzierung von Lebensstilen und deren Repraesentation in der buergerlichen Oeffentlichkeit. Das hat zur Folge, dass, was sich frueher als klar umrissener hegemonialer Diskurs ausmachen liess, heutzutage immer schwerer zuordenbar ist. Das liegt unter anderem auch daran, dass sich dieser Diskurs in erster Linie nicht mehr um bestimmte Inhalte dreht, sondern zugleich in der Form ihrer Repraesentation aufgeht. Damit geht ein Eindringen in das Themenfeld alternativer Medien einher, deren Form absorbiert und deren Inhalte neutralisiert werden (So, wenn die in den alternativen Medien entwickelten innovativen kulturellen Servicefunktionen mittlerweile die oekonomische Grundlage von Stadtmagazinen a la Prinz geworden sind). Aufgrund des mit dieser Entwicklung einhergehenden Funktionsverlusts sehen sich die Medien der 'Gegenoeffentlichkeit' auf die Rolle von Fanzines zurueckgeworfen, die sich nur noch an eine relativ kleine soziale Gruppe wenden. Als solche sind sie allerdings keinesfalls funktionslos. Linke Medien koennen nach wie vor einen Ausgangspunkt bilden, um bestimmte Informationen in eine (auch buergerliche) Oeffentlichkeit zu tragen und dort Momente einer Delegitimierung der herrschenden Ordnung zu bewirken; derartige Informationen sind nicht deshalb unnoetig, weil sie nicht zwangslaeufig zu gesellschaftsveraenderndem Handeln fuehren. Es gilt aber, die Beschraenktheit einer solchen Funktion von Medien zu reflektieren und um Moeglichkeiten und Spielraeume sozialen Handelns zu ringen (catchen? boxen? aikido?). Eine gesellschaftsveraendernde soziale Praxis bedarf der Utopie von einer anderen Gesellschaft. Doch ein solches Projekt darf nicht als hauptsaechlich medial erreichbares gedacht werden. Gesellschaftliche Veraenderung beginnt auch und in erster Linie im sozialen Alltag der Subjekte. Die Utopie einer anderen Gesellschaft laesst sich nicht in Buchstaben, sondern allenfalls in kulturellen Formen artikulieren, nicht als fertiger Text, sondern stets fragmentiert und unvollstaendig. Und in einem solchen Kontext haben die linken Medien einen wichtigen Platz, auch wenn derselbe den Machern (welche bekanntlich gerne grosse und weitreichende strategische Gedanken formulieren) nicht behagen mag: Als Fanzines einer Subkultur sind linke Medien unverzichtbar. Gemessen an alten Illusionen mag das wenig sein. Mehr als nichts ist es allemal. autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe/mittlerer neckar: Bewegungsle(e/h)re? Anmerkungen zur Entwicklung alternativer und linker Gegenoeffentlichkeit. Erschienen in Nr. 308/309 (Januar/Februar 1996) der Zeitschrift 'links' (Sozialistische Zeitung/Verlag 2000 Offenbach - ISSN 0024-404-X. redistribution only with permission by the publishers --- # distributed via nettime-l : no commercial use without permission # is a closed moderated mailinglist for net criticism, # collaborative text filtering and cultural politics of the nets # more info: majordomo@is.in-berlin.de and "info nettime" in the msg body # URL: http://www.desk.nl/nettime/ contact: nettime-owner@is.in-berlin.de