Cornelia Sollfrank on Tue, 26 Aug 2003 16:10:50 +0200 (CEST)


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[rohrpost] Niedergang von "Telepolis"


Liebe Leute,

da ich auch in das Umfeld der ehemaligen, freien Telepolis-Schreiber gehöre und zusätzlich zu denen, die bisher nur in Privatgesprächen sich zur Veränderung von Telepolis geäussert haben, möchte ich den Anstoss, den Florian dankenswerterweise gegeben hat, aufgreifen und einige Informationen und Überlegungen zur Debatte beisteuern.

Ich habe mich die ganze Zeit gewundert, warum die Umstrukturierung nirgends thematisiert worden war und hatte mir selbst vorgenommen, bei Gelegenheit mal beim Heise-Verlag anzurufen, um mir Hintergrundinformationen zu verschaffen. Die Gelegenheit ist jetzt da, und ich habe beim Pressesprecher in Hannover, Herrn von Hörschelmann angerufen. Bevor ich das Gespräch sinngemäss widergebe, möchte ich noch darauf hinweisen, dass es mir natürlich relativ klar ist, dass durch eine Kontaktaufnahme mit dem Verlag höchstwahrscheinlich nichts zu ändern ist an der Situation. Trotzdem hatte ich das Bedürfnis, zu sehen, wie von der Verlagsseite aus wahrgenommen bzw. kommuniziert wird. Und egal, was sich durch Gespräche mit dem Verlag ergeben wird, wird das Grundproblem sein, welcher ökonomischer Bedingungen es bedarf, um einen Diskurs entstehen zu lassen. Telepolis wird von einem privaten Geldgeber (Firma) finanziert. Medienkritische Analysen mögen notwendig sein, moralische Vorwürfe sicherlich berechtigt, aber sie stossen höchstwahrscheinlich auf taube Ohren, wenn das Interesse oder die Notwendigkeit vonseiten des Verlages nicht mehr da ist. Und offensichtlich ist das beim Zuschuss-Geschäft/ Image-Projekt Telepolis der Fall. Die Frage ist, welche Alternativen gibt es. Oder stehen oder fallen unsere Diskurse mit dem Good-will eines Unternehmers?

Aber jetzt erst einmal zu dem Gespräch: 
Auf meine Frage, wann genau die strukturelle Veränderung bei Telepolis zeitlich anzusetzen ist, meinte v.H., dass es nie eine sturkturelle Veränderung gegeben habe. Er wisse davon nichts. Damit hatten sich meine Fragen nach der Art der Veränderung und den neuen Richtlinien erübrigt. 

Was wir wissen, ist dass ca. Mai letzten Jahres Herr Medosch als fester Redakteur (einer der Mitbegründer) entlassen worden ist und seitdem sich eine inhaltliche Verschiebung ergeben hat. Darauf angesprochen, erhielt ich von v.H. zur Antwort, dass Herr Medosch aus wirtschaftlichen Gründen entlassen und ganz einfach Opfer von Sparmassnahmen geworden sei. Warum - trotz der Sparmassnahmen - Herr Medosch offensichtlich ersetzt worden sei als Redakteur (siehe Impressum Telepolis) konnte sich v.H. nicht erklären. (Es gibt weiterhin 3 feste Redakteure - nur eben andere). Etwaige inhaltliche Verschiebungen könnten sich bei einem kleinen Redaktionsteam bei personellen Veränderungen kaum vermeiden lassen, seien aber nicht geplant oder gar von oben gewollt worden. Insgesamt war v.H. darüber verblüfft, dass Telepolis jetzt anders sein solle, und noch mehr verblüfft darüber, dass es eine halböffentliche Diskussion dazu gebe. Alles ganz neu für ihn, und äusserst interessant. So interessant, dass er mir eigentlich nicht mehr weiterhelfen konnte bei meinen schwierigen Fragen und mich an den Geschäftsführer Herrn Steinkraus verwies, der leider gerade im Urlaub ist. (Herr Rötzer übrigens auch - blödes Sommerloch gerade) Naja, Herrn Steinkraus werde ich nächste Woche noch befragen, aber ich verspreche mir nicht so schrecklich viel davon, ausser vielleicht der Nebenwirkung, dass sie mal mitkriegen, dass es jemanden gibt, den es interessiert, was die da so treiben. 

Lustig war, dass er mir bzw. den Diskutierenden vorwarf, offensichtlich zu Conspiracy Theories zu neigen. Es habe vonseiten des Verlages keine bewusst herbeigeführte inhaltliche Veränderung bei Telepolis gegeben. Aber wie konnte es dann geschehen?? Aus Versehen?? Von wem gewollt und betrieben, wenn nicht vom Verlag?? Fragen über Fragen.

Was man jetzt machen könnte bzw. als nächsten konsequenten Schritt eigentlich machen müsste, ist ja wirklich mal eine etwas ausführlichere Medienkritik an Telepolis. Was hat sich wann wie verändert? (Wenn es auf Telepolis veröffentlicht wird, bekommt man auch EUR 80 Standardhonorar dafür. -  eine der Veränderungen des letzten Jahres) Und man sollte das tatsächlich auch mit dem Verlag diskutieren, warum nicht? (es gibt ja historische Beispiele von Medienkritik, die durchaus auch wirksam waren.) Und selbst wenn die nichts damit machen, ergibt sich daraus automatisch das Profil eines neu zu entstehenden Forums. Leider sehe ich mich selbst ausser Stande, diese Medienkritik zu liefern, aber ich trage gerne an bestimmten Punkten bei. Und eine weitere Kommunikation mit dem Verlag kann ich auch anbieten. Ich werde auf jeden Fall noch ein Gespräch mit dem Geschäftsführer nachliefern.

Das ist die eine Geschichte. Und das andere wäre tatsächlich über wünschenswerte Alternativen nachzudenken. Sicher ist es möglich und teilweise notwendig in Kontexten, die nicht gewinn-orientiert ausgerichtet sind, auch mal ohne Honorar zu arbeiten, als Grundkonzept finde ich das aber nicht erstrebenswert. Und dass meine Arbeit davon besser, moralischer, integrer, subversiver oder irgendwie wichtiger wird, dass ich sie unbezahlt leiste, glaube ich auch nicht. Und dass kein Geld da ist, ist auch eine Lüge -- unserer Verwalter-- die es einfach für etwas anderes ausgeben wollen. So lange 40 Mio EUR für ein Buddelschiff-Museum eines ehemaligen Springer Vorstandchefs -in Hamburg- ausgegeben werden, werde ich mich dafür einsetzen, wenigstens einen Bruchteil davon - einen ganz kleinen - für eine Open Publishing Plattform für Hamburger Kunst, Kritik und Kulturpolitik zu bekommen -- zum Beispiel. Die wird zwar auch nicht viele Autoren ernähren, aber ein kleines Honorar ermöglicht nicht nur, sich Brötchn zu kaufen, sondern bedeutet einfach auch die Honorierung der eigenen Arbeit.

In diesem Sinne könnte eine längerfristige Idee sein, ein Konzept für eine Netzkultur-Plattform zu entwickeln, incl Finanzierungsmodelle. Trotz Post-Boom gibt es doch sicher Möglichkeiten.

best, Corneli

p.s.: Heise bringt eine neue Technologiezeitschrift auf den Markt.
"Technology Review liefert Orientierung zu neuen Technologietrends im Spannungsfeld von Wirtschaft und Gesellschaft...."




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