Krystian Woznicki on 2 Aug 2000 08:15:54 -0000


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[rohrpost] Fwd: expokritik


Hi,

am 21. Juni erreichte mich eine Mail von Doktor Simmen, in der er meine 
Kolumne in der BLN-Gazette kritisierte.
Daraufhin habe ich die Mail an die rohrpost - Liste weitergeleitet und 
stichwortartig darauf geantwortet, wobei ich
heute noch ärgere diesen Leserbrief nicht etwas eingehender, zumindest 
nicht so eingehend, wie normalerweise
beantwortet zu haben. Im Grunde ging es Simmen um (vermeintliche) 
Gegensatzpaare wie "erlebte Realität" und
"medial vermittelte Realität", um digital und analog - all das in Bezug auf 
die Expo. Nun erreichte mich gerade eine Mail
von Pit Schulz (siehe unten), in der er auf die Punkte Simmens eingeht.

Ein bisschen Expo-Kritik zwischendurch dürfte doch auch nicht schaden.

Gruss
Krystian

>---
>
>...das gute an email ist dass sie bei guenstiger sortierung
>ploetzlich wieder im fenster auftaucht, auch
>wenn sie schon wochenalt ist, je nach kontext neue
>aktualitaet erlangen kann:
>
>Die Expokritik zu der ich bisher nicht kam...  (im schnelldialog)
>
> >>nicht so ganz versteh ich die - durchaus amüsant zu lesende -, doch
> >>oberflächliche und selbstverliebte Kritik an der Expo in ihrem
> >>Erscheinungsbild.
>
>Lieber Herr Doktor Simmen, erstmal teile ich nicht ihre kritik an der
>kritik und sehe die gazette als durchaus gelungenes und originelles
>e-text format, das sicher hier und da etwas hochtourig faehrt was die
>vermengung von news-feed und wortakrobatik angeht, aber doch vielen
>in und ausserhalb berlins zu gefallen weiss.
>ausserdem ist oberflaechlich und selbstverliebt immer
>noch besser als einfaeltig und eigennuetzig.
>
> >>Hic Rhodus - his saltus, das ganze Geschreibe von Ihnen kratzt doch mit dem
> >>Nagel des kleinen Fingers allein an der Oberfläche.
> >>was man doch von dem karteikartenleichenverein ars digitalis bestimmt
>dieser diskurs um oberflaechlichkeit muss doch in seiner ganzen
>unbestimmtheit an den sender zurueckgehen. ich erinnere mich da
>an glorios im diffusen verschwimmende digitale fassadenprojektionen.
>
>vielleicht waere es schoen wenn sie einmal der rohrpostliste ihr
>hongkong projekt vorstellen wuerden bei dem vertreter der
>"young creative industry" berliner medienkultur vorstellen sollen.
>auch die cdrom wuerden wir gerne einmal sehen, oder gibt gar eine
>eine url und webdatenbank?
>
>
> >>>Wichtiger als die
> >>Werbe-Strategien sind doch die Pavillons, vor allem der Themenpark, 
> selten so
> >>neues Sehen erlebt (besonders bei Jean Nouvel).
>
>ja der schweizer pavillion hat mir auch sehr gut gefallen,
>da er sich doch etwas absetzt im postmodernen parcour multikultureller
>schnellimbisse, und trotz asiatischer klang-esotherik etwas zum
>ausruhen und nachdenke, zen fuer manager, einlaedt. sonst performt die expo
>bestens zwischen volkshochschule, fachverbands-leistungshow,
>gruener woche und ikea center. ja die expo ist eindrucksvoll keine frage,
>aber vor allem in ihrer konsequenten mittelmaessigkeit,
>ihrer urbanen vision einer globalen sim city von sagen wir
>stuttgarter format, und all dem was rem kohlhaas als junk-space bezeichnet,
>jenem dazwischen kreis-staedtischer fussgaengerzone und CAD-masterplan.
>schoenes beispiel dieser neuen unentschiedenheit ist der deutsche pavillion,
>der hat jedenfalls noch bleibenden wert, in seinem zeitlosen glasbeton
>bausparkassen charme. sicher gibt es zwischendrin interessante details,
>die laengst bekannte daimlercruisler mitmach parcour fuer angehende
>mit-lab bewerber, die wirklich belanglos dummen roboteier, mit dem stupiden
>kreisfahren die "autonome agenten interaktivitaet" auf das level von
>billigspielzeug brachten. (wer mal robocup gesehen weiss, dass
>heutzutage mehr geht) auch das ibm historien spektakel oder die
>siemens vorfuehrung konnten nicht recht im gedaechtnis bleiben. interessant
>auch das fast voellige versagen der expo auf WWW-ebene einen ueberblick
>zu schaffen, was derzeit an der schnittstelle von technolgie, kultur und 
>"mensch"
>geboten wird, vor allem fuer internationale besucher. ich war selbst
>eine woche vor ort, und konnte mir einen blick hinter die kulissen erlauben.
>wirlich eine tolle erfahrung!
>
>auf jeden fall sollte man aber auch die guten seiten der expo sehen,
>als jobmaschine gibt sie allen moeglichen mittelsmaennern und
>hilfskraeften die moeglichkeit mitzuverdienen und noch mal ihren obulus
>hinzuzuaddieren, die eier-installation des zkm soll um die 5 mio
>gekostet haben -  was fuer ein geschaeft!
>
> >>>Das sollte unbedingt mit der
> >>Ausstellung 7 Hügel verglichen werden, dazwischen liegt ein 
> Jahrhundertbruch!
>
>ja die kulturelle jahrhundertverantwortung der weltausstellungen! da
>konkurrieren eifelturm und postbank-gondelbahn und das in der weltstadt
>hannover! da lob ich mir doch die cebit. da steht wenigstens der
>computer im mittelpunkt und nicht ein doch im peinlich umbestimmten
>verbanntes universalkonzept des "menschen".
>
> >>
>
> >>Vielleicht ist's eine speziell deutsche Krankheit, nicht von den Fakten und
> >>dem, was einer sieht auszugehen, sondern journalistisch dahin zu 
> lamentieren.
>
>naja ich bin immer froh wenn jemand dem exzess dummdreister mittelmaessigkeit
>ein wenig auf die schliche kommt. im ansatz wird hier die expo als
>symptom gelesen, einer kleinstaedtischen mittelklasse-utopie die zwischen
>milchcaffee und potsdamerplatz virtualitaet noch ein stueckchen volksseele
>einzubauen versucht. keineswegs modern-riskant, sondern kleingeistig 
>postmodern.
>ueberhaupt das modell nationaler repraesentation im zeitalter
>multinationaler konuzerne und allgegenwaertiger "globalisiserung".
>immer wieder wurde man erinnert an jene 70er jahre bildbaende, die
>titel hatten wie "was-ist-was", bei denen die kleinfamilie im jahre
>2010 minutioes dargestellt wurde, einschliesslich intelligentes haus
>und oeko-tonne und transrapid bis vor die haustuer.
>
> >>
>
> >>Also ich lese gerne den Kulturserver
>und ich lese gerne den google.
>
> >>
> >>Was wurde im voraus auf die Expo geschimpft, besonders in den 
> elektronischen
> >>Selbst-Darstellungs-Diskutier-Gruppen ... jetzt ist's eröffnet und keiner
> >>setzt sich den Erfahrungen aus.
>
>ja da versteht einer wieder nicht wozu mailinglisten gut sind...
>
>die expo-erfahrung ist die der technokratisierten absurditaet
>einer investion in interfaces die die kluft zwischen
>einer alten industrie und arbeiterkultur von einer neuen wissens
>und freizeitkultur durch volksfestartige "events", schaubudenzauber
>und erwachsenenfortbildung auf vorschulniveau zu fuellen
>sucht. absurd weil in wahrheit eben eine elite von zynischen
>wissensarbeitern und konzeptern hier versucht
>volksverbloedung zum geschaeft zu machen. hier wird nichts
>erklaert, alles wird zum regressiven moment der
>erfahrung degradiert. was fatal ist in einer
>gesellschaft der information und immaterialitaet.
>
>repraesentation ja, aber von was eigentlich? kraftwerk singt
>bedeutungsschwanger: mensch, natur, technik. planet of visions...
>bitte?? gut das wetter traegt ein wenig schuld an der diffusitaet.
>viele hilfskraefte wurden schon entlassen, einige pavillions weigern sich
>ihren strom zu zahlen. das hauptspiel der gaeste auf der expo: wo kann
>man billig am meissten essen und trinken wird effektiv durch einige
>fallen und hindernisse erschwert. tip beim portugiesen ab 00:00 uhr.
>auch der mexikaner hat sich wacker geschlagen und feiert jede nacht
>eine rauschende fiesta. die amerikanischen pavillions mit dem gelben
>M finden sich gleich an mehreren orten und gefaellt immerhin durch
>moderat-globales preisniveau und promte bedienung.
>ein anderes highlight, 3 stunden schlange stehen beim
>planet m. zur multimedia show der bertelsmaenner samt globaler internet
>vision hier kein kommentar.
>
> >>>Das ist als ob man sich beide Augen
> >>zukleistert, um ja nicht über den eigenen Schatten springen zu müssen. 
> Warum
> >>bei der Rohrpost nix steht, das ist schon bedenklich für die vielen, 
> die sich
> >>stets auf alles stürzen, wo mit Protest das gute Gewissen beruhigt wird!
>
>ja das sind diese daemlichen allgemeinplaetze auf die man vor 15
>jahren vielleicht noch haette antworten wollen.
>auf telepolis und andernorts lassen sich wohlmeinende
>kritiken der expo lesen fuer die die an den spektakelstatus glauben.
>bitte machen sie sich schlau bevor sie kritik kritisieren wollen.
>das auf rohrpost wenig zur expo zu finden ist sollte doch zu
>denken geben. vielleicht ist es viellein leuten einfach nicht wichtig genug.
>das ist zumindest am besucherdurchschnitt festzustellen, gerade
>jene zielgruppe zwischen 20 und 40, die singles, wissensarbeiter,
>und trend-setter sind allzu rar anzutreffen. es dominieren die
>schulklassen, familien und seniorengruppen. das ist bei den 7 huegeln
>anders. hier kann zumindest die messebautechnik durchweg ueberzeugen.
>
>
> >>
> >>Also springen Sie, jumpen Sie nach Hannover und berichten Sie davon, am
> >>Freitag ist der Berlin-Tag, da sollten Sie dabeisein.
>
>wir waren da eine woche lang berlin tag, mit den anderen die noch
>billiger zu haben waren als ortsansaessige hochkultur.
>kann bei gelegenheit den faz artikel vorbeischicken.
>
> >>
> >>Ihre Erfahrungen interessieren Ihre Leser, nicht Meinungen und Hasenbrote.
>
>hm, genau eine solche sicht, dass die 'erfahrung' mehr zaehlt als
>wissen, das eben immer auch das wissen um die kritische positionen
>mit einschliesst, fuehrt eben zu solchen politischen peinlichkeiten
>wie dem original Volkswagen dessen Baujahr auf 1948
>vordatiert wurde und unter dem "baum des wissens",
>der multimedia show im deutschen pavillion, wohl neben spacelab
>und gutenbergpresse deutsche wertarbeit symbolisieren soll.
>(fuer den amd-chip aus dresden war die deadline wohl zu frueh)
>
>
>und viel spass noch beim erfahrungen machen!
>
>
>/pit


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