Phil Graham on 5 Oct 2000 22:05:38 -0000


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[Nettime-bold] "Handbuch des oesterreichischen Rechtsextremismus"


 From Ruth Wodak
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Phil
***

Hon. Prof. Dr. Wolfgang Neugebauer      Wien, am 28. September 2000
Dokumentationsarchiv des österreichischen
Widerstandes (DÖW)
Wippplingerstraße 8
A-1010 Wien
Tel. +43 1 5343601779 Fax +43 1 534369901771
E-Mail: Wolfgang.Neugebauer@doew.at


Betrifft:

C       Klagen Haider/Böhmdorfer gegen mich u. a.
C       Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit
C       Verhältnis Haider/Böhmdorfer
C       Inkompatibilität Haider-Beauftragter - Bundesminister für Justiz 
(am Beispiel des Falles Andreas Mölzer)

Vorausschicken möchte ich, dass das Dokumentationsarchiv des 
österreichischen Widerstandes (DÖW) eine von der Republik Österreich 
(Wissenschaftsministerium), der Stadt Wien und dem von ehemaligen 
Widerstandskämpfern und NS-Verfolgten gegründeten, gleichnamigen Verein DÖW 
getragene Stiftung ist, die sich auf wissenschaftlicher Grundlage primär 
mit Widerstand und Verfolgung in der NS-Zeit, aber auch mit 
Rechtsextremismus und »Revisionismus« beschäftigt und zahlreiche 
Publikationen herausgegeben hat. Wissenschaftliche Projekte des DÖW werden 
u. a. von FWF, Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank, 
Hochschuljubiläumsfonds der Stadt Wien, BMBWK, VW-Stiftung und  EU 
gefördert. Kooperationspartner sind u. a. die  österreichischen 
Zeitgeschichteinstitute,  die Gedenkstätte Deutscher Widerstand, das 
Münchner Institut für Zeitgeschichte, die Philipps Universität Marburg, das 
US Holocaust Memorial Museum, Yad Vashem, CERA in Frankreich und die 
Theresienstädter Initiative in Prag. MitarbeiterInnen, Vorstands- und 
Kuratoriumsmitglieder des DÖW wirken an österreichischen Universitäten.

ad Klagen Haider/Böhmdorfer:
Als Leiter des DÖW und als Honorarprofessor für Zeitgeschichte der 
Universität Wien habe ich mich in mehreren Publikationen mit dem Thema 
Rechtsextremismus in Österreich auseinandergesetzt und bin aufgrund 
umfangreicher Recherchen und Analysen zu dem Ergebnis gekommen, dass die 
Haider-FPÖ nach unseren Definitionskriterien als rechtsextrem zu 
qualifizieren ist. Seit dem Erscheinen des »Handbuchs des österreichischen 
Rechtsextremismus« im Dezember 1993 hat Dr. Jörg Haider über seinen 
Rechtsanwalt (und persönlichen Vertrauten) Dr. Dieter Böhmdorfer zahlreiche 
Klagen straf- und zivilrechtlicher Art gegen das DÖW und mich eingebracht, 
nicht zuletzt in der Absicht, durch Zufügen materiellen Schadens einen 
Kritiker zum Schweigen zu bringen. Nach einigen Prozeßniederlagen Haiders 
(z. B. Urteil des Obersten Gerichtshofes (OGH) vom 22. Februar 1996) und 
Gegenklagen (wegen des Ausdrucks linksextrem) kam es 1996 zu einem 
Vergleich zwischen Dr. Haider und mir, in dem die gegenseitigen Klagen 
zurückgezogen und in einem Gentlemen's Agreement für die Zukunft eine 
Auseinandersetzung auf politischer und publizistischer Ebene anstelle vor 
Gerichten vereinbart wurde. Unter Bruch dieser - formaljuristisch wohl 
nicht verbindlichen - Vereinbarung hat Dr. Haider im November 1999 
neuerlich durch seinen Rechtsanwalt Dr. Böhmdorfer eine 
Ehrenbeleidigungsklage beim Landesgericht für Strafsachen Wien eingebracht. 
Inkriminiert wurden folgende Ausdrücke:
* „Zweifelsohne ist aber die FPÖ eine ausländerfeindliche und rechtsextreme 
Partei“
* „Es ist eben nicht wegzuleugnen, dass fast 27 % der österreichischen 
Wähler einer Partei die Stimme gegeben haben, die Österreich dem 
verständlichen Ruf aussetzt, ein Naziland zu sein“
* „Denn so wie er (Haider im israelischen Fernsehen, Anm. W.N) argumentiert 
hat, war das ein Antisemitimsus der besonders perfiden Art.“
Hinsichtlich der Ausdrücke »ausländerfeindlich und rechtsextrem« wurde 
schon in einem früheren Verfahren  vom Obersten Gerichtshof entschieden, 
dass diese unter die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit fallen. Ein 
negativer Ausgang dieses auf den 24. Oktober 2000 vertagten Verfahrens 
würde bedeuten, dass wir das in Überarbeitung befindliche »Handbuch des 
österreichischen Rechtsextremismus« in dieser Form (mit solchen 
Einschätzungen der Haider-FPÖ) nicht mehr herausbringen könnten. Da sich 
ähnliche Verfahren gegen den Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde 
Wien Dr. Muzicant, den Standard-Journalisten Hans Rauscher sowie gegen 
Politiker anderer Parteien und sogar gegen Kabarettisten richten, würde 
eine Subsumierung dieser wissenschaftlichen, publizistischen, 
künstlerischen und politischen Kritik unter einen strafrechtlichen 
Tatbestand eine fundamentale Beeinträchtigung der Meinungs-, Kunst- und 
Wissenschaftsfreiheit darstellen. Auch die Abgeordneten des Europäischen 
Parlaments, die am 3. Februar 2000 eine kritisch-negative Einschätzung der 
Haider-FPÖ beschlossen hatten, wären in Österreich strafrechtlich 
verfolgbar, wären sie nicht durch Immunität geschützt.

ad Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit:
Die Unabhängigkeit der Rechtsprechung ist in Österreich nicht nur 
verfassungsrechtlich bestimmt, sondern auch in der Praxis vorhanden, was 
nicht ausschließt, dass im Einzelfall parteipolitische Einflüsse zum Tragen 
kommen. Im Falle von Prof. Anton Pelinka z. B. wurde der Freispruch der 
Erstinstanz (Landesgericht für Strafsachen Wien) durch das Berufungsgericht 
(Oberlandesgericht Wien) aufgehoben, dem ein Richter angehört, der auf 
Wunsch der FPÖ als Regierungsvertreter in das ORF-Kuratorium nominiert 
worden ist und auch schon früher durch fragwürdige Urteile in politischen 
Strafsachen hervorgetreten ist (Mag. Ernest Maurer). Da 
höchstwahrscheinlich auch andere anhängige Prozesse bei diesem Senat des 
OLG-Wien landen, ist eine ähnliche Rechtsprechung zu befürchten, die in 
Österreich - mangels einer weiteren Instanz - nicht mehr korrigiert werden 
kann. Eine Anrufung des OGH im Wege einer Nichtigkeitsbeschwerde der 
Generalprokuratur würde der Zustimmung des Justizministers Dr. Böhmdorfer 
bedürfen. Es  bliebe dann nur mehr eine Anrufung des Europäischen 
Gerichtshofs für Menschenrechte.

ad Justizminister Böhmdorfer als Haideranwalt und -vertrauter:
Der nunmehrige Justizminister Dr. Dieter Böhmdorfer ist nicht nur über 
viele Jahre als Anwalt Dr. Haiders in zahlreichen Verfahren gegen 
politische Gegner in Erscheinung getreten, sondern fungiert, wie ich aus 
eigener Erfahrung weiß, auch als politisch Beauftragter und Vertrauter Dr. 
Haiders. So wurde ich im September 1993 von Dr. Böhmdorfer telefonisch und 
schriftlich zu einer Diskussion mit dem damaligen Bundesparteiobmann Dr. 
Jörg Haider im F-Klub im Hotel Hilton in Wien eingeladen, an der unter 
anderen auch die jetzigen Regierungsmitglieder Dr. Riess-Passer 
und  Scheibner teilnahmen. Nach dieser Veranstaltung, einem noch halbwegs 
freundlich verlaufenen Streitgespräch, erhielt ich von Dr. Böhmdorfer im 
Auftrag Dr. Haiders mehrere Schreiben, in denen eine Beteiligung der FPÖ im 
Vorstand des DÖW nachdrücklich gefordert wurde. Diese Forderung wurde vom 
Vorstand des DÖW aus mehreren Gründen (deutschnationale Grundhaltung, 
pronazistische Äußerungen Haiders, in der Zwischenzeit eingeleitete Klagen 
gegen das DÖW etc.) abgelehnt. Jedenfalls hatte dieser Versuch einer 
politischen Anbiederung mit einer bloßen Anwaltstätigkeit nichts zu tun.

ad Inkompatibilität Haider-Beauftragter - Bundesminister für Justiz am 
Beispiel des Falles Andreas Mölzer:
Die Klagen Dr. Jörg Haiders gegen mich und andere werden, auch nachdem Dr. 
Böhmdorfer zum Bundesminister für Justiz ernannt worden ist, von der 
Kanzlei Böhmdorfer & Gheneff fortgeführt. Auf den von der Kanzlei 
eingebrachten Schriftsätzen findet sich lediglich ein Vermerk, dass die 
Anwaltsbefugnis Dr. Böhmdorfers für die Dauer seiner Ministertätigkeit 
ruht. Ohne dass ein formaler Verstoß vorliegt, ist dadurch eine 
Beeinflussung der Rechtsprechung nicht auszuschließen.
Die potentielle Inkompatibilität der Funktion eines Justizministers mit der 
früheren Tätigkeit als Parteianwalt der FPÖ und politischer 
Haider-Beauftragter äußert sich im Falle des Herausgebers und 
Chefredakteurs der Zeitschrift »Zur Zeit« Andreas Mölzer, gleichfalls ein 
enger Mitarbeiter von Dr. Haider (derzeit Kulturbeauftragter des 
Landeshauptmannes von Kärnten). Das DÖW hat am 8. Juni 1999 Anzeige an die 
Staatsanwaltschaft Wien gegen die von Andreas Mölzer herausgegebene 
Zeitschrift »Zur Zeit« wegen Verdachts der nationalsozialistischen 
Wiederbetätigung erstattet, weil in einer Buchrezension eines 
»revisionistischen« Werkes der Holocaust geleugnet worden ist 
(Unmöglichkeit der »Massenvergasungen« in den nationalsozialistischen 
Lagern). Wie aus den beiliegenden parlamentarischen Anfragebeantwortungen 
von Dr. Böhmdorfer hervorgeht, wurde gegen den Verfasser des Artikels Hans 
Gamlich eine gerichtliche Voruntersuchung eingeleitet, das Verfahren gegen 
den verantwortlichen Chefredakteur und Herausgeber der Zeitschrift Andreas 
Mölzer wurde eingestellt. Das heißt, dass der Haider-Freund Dr. Böhmdorfer 
letztlich über einen anderen Haider-Freund, Andreas Mölzer, zu entscheiden 
hat. Der Justizminister kann aufgrund des ihm zustehenden Weisungsrechtes 
an die Staatsanwaltschaften jederzeit Verfahren gegen FPÖ-Angehörige 
einstellen bzw. gegen FPÖ-Gegner aufnehmen lassen.

weitere Informationen: www.doew.at

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Opinions expressed in this email are my own unless otherwise stated.
Phil Graham, Lecturer (Communication), Graduate School of Management
University of Queensland, Ph:  617 3381 1083; Fax:  617 3381 1083;
Mobile 0401 737 315; homepage: www.uq.edu.au/~uqpgraha
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