Stefan Heidenreich on Fri, 7 Feb 2003 21:30:03 +0100 (CET)


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Re: [rohrpost] Nachtrag zum bootlab


eine einheitliche "Kittler-Jugend" (sowieso kein besonders gelungener
Begriff) 
gibt es nicht. auch bei gemeinsamen ausgangspunkten können die
standpunkte divergieren -
das zeigt nicht zuletzt die mail von pc.krell.

anstatt über "tief ästhetische Inszenierungsqualität" daherzuschwafeln,
lohnt es eher, darüber sprechen, wozu eine Theorie technischer Medien
gut war und gut sein könnte. 

> Software als "Emanation" der Hardware 
Plotin ist als Philosoph des spätrömischen Imperiums, seiner
Netzwerk-Probleme und der damit verbundenen "Protokoll"-Hierarchie nicht
uninteressant, geschweige denn plump. Aber "Emanation" bezieht sich hier
einfach auf den Begriff Geist, dessen Austreibung Anfang der 80er eine
ganz heilsame Angelegenheit war. (an der sich Derrida übrigens
beteiligte - der erwähnte Sammelband beginnt mit einem Text von ihm.)

> Ich persönlich finde, daß Software weder Emanation von Hardware, noch
> idealistische Überwindung von Materie ist, sondern daß hier eine
> Scheinopposition sich dialektisch bestätigender Standpunkte aufgemacht
> wird.
welche alternative? so tun als ob beides eins wäre? die differenz
zwischen schaltkreis und befehl in der theoriebildung negieren? 
allerdings scheint mir auch, dass die differenz zwischen soft- und
hardware von begrenztem erklärungswert ist und stellenweise dogmatisch
überhöht wird.   

> ist dieser Medien-Materialismus, so etwa in der "Kittler-Jugend", nicht
> weniger dogmatisch und öde als ein fichtescher, schellingscher oder
> hegelscher Idealismus aus zweiter oder dritter Hand.
wo führt es hin, die materialität auszublenden? ich sehe auch die
probleme, dass ein teil der theorie nicht über die materialität der
medien hinauskommt und deshalb zu vielen drängenden fragen nichts mehr
zu sagen hat. man müsste im sinn einer kritik fragen: bis wohin reicht
die materialität der medien? wie schreiben die schreibwerkzeuge an den
gedanken, die netzwerke an den inhalten mit?  wie sind datenströme, ihre
muster und inhalte mit der struktur von netzwerken, protokollen und
algorithmen verknüpft? welche ökonomischen bindungen werden sie unter
den gegebenen umständen (kapitalismus etc...) unterworfen? wo geht
struktureller determinismus in kontingenz von inhalten über?

> fragwürdig, wenn, wie bei Kittler, sich die Vorstellung des
> autonomen Subjekts nicht relativiert, sondern - wie es mir scheint -
> einfach vom Menschen auf die Technik verlagert.
ich hatte kürzlich eine auseinandersetzung mit ihm, bei der ich den
standpunkt vertrat, dass in der technischen entwicklung so etwas wie ein
subjekt-unabhängige eigendynamik abläuft. un dhabe mich gegen eine
helden-geschichte von technik-heroen ausgesprochen (turing, shannon, von
neumann etc.), die mir als modus der geschichtsschreibung hinter den
stand, den wir mit der diskursanalyse foucaults erreicht hatten,
zurückfällt. also: kittler verlagert nicht einfach vom menschen auf die
technik ...     

> Nun ist ein Stück Hardware oder Software mitnichten eine autopoietische
> Schöpfung, auch wenn Kittler dies mit Hinweisen wie dem suggeriert, daß 
> Chips heute nur noch mit der Hilfe von Chips konstruiert
> werden können.
da hst du etwas falsch verstanden. das autopoiesis-konzept spielt dabei
wohl keine rolle, wohl aber der zweifel an der laufenden autorschaft von
subjekten.  

> Im Gegenteil ist jedes Stück Hardware und Software
> eine kulturelle, menschliche Konstruktion, deren Struktur,
> Programmiersprachen und -interfaces etc. mitnichten aus dem Material
> transzendieren und einer inneren Selbstevidenz entspringen, sondern auf
> Konstrukteure und Programmierer zurückgehen.
etwa wie die zahl pi? 
(vgl. sokals hoax) 

> "I would rather suggest we should be thinking about embedding our own
> creative subjectivity into automated systems, rather than naively trying
> to get a robot to have its 'own' creative agenda. A lot of us do this
> day in, day out. We call it programming." ~
man kann es von der seite beschreiben. das romantisch-selbstbestimmte
subjekt: als arbeitshypothese gilt ihm meine ganze sympathie. aber um zu
verstehen oder zu wissen, was man tut und was uns geschieht, hilft die
blau-augen-perspektive kaum weiter.  

> (Obwohl es mir kein Zufall zu sein
> scheint, daß man komplexe Zusammenhänge und logische Aussagen in
> Schriftsprache mit ihrer Kombinatorik von 128 ASCII-Zeichen noch am
> elegantesten und simpelsten ausdrücken kann.)
dass die praxis an vielen stellen darauf verzichtet: ein unfall? ein
verhängnis der regression?
ich hatte mich vielleicht missverständlich ausgedrückt, aber ich glaube
nicht, dass die "regressiven" GUIs sich durchsetzen, weil sie
"schlechter" sind als als ASCII-interfaces. deine argumentation hat
etwas vom klassischen "locked-in" Effekt: festhalten an der oberfläche,
mit der man sozialisiert wurde. auch eine form von dogma. aber die
diskussion von command-line vs. gui führt so nicht wirklich weiter. 

viele grüsse,
stefan
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