carsten on Tue, 19 Mar 2002 18:48:03 +0100 (CET)


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[rohrpost] Re: Internet als Medium/diskussion


hallo,

Peer Goebel schrieb:

> Ich halte es für durchaus legitim, den Computer in diesen Zusammenhängen
> als Medium zu bezeichnen. Das Problem beim Ausgangspunkt der Diskussion,
> dass es irreführend sei, den Begriff "Medium" zu benutzen, da dann
> PolitikerInnen davon ausgehen, dass das Internet genauso regulierbar sei
> wie Fernsehen oder Radio (oder Straßenverkehr, wie die Metapher
> "Datenautobahn" nahe legt), liegt wohl eher in der Unfähigkeit der
> Politik, die spezifischen Qualitäten dieses Mediums zu erkennen (bei
> "Zeitung" oder "Telefon" gibt es ja auch keinen Sendeschluss).
> Internetfähige Computer dienen als vermittelndes Element zwischen
> KommunikantInnen, wandeln Nachrichten in Signale für einen
> Übertragungskanal (abstrakt: das Internet) um.
> Ich fände es also sinnvoll, zwischen Medium und Kanal zu unterscheiden
> (wie z.B. John Fiske es tut) der Computer ist das Medium, das Internet
> ist der Übertragungskanal (wie beim Telefon: Telefon ist das Medium, die
> Kabel/Schaltstellen/Vermittlungsnetz (wie komplex auch immer) der
> Kanal).

technisch (als apparate), vor allem aus der sicht des künstlichen betrachtet
finde ich das sinnvoll - zumal ein komplexer medienbegriff jede 'alltags-
kommunikation' zunichte machen würde;
doch wo fangen kanal und medium an und wo hören sie auf wenn man
den bereich des künstlichen verlässt (und das geht recht schnell, wir sind ja
nicht (vollständig) drin, im internet)? an der netzhaut des auges,
dem trommelfell... was ist dazwischen? welche medialen transformationen
wirken da? luft, licht, elementarteilchen, erdstrahlen, astrologische
konstellationen? das medium ist doch der kanal oder zumindest die eigen-
schaftlichkeit und formbarkeit des kanals, oder nicht?

> Was wäre denn gewonnen, wenn der Computer kein "Medium" wäre?

einerseits nichts, andererseits sehr viel, wie ich meine:
nichts, weil wir zusammenfassende, abstrahierende und beliebig
verallgemeinerbare, interpretierbare begriffe vergessen könnten;
sehr viel, weil wir uns dann vielleicht mehr überlegen, in welcher form uns
eine datenmenge erreicht und wie wir mit dieser form umgehen (lernen);

> Natürlich
> sind Computer historisch gesehen als Rechenmaschinen für ökonomische,
> wissenschaftliche und militärische Zwecke entstanden, als Werkzeuge,
> werden aber in den letzten Jahren signifikant auch als
> Kommunikationsmittel genutzt.
> Will man McLuhan, dem alte Hippie, folgen, so ist die Tatsache, dass ein
> Medium andere Medien einschließt, nichts Neues, sogar eine Regel ohne
> Ausnahme. Druck schließt Schrift ein, Hörfunk Sprache, und
> Internetfähige Computer eben Zeitung und Video und Brief und anderes.
> (Das klappt bei seinem weiten Larifari-Medienbegriff ganz gut, wo das
> Medium Rad eine Ausweitung von Fuß ist, das Medium Kleidung die
> Ausweitung der Haut, Medien als Metaphern, als Technik zum Übersetzen
> von Wissen in einen anderen Modus.)
>
> Anders liegt es beim Begriff "Massenmedien", wo die Frage nach
> "öffentlich/privat" und "einseitig" spannend wird. Hier würde es mehr
> Sinn machen, die einzelnen Dienste (WWW, e-mail/mailinglists,
> Newsgroups, bla) daraufhin zu untersuchen.
>
> Dass Computer nicht nur als Kommunikationsmedium genutzt werden,
> widerspricht auch nicht der Bezeichnung - ich kenne genug Leute, die
> Zeitung weniger zum Lesen als zum Beheizen ihres Ofens benutzen, Bücher
> als Statussymbol oder Sammelobjekt im Schrank stehen haben (ohne je
> hineingesehen zu haben), es gibt genug Clubs, die alte Fernseher als
> schickes Interieure "zweckentfremden", und nicht etwa, um Nachrichten
> oder Unterhaltung darin zu suchen. ;-) Die "richtige" Nutzung wird im
> Gebrauch entschieden.

dazu vielleicht eher ein konstruktivistischer, sich auf das Material
beziehender
medienbegriff von S. J. Schmidt: Medien sind darin „alle Materialitäten, die
systematisch zu einer geregelten und gesellschaftlich relevanten semiotischen
(bzw. symbolischen) Kopplung von lebenden Systemen genutzt werden (können)“.

> Im Grunde geht es bei diesen Definitionsfragen doch darum, die
> Besonderheiten des Internetfähigen Computers herauszustellen, und das
> geht meiner Meinung nach auch mit dem Begriff "Medium". Denn mir fällt
> kein besserer für diesen Kommunikationszusammenhang ein - wenn
> "strukturbildende Form" aus der Systemtheorie mehr erklären kann, wäre
> ich gespannt darauf.

da ich gerade beim wild rumzitieren bin, hier die luhmannsche interpretation
von sybille krämer:
„Wo Elemente nur lose verknüpft sind, so daß sie faktisch unbestimmt bleiben,
dafür aber potentiell empfänglich sind für Strukturierung, handelt es sich um
ein Medium. Dasjenige jedoch, was diese lose Verknüpfungen dann zu
strukturbildenden Mustern verdichtet, gilt Luhmann als Form.“

wie gesagt, damit kann ich bis jetzt am meisten anfangen...

einen schönen gruss

carsten

> greetz
> peer
>
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> "In Wirklichkeit spiegelt die Kunst den Betrachter und nicht das Leben."
>                                 Oscar Wilde, Das Bildnis des Dorian Gray

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