Alexis Waltz on Mon, 28 Apr 2003 13:22:39 +0200 (CEST)


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[rohrpost] Tagebuch zum Krieg. Von Harun Farocki



Der Tod der anderen
Tagebuch zum Krieg. Von Harun Farocki

18. März 2003

1944 machten Aufklärungsfotografen der US-Luftwaffe
Aufnahmen von den Anlagen zur Herstellung von synthetischem
Gummi und Benzin in Monowitz / Polen. Ohne es zu wollen und
ohne es zu bemerken, erfassten sie dabei auch einige der
Lager von Auschwitz. Diese Bilder wurden erst 1977
veröffentlicht. Die zuführenden Bahngleise lassen sich
identifizieren, eine Wand, an der Exekutionen vorgenommen
wurden, das Haus des Kommandanten, selbst die Schächte auf
den Dächern der Gaskammern, durch die das Zyklon-B geworfen
wurde, zeichnen sich ab. In der Distanz von 7 000 Metern ist
der einzelne Mensch kaum mehr als ein Bildpunkt, Menschen in
Gruppen sind als Muster erkenntlich, eine Gruppe bewegt sich
von den Bahngleisen zum Lager, eine andere steht in einer s-
förmigen Windung auf dem Hof Schlange, um registriert zu
werden. Eine dritte bewegt sich zur Gaskammer beim
Krematorium 4, das Tor zum Hof steht schon offen.

Diese Bilder schienen mir damals ein angemessenes Mittel zur
Darstellung der Lager, weil sie zu den Opfern eine Distanz
halten. Anders als die Bilder aus der Nähe: Bilder von der
Selektion auf der Rampe, Bilder der ausgehungerten Häftlinge
in den Schlafräumen, der Leichenberge, die der Bulldozer
wegräumt. Mit solchen Bildern wurde den Opfern noch einmal
symbolisch Gewalt angetan und auch bei bester Absicht wurde
von ihnen ein Gebrauch gemacht.

Mit dem Krieg der Alliierten gegen den Irak wurde aus den
Luftbildern ein alltägliches Mittel der Berichterstatung.
Die TV-Stationen wurden mit schwarz- weißen Bildern mit dem
Fadenkreuz im Zentrum überschwemmt, die entweder die
Aufsicht auf ein Ziel gaben, in die ein Projektil einschlug.
Oder die aus dem Kopf eines Projektils übertragen wurden,
die den Anflug auf ein Ziel zeigten, bei dessen Erreichen
das Bild abriss. Von diesen Bildern sagte Virilio, sie
zielten auf uns.

Diese Bilder sind eine Propaganda neuen Typs. Sie sehen
sachlich aus – wie ein technischer Vollzug – und
unterschlagen, dass es viele menschliche Opfer in diesem
Krieg gibt. Es ist auch bezeugt, dass es Bilder gibt, auf
denen Menschen im Zielgebiet zu sehen sind – aber das ist
kaum zu beweisen. Die Bilder werden vom Militär erzeugt wie
kontrolliert. Kriegsführung und - berichterstattung fallen
hier zusammen.

Die Gegenseite hat ebenso Gründe gehabt, die menschlichen
Opfer nicht zu zeigen.

Das soll nicht heißen, dass man die Bilder der Verletzten
und Toten hätte zeigen sollen. Es ist nur zu deutlich, dass
uns diese Bilder nicht aus guten Gründen erspart bleiben.
Als Bush am 16. März auf den Azoren den Giftgasangriff der
irakischen Führung ansprach, gab es auf einmal Bilder von
Toten auf den Straßen von K. zu sehen.

Schreckliche Bilder – vor 17 Jahren aufgenommen, als der
Irak noch den Iran bekämpfte und von den USA unterstützt
wurde – jetzt ausgespielt wie ein Trumpf.

In Tagträumen habe ich oft gedacht, dass ein guter Text,
eine gute Fernseharbeit auf die vielen schlechten Texte und
Bilder angewiesen sind, von denen sie sich absetzen wollen.
Sind die guten Autoren nicht Ausbeuter der schlechten, so
wie die hoch qualifizierte Arbeit als Unterfutter die
massenhafte, ungelernte braucht? Wenn es um den Krieg geht,
wie kann man da beim Schreiben oder Filmen vermeiden, mit
den entstellten Körpern Geschäfte oder Politik zu machen?


19. März 2003

Zur Wappnung ein paar Worte von Serge Daney: »Das Bild steht
immer an der Front der Auseinandersetzung zwischen zwei
Kraftfeldern, es ist dazu verdammt, eine bestimmte
Andersheit zu bezeugen, und es fehlt ihm immer etwas, obwohl
es stets einen harten Kern besitzt. Das Bild ist immer mehr
und zugleich auch weniger als es selbst. »In ernsten Zeiten
sind dumme Bilder und Wörter schwer zu ertragen. Die dummen
Bilder sind nicht solche, die ihr Ziel verfehlen und etwas
anderes treffen – in Analogie zu den »dummen Bomben«, die
schon zum geflügelten Wort geworden sind.

»Um mir das Leben nicht weiter zu komplizieren, entschloss
ich mich, zwischen dem ›Bild‹ und dem ›Visuellen‹ eine klare
Unterscheidung zu treffen. Unter dem Visuellen verstehe ich
die optische Verifikation eines rein technischen
Funktionierens. Das Visuelle kennt keinen Gegenschuss, ihm
fehlt nichts, es ist abgeschlossen, kreisförmig in sich
zurücklaufend, ein wenig von der Art des pornografischen
Spektakels, das nichts weiter ist als die ekstatische
Verifikation des Funktionierens der Organe.« (Serge Daney:
Von der Welt ins Bild – Augenzeugenberichte eines
Cinephilen. Berlin, 2000)


20. März 2003

Im Kino und Fernsehen ist der Tod – radikaler noch als im
Seelenleben – der Tod der anderen. Ich bin der Betrachter –
ich sehe andere sterben, aber der Film wird weitergehen oder
sich fortsetzen, also werde ich ewig leben. In Kriegszeiten
kann ich die Bilder, die ich gerade gesehen habe, gleich
nochmals auf demselben Kanal oder einem anderen sehen. In
einer Kolumne einer Filmzeitschrift hat Peter Handke einmal
von der Erfahrung mit billigen Nachtprogrammfilmen
geschrieben, die in Rom begonnen werden und nach einer
Insolvenz der Produktion in Berlin fortgesetzt werden.
Nichts ist unheimlicher, als wenn Darsteller aus einer
Filmerzählung spurlos verschwinden! Das ist der Erfahrung
des Todes näher als das Bild eines Sterbenden, dessen
Sterben, weil Wert in einem dramaturgischen Kalkül, auch
noch etwas wie einen Sinn bekommt.

Am 11. September bemerkte ich, dass einem Moderator, der um
die Mittagszeit in das Studio gekommen war, inzwischen
Bartstoppeln gewachsen waren. So etwas hatte ich noch nie
gesehen und das belegte den Ausnahmefall besser als all die
Beteuerungen, nichts werde mehr so sein wie bisher. Dass
einem während der Fernsehsendung der Bart wächst, das ist so
erschreckend wie dass einem nach dem Tod der Bart noch
nachwächst.


21. März 2003

Rache für den 11. September: Jetzt haben die USA etwas in
Gang gesetzt, von dem es nur ein paar Bilder gibt, die immer
wieder gezeigt werden.


22. März 2003

Ein Mail meines Freundes Rembert Hüser: »Und warum schreibt
oder sagt niemand, dass ›awe‹ von ›shock and awe‹ nicht
›Einschüchterung‹, sondern ›Ehrfurcht‹ heißt? Dass es sich
dabei um einen Begriff aus der Erhabenheitsästhetik handelt,
dass es um die Anerkennung von Minderwertigkeit angesichts
des Göttlichen geht?«


23. März 2003

Ein Bild, wie ich es noch nicht gesehen habe. Start von
Flugzeugen vom Deck eines Flugzeugträgers. Alle Gegenstände
in leuchtenden Falschfarben, in niedriger Rate übertragen.
Ein reales Bild, allerdings ohne jede Raumwirkung, wie icons
auf einem display. Startende und landende Maschinen auf dem
Flugzeugträger sind ein häufiges Motiv, das Standard-
Stellvertreter-Bild für Kriegsführung, ähnlich dem von der
Stahlschmelze für Industrieproduktion. Zu oft gezeigt, ein
neuer Ausdruck wird gebraucht!

Beim Zappen haben wir bemerkt, dass Viva sein Logo durch ein
Ostermarsch-Zeichen ersetzt hat, zum Zeichen der Anerkennung
sehen wir uns einen Clip an. Ein Rapper im Ghetto, mit
teuren Kameras werden Effekte billiger Kameras nachgemacht,
damit die Armut als Geste deutlich bleibt, wie bei einem
Staatsmann, der das Gewand einfacher Menschen trägt. Auf dem
Rücken der Rapper erscheinen kurz elektronische Fadenkreuze.
Ein Rebell zu sein heißt, im Fadenkreuz der Hightech-Waffen
zu sein. Zurzeit des Kosovokrieges hielten in Belgrad
Demonstranten Pappschilder mit einem Fadenkreuz hoch: Wir
sind die Opfer; daher muss die Idee für den Clip gekommen
sein.



Experten und Projektile
Tagebuch zum Krieg [Zweiter Teil]. Von Harun Farocki

23. März 2003

Gestern nahm ich im SFB an einer Radiodiskussion teil.
Zuhörer riefen an, und alle kritisierten die
Bildberichterstattung im Fernsehen. Nicht nur, dass da kein
vollständiges oder wahres Bild vom Krieg gezeigt werde. Eine
Frau sagte, sie habe gesehen, wie ein TV- Team Gasmasken
anlegt, und sie hätte denken müssen, sie schützten sich, um
Bilder ungeschützter Zivilisten aufnehmen zu können.

Erinnerung an den ersten Kriegstag: In Kuwait ist Luftalarm,
im Pressezentrum versuchen die Berichterstatter, ihre
Gasmasken anzulegen. Im Hintergrund sieht man das
Hotelpersonal, Männer und Frauen aus Thailand und von den
Philippinen. Für sie gibt es keine Masken, sie haben
Taschentücher umgebunden wie bei einer Grippe-Epidemie.


24. März 2003

Für zwei Tage bin ich in Lille, man bringt mich in einer
Wohnung ohne Fernseher unter.

Auch das Tabac über die Straße hat keinen Fernseher.

Ein Bildtyp, der 1991, beim Krieg der Alliierten gegen den
Irak, Furore machte, kommt in diesem Krieg nur noch am Rande
vor: die Luftaufnahmen aus Flugzeugen oder Drohnen zur
Überwachung des Bombardements. In kontrastarmem Schwarzweiß,
im Zentrum das Fadenkreuz. Mit dem Einschlag des Projektils
reißt die Aufnahme ab.

Noch mehr Erstaunen riefen die Bilder aus dem Kopf der
Projektile hervor, die den Anflug auf das Ziel
übermittelten, aus »filmenden Bomben« (Theweleit). Weil
Videospiele mit dynamischen Perspektiven Effekt machen,
schrieb man damals oft, der Krieg erscheine wie ein
Videospiel.

Diese Bilder wurden im Zusammenhang mit dem Wort
»intelligente Waffen« gezeigt, und weil sie den Blickpunkt
der Waffe einnahmen und nicht den eines zielenden Soldaten,
erschienen sie als Subjektive neuen Typs. Sie gaben dem
Projektil eine Subjekt-Ähnlichkeit und waren ein Bild zur
Einfühlung in den Geist der Waffe.

Es ist damals kaum bemerkt worden, dass eine Videokamera im
Projektil noch lange nicht beweist, dass dieses
»intelligent« ist, also mittels Bildverarbeitung ein Ziel
erkennen und ansteuern kann. Tatsächlich dienten die meisten
der Bilder aus diesen Selbstmord- Kameras nur zur
fotografischen Kontrolle der Wirksamkeit des Angriffs –
dieses Verfahren gab es schon in Zweiten Weltkrieg.

Diese Bilder waren also eine merkwürdige Reklame: Reklame
für eine Waffe, die die Waffenindustrie gerne
entwickeln/verkaufen würde und die Militärführung gerne
bezahlt bekäme. Eine Waffe behauptet ihre Existenz, um ein
Existenzrecht zu setzen!

Gestern wurden solche Bilder bei einer Pressekonferenz der
US-Kriegsführung gezeigt. Der Fernsehbericht des Ersten
Programms zitierte sie nur für Sekunden und merkte an, diese
Bilder bewiesen nichts. Der Kommentar merkt gegenwärtig
ständig an, man wisse nicht, wo eine bestimmte Bildfolge
aufgenommen worden sei und man könne nicht nachprüfen, ob
sie eine Situation angemessen wiedergebe. Auf einmal ist das
Fernsehen extrem medienkritisch.

Man spricht in diesem Krieg nicht mehr von »intelligenten
Waffen«, nur noch von Präzisionswaffen.


31. März 2003

Schlagzeile der Berliner Zeitung: »Kirche unterstützt
Reformkurs«. Der Krieg ist nicht mehr die erste Nachricht.

»Erstausstrahlung« von Madonnas »American Life« auf dem
Musikkanal Viva, dem Sender mit dem Friedenszeichen als
Logo. Der Clip will sich gegen jeden Einwand schützen, indem
er ins Zentrum eine Modenschau stellt, mit Mädchen in
Taliban-Kleidung auf dem Laufsteg, über den schließlich ein
jeepähnliches Fahrzeug mit Mädchen in Uniform braust. Es
soll also um die Mode der Politik gehen. Es war eine Politik
der Mode, dass Antimilitaristen Uniformteile anlegten, um
deren Magie zu brechen. Umgekehrt haben US-Soldaten im
Vietnamkrieg Attribute der Protestbewegung angenommen: lange
Haare, Drogen, Rockmusik. All das ist seither völlig
entzaubert und taugt nicht mehr zum Ausweis einer
Geisteshaltung. Darüber gibt es schon Bücher, und das muss
Madonna, die als nicht dumm gilt, wissen. Dass der Clip
schon vor der Premiere umgeschnitten worden sein soll und
danach wieder zurückgezogen wurde, also eine Provokation
bedeuten soll, hat mit der Krise der Institution Militär zu
tun. Weil es für das überkommene Militär keine Funktion
gibt, wird der Soldatenrock wieder zu einem Heiligtum. Zur
nationalen Folklore trägt Madonna bei, indem sie so tut, als
könnte sie für ihren Clip an die Wand gestellt werden (ein
»Fashion Victim«). Zu unterstellen, ihr Spiel könne die
Soldaten beleidigen, während jeder zweite Arbeitslose in
Armeeklamotten rumläuft (»Reserve-Armee«), weist auf die
ideologische Konfusion hin und ist damit vielleicht sogar
ein subversiver Akt.


2. April 2003

(Chicago) Der Krieg ist eher in den Börsenschwankungen
abzulesen als in den Alltagsbildern. In den Bars laufen nur
Sportbilder. Im Hotel müssen wir durch viele Kanäle
schalten, bevor der Krieg erscheint. CNN hat hier einen
anderen Tonfall als in Europa. Der Grundton ist der eines
Sportreporters, der entschieden für das eigene Team Stimmung
macht. Straßen im Irak sind zu sehen, auf denen Panzer in
Richtung Bagdad fahren. Bei Sportereignissen ist es heute
üblich geworden, vor und nach dem Spiel Experten einzuladen
und mit ihnen zu sprechen, weil das Bild nichts hergibt.
Hier gibt das Bild nie etwas her, die ȟberraschend heftige
Gegenwehr« ist nie zu sehen, und auch eine Totale von Bagdad
während des Bombardements macht nicht deutlich, was
getroffen wurde und mit welchen Folgen. Also werden auch
hier Experten zugeschaltet, ein ehemaliger
Verteidigungsminister und ein ehemaliger Außenminister. Sie
haben an der Kriegsführung einiges auszusetzen und am
außenpolitischen Kurs der Bush-Regierung, meinen das aber
konstruktiv. Der Ex-Außenminister sagt, es sei schön, dass
Bush »this animal« Saddam jetzt killen wolle. Mal erscheint
das Bild des TV-Hosts links, und daneben sind übereinander
die beiden Experten zu sehen; im nächsten Augenblick ist der
eine Experte größer zu sehen und die beiden anderen Köpfe
sind in kleinere Rahmen gekästelt. Das Umschalten und
Größer-und- kleiner-erscheinen-lassen von zugeschalteten
Köpfen ist sowieso die Hauptaktion bei CNN. Hier ist nun
auch stets noch die irakische Landschaft mit den
Fahrtaufnahmen dabei.


5. April 2003

Anders als im vorigen Krieg gegen den Irak 1991 ist die
Kriegsführung darum bemüht, möglichst keine oder möglichst
wenige zivile Opfer zu verursachen. Die Live- Bilder aus
Bagdad, Totalen, die das Ausmaß der Bombardements nicht
ermessen lassen, und auch die langen Einstellungen von
Truppenbewegungen irgendwo, lassen sich mit den Bildern aus
Überwachungskameras in einem Bürohaus oder Krankenhaus
vergleichen. Sie zeigen nicht alles, und es ist ihnen nicht
abzulesen, ob einer die Bücher fälscht oder die Narkose
verpatzt. Aber dass es die Kameras und die Bilder gibt, das
steht für eine gewisse Ordnung und soll für Rechtlichkeit
gelten. Wir sind als Zuschauer in die Rolle des
Sicherheitspersonals versetzt, vor dem diese Bilder
ablaufen. In jedem Film sind die Leute vor diesen
Kontrollschirmen elende Idioten und kriegen eins auf die
Mütze beim Überfall. Sie werden wenigstens bezahlt fürs
Absitzen, wenn auch schlecht.



Die Not der Bilder Tagebuch zum Krieg.
Dritter und letzter Teil. Von Harun Farocki

6. April 2003

(Toronto) Ein kanadischer Nachrichtenkanal mit ähnlichem
Design wie CNN, auf dem Hauptbild spricht ein Arzt über
Sars, auf dem Nebenbild erscheinen Autobahnbilder aus der
Region, die eine Bildunterschrift jeweils lokalisiert. Es
hat einen heftigen Schneefall gegeben, und diese Bilder
sollen die Verkehrsverhältnisse dokumentieren. Für einen
Augenblick glaube ich, sie zeigten den Vormarsch der Seuche
und zugleich den Vormarsch der Koalition auf Toronto. Seit
Beginn der Invasion haben wir aus dem Irak Bilder von
ähnlicher Banalität gesehen, denen kaum mehr abzulesen war
als Wetter und Verkehrsdichte. Das Wissen, das seien
Kriegsbilder, hat uns in Spannung gehalten. Die Kommentar-
Stimmen haben zu der Spannung beigetragen, indem sie von
»unerwarteten Schwierigkeiten« und einem »Widerstand,
stärker als erwartet« sprachen. Das ging mir ein, wohl im
Kinderglauben, das Unrecht des Angriffs werde sich rächen,
gleich oder irgendwann.


7. April 2003

Im Toronto Star das Foto eines US-Panzers, in starker
Untersicht gegen einen hellblauen Himmel, von dunkelgrauen
Wolken oder Rauchschwaden durchzogen. Auf der Luke des
Panzers am Bildrand rechts steht ein irakischer Soldat und
hält Ausschau, am Bildrand links balanciert ein zweiter sehr
sicher auf dem Kanonenrohr von etwa zwanzig Zentimetern
Durchmesser, seine Jacke weht auf und die rechte Hand hält
eine Waffe gesenkt, die linke ist zum Victory-Zeichen
erhoben. Dabei schaut er aus dem Bild nach links oben. Die
Bildunterschrift sagt, der M-1-Abrams-Panzer sei bei einem
Kampf an der Stadtgrenze von Bagdad von einer Granate
getroffen und aufgegeben worden. Das Bild hält keine Pose
fest, sondern friert einen Moment aus einer
unverständlichen, mit Selbstgewissheit ausgeführten Handlung
ein. Die Untersicht und der dramatische Himmel erinnern an
ein Schlachtengemälde. »A coalition plane later swooped in
and destroyed the tanks remains.« Das ist symbolische
Politik: ein kaputter Panzer wird zerstört, damit man mit
ihm kein »Schindluder« treiben kann, damit die Panzer-Leiche
nicht weiter geschändet werden kann.


8. April 2003

Anders als in den USA ist hier in jeder Bar der Krieg auf
dem Bildschirm anwesend. Im Frühstückscafé ein kanadischer
Kanal, auf dem links Straßenbilder aus Bagdad und rechts
Highways aus der Region Toronto zu sehen sind.


9. April 2003

Im Traum: Wir fuhren mit einem Bus zu so etwas wie einem
politischen Seminar. Jemandem war es gelungen, den alten
Hitler aufzutreiben. Er saß mit uns im Bus und sah sich ein
bisschen ähnlich, aber auch teilweise überhaupt nicht. Ich
versuchte, sein Alter auszurechnen, und witzelte mit ihm
rum: »Haben Sie dich angerufen oder Eva Braun?« Ich duzte
ihn absichtlich. Wir kamen überein, dass er nicht echt sein
kann. Mein Freund Christian Petzold sagte: »Würden Sie
diesem Mann ein gebrauchtes KZ abkaufen?«

Das ist natürlich ein Tagesrest. Am Vorabend hatten wir das
Video mit bin Laden oder seinem Wiedergänger gesehen.
Außerdem hatte Hitler am Ende Sorge, man könne mit seiner
Leiche »Schindluder« treiben.


11. April 2003

Erinnerung an einen Satz von Jan Stage: Früher wurden Kriege
geführt, um sich etwas unter den Nagel zu reißen, heute, um
einen Antrag auf Kredit bei der Weltbank vorzubereiten.
Umfrage auf CNN: Ist der Krieg erst dann gewonnen, wenn wir
S.H. haben (tot oder lebendig) oder wenn er aus dem Amt ist?
51 Prozent zu 49 Prozent.


Rhetorik des Unzureichenden

Sieben US-Soldaten werden aus der Kriegsgefangenschaft
entlassen/befreit. Eine Videokamera hat vom Ereignis etwas
aufgenommen, zwei Krankenwagen, die nebeneinander herfahren,
und die Soldaten selbst, die einen Platz überqueren. Die
Bilder wurden per Videophone übermittelt. Jetzt werden sie
in Zeitlupe wiederholt, zu einem Kommentar, der das Ereignis
wiedergibt. Genau das sieht man ständig auf »unabhängigen
Filmfestivals«, ein Bild das nicht viel sagt, technisch
herabgesetzt zum Ziel der Überhöhung, oft wiederholt, um
überdeutlich zu machen, dass die großen Momente keine
Bildentsprechung finden. Bei diesem CNN-Beitrag macht diese
rhetorische Figur einigen Effekt, denn die Produzenten
handeln aus reiner Bildernot und wollen das nicht
beschönigen.


Augenbinde

Woher kam der Kran, mit dem das Standbild Saddams in Bagdad
umgerissen wurde? Dass jemand zuvor der Figur eine US-Fahne
um das Gesicht gewickelt hatte, könnte ein schiefes Bild
ergeben. Oder die Fahne soll eine Augenbinde bedeuten, wie
man sie dem Verurteilten vor der Hinrichtung umlegt.


Erfolg

Am 7. April gab die CIA den Hinweis, Saddam und seine Söhne
Udai und Qusay hielten sich in einem bestimmten Gebäude auf,
ein B-1-Bomber flog hin und warf eine 900- Kilogramm-Bombe
drauf, die einen 18 Meter großen Krater riss. Rumsfeld
sprach von einem außerordentlichen Erfolg. Ob die Familie
Saddams getroffen wurde, wurde nicht weiter verfolgt.
Mindestens 14 Zivilisten waren tot und das Sprüchlein vom
Bedauern darüber wurde vergessen. Da die Präzision der
Waffen in diesem Krieg ständig gerühmt wurde, kann der
Erfolg nicht darin liegen, dass die Bombe ihr Ziel nicht
verfehlte. Läge er darin, dass es gelang, eine Aufklärung
des Geheimdienstes schnell zum Militär zu kommunizieren,
würde Rumsfeld das kaum öffentlich machen wollen.

Reporter des Pentagon durften mit zwei Mitgliedern der
Bomberbesatzung ein Telefoninterview machen, das auch
sogleich auf CNN ausgestrahlt wurde. Captain Wachter und
Lieutenant Swan erzählten von Adrenalinstößen und Stolz.
Üblicherweise wird nicht öffentlich gemacht, wer wohin eine
Bombe wirft. Bei einer standrechtlichen Erschießung gibt es
sogar den Brauch, ein Gewehr mit einer hölzernen Kugel zu
laden, sodass jeder im Kommando denken kann, er habe den Tod
nicht verursacht.


Uniform-Mode

Polizeiuniformen haben keine Anmutung, im Kino sind die
Polizisten ohne Uniform die Helden und die in Uniform die
Witzfiguren, wie die Keystone-Cops zu Stummfilmzeiten. Wenn
das Projekt einer Weltpolizei sich durchsetzt, müsste auch
Madonna wieder die Uniform ablegen und sich zivilisieren.
Vielleicht kriegen wir im Kino bald eine gut
choreografierte, herumpurzelnde Weltpolizei zu sehen.


Zeit-Politik

1991 begleitete das nicht private Fernsehen in Deutschland
den Krieg gegen den Irak exzessiv, und als er vorbei war,
behielt es das »Frühstücksfernsehen« bei. Kein Feind kann
für die Ausdehnung der Sendezeiten und die Vermehrung der
Kanäle verantwortlich gemacht werden. Nach der Theorie des
Partisanen versucht der Schwache, den Starken zu schwächen,
indem er dessen Aufmerksamkeit bindet. In der selbst
auferlegten Zerstreuung beim Dauerfrühstück ist ein Gegner
entworfen, dessen Bild nicht zu fassen ist.


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http://www.jungle-world.com/seiten/2003/17/774.php

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