Nick on Tue, 3 Feb 2004 02:31:10 +0100 (CET)


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[rohrpost] n0name newsletter Spezial #3


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n0name newsletter Spezial #3 Berlin Mo., 02.02.2004 13:55 CET

Amen

In der Kirche

So sicher wie mehrere hundert Festivalbesucher bis Mitte 30 ihre zu 
heisz gebadeten Technokoepfe unter der kalten Sonne der Lampen ihres 
Groszraumabteils auf der Heimfahrt abkuehlen, stehen irgendwo da 
drauszen Leute mit gefaelschten Pressekarten (um das coole 
Akkreditierungsticket zu bekommen) in der sehr langen Schlange vorm 
Presseschalter und hoeren ihre Diktaphons nochmal auf die Worte des 
Philosophen ab. 
Seine Worte, die durch das technische Medium perlen wie Oliven, kommen 
zu einem Mutmachvortrag 1. Guete. Alle Zweifel sind bereits dialektisch 
im Utopiebgeriff ohne Utopie aufgebhoben und, ohne irgendetwas konkret 
benennen zu muessen, wird auch sein Applaus live uebertragen. Die 
Kette des international Mottos "Fly Utopia!" Buy Utopia! Die Utopia! 
Cry U Topos! Uarrrgh! Don't Panic! Fly Utopia! bricht nicht ab, endet 
nie, und wenn doch, dann bei der Aussage des auratischen Sprechers, 
der auf unserer Seite ist, dasz er auf unserer Seite ist. 
Das war eine kommunistische Predigt. Die Schoenheit der Begriffe und 
der Metaphern kam durch die Ohren in die Muender der Eintrittzahler und 
ueber den Sender. All die anderen hunderten nicht vorhandenen Mikrophone 
zur Realisierung der real existierenden Vielheit im Saal waren 
stummgeschaltet. Es war ein Gottesdienst fuer den saekularisierten 
"Gottesstaat", jetzt hier auf Erden. Ein messianischer Livestream
aus der Kathedrale der Kulturen, die, trotz Denkmalschutz, irgendwann 
wieder einstuerzend sein wird.

Die Frequenz lag nahe bei einem dieser Dudelsender. Hier dudelte die 
Botschaft, dort das Dudeln Dudeln. Der Effekt, der sich einstellte, war 
einer beim Laufen durch die Zonen elektromagnetischer Radiofelder 
der Wohnung des Multitutionaers. Ein Schritt nach hinten zum Herd und 
die Rede wird von froehlichem Europop ueberlagert, ein Schritt zum 
Muelleimer und ein angenehmes Rauschen begeleitet den Klang der Worte. 
Den Sound. Der Philosoph spricht: durch Neue Technologien wird 
informatorisch ein neuer Hoehepunkt der gesellschaftlichen 
Produktivitaet erreicht, Mehrwert wird geschaffen, der aber enteignet 
wird, dagegen sind utopische Gegenentwuerfe zu setzen, Inseln der 
Befriedigung, globaler Widerstand, der bereits in der real 
existierenden Utopie der multitude vor unseren Augen ohne U-Topos, 
ohne Nichtort, real existiert, der Schwarm (nicht die Masse !) aus 
Einzelheiten, die jede fuer sich schon multitude ist, dessen 
immaterielle Arbeit aus menschlicher Energie, Zeit und Gefuehl in 
einer Vielheit organisiert zusammengefaszt wird, Schwaerme, die 
riesig grosz sind, maechtige hegemoniale Giganten, die sich aus sich 
selbst heraus autopoietisch schaffen und sich ueber die Beschraenkungen 
der Krise der Proprietaet hinwegsetzen und fliegen. Ueberflieger.
Aber wo faengt der Schwarm an? Wo endet er? Und hat das Wired nicht 
schoneinmal in den 1990ern versprochen? Die klassenlose Gesellschaft ist 
ohne Auszen, aber mit einer inneren Biomacht, fuer die der fromme Wunsch 
ausreichen muss, dasz es uns (wer ist "wir"?) besser gehe.

Die Rede wurde also von einem anderen Sender ueberlagerbar durch 
Veraenderung der Lage des Koerpers des Hoerers. Die Welle der 
neuen Botschaften, verpackt in Codes und Scripts, die Code-Poesie 
zeitigt diese Lust an Syntaxen, die maschinentechnisch operationabel 
werden. Zum Kultus des universellen Apparats mit sozialmaschineller 
Handlungsoptionsoptik die passende Aesthetik. Wir tragen bald wieder 
Arbeitermuetzen mit Palaestinenserschals zu unseren Transponderjacken. 
Und nach dem anstrengenden Tag beim jetzigen und zukuenftigen 
Arbeitkaeufer, wenn es ihn noch gibt, verlassen wir, bis zum naechsten, 
wenn ueberhaupt unterbezahlten Schichtantritt, kurz das 450.000 EURO 
event, stillen am Computernotebook unsere Kinder und servieren bald 
darauf unausgeschlafen aber blondhaarig den Maennern auf dem Podium das 
Wasser, waehrend die vom Fleisch der Subjekte reden und sich dabei den 
Bauch reiben.
Wir tun so, als wuerden wir uns, wie ein Hure im roten Kleid, auf der 
kunstledernen Couch eines Moebelgeschaefts raekeln, weil wir sexy 
wirken wollen. Ausschwaermen! Doch diese Giganten, von denen der 
Philosoph spricht, sind in Wahrheit Zauberer, die, romantisch diese 
Szene betrachtend, die konkurrierenden Antragsteller in Bittsteller 
verwandeln. Doch die Tortenwurfpistole ist erfunden und die Bestseller 
an Ketten sind geklaut. Money wants to be free!

Nick

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bald!: n0name newsletter #48

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& Freunde. 19:00 Uhr (Einlass) - ca. 23:00 Uhr (dt./eng.)
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