Gerrit Gohlke on Thu, 23 Jan 2003 14:55:21 +0100 (CET)


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Re: [rohrpost] Vorsicht: Praktikant/in


Andreas Broeckmann wrote:

> also, ich glaube nicht, dass diese praktikumsregelung den arbeitsmarkt 
> versaut (niemand wird freiwillig im drei-monatstakt neue praktikantInnen 
> einarbeiten, wenn er sich qualifizierte leute leisten kann, die er/sie 
> ueber ein ordentliches gehalt fuer jahre binden kann), und aus meiner 
> eigenen erfahrung wuerde ich sagen, dass studenten _jede_ art 
> praktischer arbeitserfahrung nutzen sollten, denn gerade im 
> kulturbereich qualifiziert die hochschulausbildung nur sehr, sehr begrenzt.
> 
> ich denke, fuer die sanierung des kulturbetriebs wird es anderer 
> massnahmen beduerfen.


Den zutreffenden Argumenten dieser Mail ist eigentlich nur noch 
hinzuzufügen, daß diese Misere keineswegs ein Problem vorübergehender 
Spar-Etats ist und - vor allem - im ausgehungerten Kulturbetrieb nur 
auffällig sichtbar wird, aber nicht beginnt.

Geert Lovink hat auf dieser Liste vor einiger Zeit schon einmal am 
Beispiel Australien darauf hingewiesen, wie eine hochqualifizierte 
Kunst- und Kulturproduktion Freelancer produziert, die sich ihre 
Autonomie mit Selbstausbeutung erkämpfen; die also gewissermaßen mit 
Amateurarbeitsbedingungen für ihren professionellen Abstand zum bloßen 
Eventbetrieb zu zahlen bereit sind (resp. gezwungen werden, bereit zu 
sein - wie man will).

Diesem sich weiter verschärfenden Mißstand entspricht aber in 
Deutschland die Unfähigkeit einer halbherzigen Hochschulpolitik, die 
weder im Bereich der Kunstakademien, noch in den klassischen 
geisteswissenschaftlichen Fakultäten nachfrageorientierte 
Ausbildungsbedingungen schafft. Andreas Broeckmann deutet es nur im 
letzten Absatz an: Ironischerweise produzieren die Hochschulen auch 
weiterhin einen Überschuß kulturarbeitsmarktfremder 
Spezialitätenforscher, die häufig (nicht immer) über Praktika den 
eigentlichen Kontakt zur Anwendung (oder zum Erwerb) ihres beruflichen 
Wissens herstellen müssen.

Verschwörungstheoretiker könnten da einen Zusammenhang vermuten, weil es 
so schön zusammenpaßt. Fehl- oder teilqualifizierte Absolventen und ein 
immer weiter de-qualifizierter Kulturbetrieb. Wer auf beiden Seiten 
engagiert Qualität herstellen will, findet glücklich zusammen. Nur eben 
ohne zureichendes Budget. Wenn das am Ende gerecht ist, weil wir in der 
Sprache der Finanzämter unter dem Verdacht stehen, LiebhaberInnen zu 
sein, die für LiebhaberInnen produzieren, sind die PraktikantInnen nur 
gemeinsam mit ihren ArbeitgeberInnen Teil einer neuen Bohème. Das ist 
ein hochromantischer Zustand.

Gerrit

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