Matze Schmidt on Sat, 27 Oct 2001 20:46:12 +0200 (CEST)


[Date Prev] [Date Next] [Thread Prev] [Thread Next] [Date Index] [Thread Index]

Re: Re: [rohrpost] soli mit online-demo


At 20:18 26.10.01 +0200, Harald wrote:
>> ... Tatsaechlich war - auch wenn zB Manuel Castells das in seinem
>> Artikel "Internet, Netzgesellschaft" in _Lettre Internatonal_ Heft 54
>> anders will - der optisch populaerste teil des Netzes (der netze), das www
>> und das mailing, immer monetaer kontrolliert. auch das CERN, staette der
>> www-erfindung, war und ist, zwar als Grundlagenforschung deklariert und
>> bezueglich www quasi eine open source-quelle, aber immer in
>> staatliche/kapital interessen eingebunden, ... was man nochmal
>> nachrecherchieren sollte.
>
>Mit dem WWW verhält es sich ein wenig so, wie mit der Erstehung von Unix bei 
>AT&T, beides irgendwie Stiefkinder aus einer irgendeiner Ecke des Betriebs. 
>Berners Lee hatte nach eigener Auskunft wenig Rückhalt beim CERN, weil diese 
>sein Projekt herzlich wenig interessiert hat (vergl.: Berners Lee, Tim: 
>Weaving the Web). Von daher greift das Argument, dass das CERN monetären 
>Interessen dient, im Falle des WWW nicht besonders . Mailing hingegen ist
ein 
>Kind des ARPANET und auch in gewissen Sinne ein Nebenprodukt. Als erstes 
>"Killerapplet" des Internet überraschte sein Erfolg seine Erfinder
vollkommen 
>(vergl.: Hafner, Katie; Lyon, Matthew: Where Wizards Stay Up Late. The 
>Origins of the Internet). Gerade beim ARPANET wird meist von militärischen 
>Vorzeichen der Erfindung ausgegangen, weniger von monetären. Allerdings ist 
>selbst die Entstehung des Internet (und des Mailings) rein aus miltiärischen 
>Überlegungen heraus zumindest fragwürdig. 
>Ich meine, wenn immer schon monetäre Interessen hinter WWW und Mailing 
>gestanden hätten, dann hätten dessen Erfinder, oder diejenigen mit dem 
>monetären Interesse, wohl kaum irgendwas in die public-domain gestellt.    

ich wuerde sagen, "monetäre Interessen" stehen nicht 'hinter' dem www und
mailing, www und mailing sind auch nicht schlichte folge dieser interessen.
diese Interssen sind integral-unbewuszter bestandteil. dass beim CERN die
Erfindung grafischer Oberflaechen fuer Datennetze moeglicht wurde, ist sie
zu erklaeren mit der RechenMaschinenPower, die Berners Lee zur verfuegung
standen, oder war es der gemuetliche raum? das www als abfallprodukt des
kapitals zu sehen, waere sicher genauso verkuerzend wie es als
halb-subversiven akt zu betrachten. nur, die ursprungsmythen des www und
des mailings als Surprise stehen der tradition der genialen Bor'schen
erfinderleistungen naeher, als dem erklaerungsmodell ihres erscheinens oder
ihrer produktion, sie waeren *innerhalb* eines komplexes entstanden, der
per definitionem vielleicht keinem kapitalinteressen-unternehmen gleicht,
aber (wenn nicht privat) von einem garanten dieser kapitalinteressen
gespeist wurde. naiv zu glauben, staatliche aufgaben, wie die universitaere
forschung, wuerden nicht den verwertunggesetzten unterliegen. mit diesem
statement ist die erfinderische leistung "in technischer hinsicht" ja nicht
diskreditiert, aber rein technisch ist nichts.
public-domain heiszt nicht automatisch 'frei'; frei in der erlaubten
nutzung, ok. aber die geschichtlichen konsequenzen sind nicht
technikneutral, und die impulse zur erfindung des mailings waren es auch
nicht. beide momente unterliegen einer monetaer gestalteten
topdown-kontrolle dieser nutzung. finanzfreie datennetze hat es nie gegeben. 

auch wenn sich mit der freigabe der protokolle soetwas wie die
wissenschafts-libertaere scientific community altruistisch verwirklichte,
welche mails welchen inhalts zu welchem zweck wurden denn geschickt? diese
frage zielt nicht auf emotionalische alltagsmails und mitteilungen, ob die
kaffeemaschine noch voll ist, die man als friktionen innerhalb des
funktionszusammenhangs sehen koennte. sie fragt nach dem zweck der
instrumentalisierung der technik E-Mailing im kontext der definierten
funktionen der sender und empfaenger des unternehmens. der
beschleunigungseffekt den e-mails im kommunikativen austausch haben ist
wohl unbestritten. wozu diente zB dieser beschleunigungseffekt? diese ganze
unausgefuehrte argumentation sieht nach einem totalitaetsschema aus und am
ende steht vielleicht wieder nur das kapitalinteresse. ich denke, dass
dieses strukturell bestandteil von www und mailing war und ist, begruendet
in der struktur deren historischen verortung innerhalb kapitalistischer
strukturen.

im zus.hang mit der diskussion, sollte meine behauptung das argument
implizit  unterstuetzen, die Lufhansa-Server waeren soetwas wie privater
Raum. Aber es sollte dieses argument auch insofern erweitern, als privater
Daten"raum" nicht per se privat ist, sondern politisch gewollt ist.

>> ... nur, demos mit ihrem verbrauch im netz sind messbar und
>> personalisierbar, der verbrauch der LH wohl nicht.
>
>Das erstaunt mich nun ein wenig. Warum ist der "Verbrauch" der Demo messbar 
>und der der LH nicht?

ich dilletiere juristisch ein biszchen, oder anders, ich adaptiere mal
juristisches denken und mixe mit pseudomarxistischem zeug. es ist eine
frage der definition von "verbrauch". verbrauch von was und wem? wenn
verbrauch von ressourcen die nutzung von rechnerleistung meint, die
wiederum bestimmten kostenrechnungen unterliegt, dann verbrauchte die demo
und die LH zu vielleicht unterschiedlichen anteilen unterschiedliche
ressourcen. 
die LH werte ich mal als Dienstleister mit angeschlossenem provider, deren
ressourcen-verbrauch ideologisch nicht stattfindet, weil sie selbst mit
ihren ressourcen auf der seite des zum geschaeftsraum deklarierten www
stehen, was ja auch die deutschen gerichtsurteile 'im kern' zum thema spam
aussagen. als institution schuetzt die LH vor unstattlichen verbrauch -
konform zum urteil gegen spamming - ihre aufgabe der gewinnmaximierung.
wird diese behindert, steht der ursaechliche behinderer in frage.
online-demo-teilnehmer schuetzt gar nichts. ich unterstelle also der
Lufthansa nur eine positionierung innerhalb des feldes legitimer verbrauch,
weil geschaeftsunternehmen. sie hat keine position auszerhalb dessen. die
messung ihres reellen verbrauchs verbietet sich demnach, weil der nicht in
frage steht. in frage steht aber der verbrauch derer, die nicht
geschaeftsunternehmen sind und aus dem system geschaeftsraum www
herausfallen. technisch ist der rechnerleistungsbezogene verbrauch der LH
sehr wohl messbar, nur ideologisch nicht. worauf bezieht sich denn der
vorwurf der noetigung gegen die betreiber der online-demo? wozu wurde denn
genoetigt? sind nicht gewinnausfaelle, und sei es nur in potenz, das
entscheidende kriterium fuer den noetigungsvorwurf? oder ist jeder virus
ebenfalls schon noetigung?

matze
-------------------------------------------------------
rohrpost - deutschsprachige Liste fuer Medien- und Netzkultur
Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost Info: http://www.mikro.org/rohrpost
Ent/Subskribieren: http://post.openoffice.de