Inke Arns on Wed, 05 May 1999 16:58:48 +0200


[Date Prev] [Date Next] [Thread Prev] [Thread Next] [Date Index] [Thread Index]

Syndicate: (fwd) Der verlorene Krieg - Dirk Baecker


[Forwarded from <nettime> geertogram 050599 [digest] (4), -i]

Date: Wed, 5 May 1999 13:44:13 +0200 (CEST)
From: Geert Lovink <geert@xs4all.nl>
Subject: (fwd) Der verlorene Krieg

From: boris buden <buden@EUnet.at>


Der verlorene Krieg: Rückfragen an eine Linke,
die nicht mehr lernt, weil sie bereits gelernt hat

Dirk Baecker

Der Krieg der Nato um den Kosovo hätte nur gewonnen werden können, wenn
Jugoslawien bereits nach den ersten Bomben kapituliert hätte. Denn dann
hätte niemand gemerkt, da� er in Wahrheit schon verloren war.

Es ist eine der wichtigsten Einsichten der Soziologie der Macht, die von
Machiavelli bis Luhmann wiederholt wird, daÃ? Macht nur derjenige hat, der
sich darauf beschränken kann, Gewalt anzudrohen, weil er bereits mit der
Drohung seine Ziele erreicht. MuÃ? die Gewalt eingesetzt werden, hat die
Drohung ihr Ziel verfehlt und liegt die Ohnmacht offen zutage.

Tatsächlich ist dies die Situation der Nato auf dem Balkan. Sie führt
einen Krieg, um ihr Gesicht zu wahren. Sie hat sich verschätzt und
verschanzt sich nun hinter Maximalwerten, die den Eindruck
aufrechtzuhalten erlauben, sie befände sich im Recht. Sie schützt den
Krieg als humanitäre Aktion umwillen der Menschenrechte vor, weil sie die
Macht nicht hat, Jugoslawien zu einer Politik zu zwingen, die vom Westen
akzeptiert werden könnte. Der Westen ist ohnmächtig, und sieht es nicht
ein. Aber alle können es sehen und deswegen mu� der Krieg geführt werden,
damit, wenn schon die Politik nicht mehr zum Fürchten ist, es wenigstens
die Waffen sind.

Natürlich wundert man sich, wie es so weit kommen konnte. So hat man sich
schon oft gewundert. Und immer zu spät. Ich schalte das Fernsehen aus, um
die Bilder nicht mehr zu sehen, die nur noch Ohnmacht und Betrieb
vermitteln, und die sorgenvoll in Falten gelegten Ge-sichter von
Politikern, denen man ansieht, da� sie zu spät aufwachen und nur noch
aufwachen, um sich in Verhältnisse verstrickt zu sehen, denen kein Kraut
gewachsen ist.

Wie konnte es kommen, da� eine ganze Riege von Politikern und Militärs für
einen Krieg verantwortlich zeichnet, denen nichts selbstverständlicher ist
als die Absicht, jeden Krieg zu vermeiden? Wie konnte es kommen, daÃ? hier
eine Linke auf ganzer Linie versagt, die davon ausging, alles besser
machen zu können? Vom Generalsekretär der Nato bis zu seinem
Oberbefehlshaber, vom amerikanischen Kriegsherrn bis zu seinen englischen
und deutschen Partnern hat man es mit Leuten zu tun, die im BewuÃ?tsein
leben, ihre Lektionen gelernt zu haben. Sie haben die SchluÃ?folgerungen
aus der Geschichte gezogen, die zu ziehen sind. Sie haben die Literatur
gelesen, die dazu den Rücken stärkt. Sie haben sich die analytischen
Kriterien zurechtgelegt, mit denen dieser Welt zu begegnen ist. Und sie
haben Literaten wie Gabriel García Márquez und Bernard-Henri Lévy
gefunden, die ihr Loblied zu singen wissen.

Wer hätte geeigneter sein können, jene Politik zu führen, die György
Konrád in der FAZ vom 30. April als "Zersetzung" lobt: als stille Form,
den anderen mit Erfolg dazu einzuladen, sich die Gesellschaft nicht mehr
anders vorstellen zu können, als es auch der Einladende tut? Aber nein,
diese Linke steht sich selbst im Weg. Sie ist paradoxerweise unfähig zu
lernen, weil sie voll und ganz davon überzeugt ist, bereits gelernt zu
haben. Sie hat ihre Lektionen hinter sich und ist daher wehrlos
Situationen ausgeliefert, die nur scheinbar ins Schema passen, in denen
jedoch tatsächlich und möglichst schnell Neues gelernt werden mü�te. So
kommt es, daÃ? ausgerechnet die linke Intelligenz nicht weiter weiÃ?, denn
sie hat bereits so viel gelernt und hat soviel damit zu tun, am Gelernten
festzuhalten, daÃ? sie nicht weiÃ?, wie sie es bewerkstelligen soll, in
dieser neuen Situation wieder etwas zu lernen. Würde sie nicht, wenn sie
jetzt etwas lernt, nur unter Beweis stellen, daÃ? das, was sie bisher
gelernt hat, korrekturbedürftig, also falsch gelernt ist? Mit wem soll sie
das aushandeln? Wer ist in der Lage, so schnell die neuen Lernschritte zu
legitimieren und die Korrektur des alten Wissens zu beglaubigen? Welche
Lehrer kann man da noch auf seiner Seite wissen? Welches historische
Gewissen, das die Linke mit sich herumträgt, wäre in der Lage, dieses
Ausma� an Pragmatismus, ja Opportunismus mitzutragen? Tatsächlich, das ist
das Dilemma: Wer lernt, ist ein Opportunist.

Was man in dieser Situation vor allem lernt, ist Neid auf die Rechten.
Denn die, das weiÃ? die Linke, haben alle Lektionen noch vor sich. Sie
haben noch keine Konsequenzen gezogen und sind daher frei,
situationsabhängig und konsequenzenlos, pragmatisch, opportunistisch und
reinen Gewissens zu lernen, was jeweils zu lernen ist. Sie wissen nicht,
was sie lernen, das ist dann wieder ihr Problem, aber immerhin lernen sie,
und sei es auch nur, um es dann wieder zu vergessen.

Wir können uns diese linke Politik, die glaubt, alle Lektionen bereits
gelernt zu haben und unfähig ist, rasch, verlä�lich und vielleicht sogar
reflektiert neu zu lernen, in der Weltgesellschaft nicht mehr leisten. Wir
brauchen eine Politik, die in der Lage ist, zur Kenntnis zu nehmen, daÃ?
diese Weltgesellschaft nicht mehr normativ, sondern nur noch kognitiv
geordnet werden kann. Bereits vor dreiÃ?ig Jahren hat Niklas Luhmann
festgestellt, daÃ? die Entstehung der Weltgesellschaft nichts anderes
bedeutet als ein Dominieren der lernfähigen Systeme wie Wirtschaft,
Wissenschaft, Technik und Massenmedien über normativ beharrende Systeme wie
Politik und Recht. Was wir in jüngerer Zeit unter dem Stichwort der
"Globalisierung" diskutieren, ist nichts anderes als die Einsicht, daÃ?
Politik und Recht uns nicht mehr davor schützen können, uns in der
Weltgesellschaft lernfähig zu verhalten, das hei�t zur Kenntnis zu nehmen,
da� die Welt nicht so sein mu�, wie wir sie uns wünschen. Unsere Märkte,
unsere wissenschaftlichen Gepflogenheiten, unsere technischen Standards,
ja sogar die Dramaturgie unserer politischen Information können nationalen
Mustern nicht mehr folgen, sondern müssen sich in einem internationalen
Durcheinander behaupten, das weit davon entfernt ist, sich noch in
irgendeiner Weise kolonial ordnen zu lassen. Und auf diese koloniale
Ordnung, geben wir es zu, müssen wir noch immer insgeheim hoffen, weil wir
es nicht gelernt haben, den Konflikt der Kulturen anders als kolonial zu
denken.

Nichts ist für die gegenwärtige Situation der westlichen Politik
bezeichnender als der Rückfall in das alte Muster, den Feind für böse und
sich selbst für gut zu halten. Man sollte sich angewöhnen, immer dann,
wenn man so weit gekommen ist, das eigene Denken für bankrott zu erklären.
Die Kategorie des Bösen dient nur dazu, die vermeintliche
Unausweichlichkeit der eigenen Aktionen einem anderen in die Schuhe zu
schieben. Tatsächlich hat die moderne Gesellschaft die Kategorie des Bösen
verabschiedet. Sie gebraucht sie nur noch als eine Art Opium des Volks,
das hei�t als Profilierung der Möglichkeit, sich für gut zu halten. Der
Horror ist ein Thema des Kinos. Die Unmenschlichkeiten und
Gewalttätigkeiten der Wirklichkeit sind dagegen entweder kalkuliert oder
verzweifelt. Im Gegensatz zu dem, was das Böse einmal war, können wir sie
fast immer verstehen. Schon deswegen ist das Auschwitz-Zitat für
diejenigen, die am Bösen festhalten, so unverzichtbar: Hier ist das Böse
noch wirklich unverständlich. Aber dann müssen wir sorgfältig darauf
achten, da� wir die in jüngerer Zeit vorgelegte
Nationalsozialismusforschung nicht versehentlich zur Kenntnis nehmen. Denn
hier wird mehr verstanden, als wir verstehen wollen.

Die für die Weltgesellschaft wesentliche Unterscheidung lautet nicht gut
oder böse, sondern kalt oder warm. Wer lernt und zwar in jeder Situation
lernt, das heiÃ?t nicht nur gelernt hat, ist kalt. Der jugoslawische
Präsident ist in diesem Sinne kalt, denn er kennt seinen Westen. Er hat
ihn dort studiert, wo er am westlichsten ist, als Banker in New York. Und
er treibt die Nato zur Verzweiflung, weil er täglich neu lernt und bereits
aus den ersten Bomben gelernt hat, daÃ? er den Krieg politisch gewonnen
hat, so sehr er ihn auch militärisch verlieren mag. Unsere linken
Politiker dagegen sind warm. Sie wenden die Idee der "atlantischen
Wertegemeinschaft" gegen einen Feind, den sie einer archaischen
Gemeinschaftsideologie bezichtigen. Dankenswerterweise hat ihnen Handke
diese Ansicht bestätigt. Unsere Politiker sind warm, denn sie müssen nicht
mehr lernen, sondern nur noch dem Richtigen zum Durchbruch verhelfen. Aber
sie sind hilflos, wenn ihnen nicht Wärme, sondern Kälte begegnet.

Die Weltgesellschaft fordert von uns eine strikte Lernhaltung. Sie fordert
Kälte. Sie fordert, sich durch die Lektionen von gestern nicht binden zu
lassen. Die Linke, die heute den Krieg führt, tut dies nur halbherzig. Sie
liebäugelt mit der Kälte, aber sie rechtfertigt sich mit der Wärme.
Wirklich kalt ist nur der, der den Krieg ebenso führen wie auch auf ihn
verzichten kann. Wirklich kalt ist nur der, der sich vom Krieg nicht
verführen lä�t. Unsere Linke aber hat sich vom Krieg verführen lassen,
weil sie nicht in der Lage war, zur Kenntnis zu nehmen, daÃ? sie den Gegner
in die Enge getrieben hat und ihren Institutionen keine andere Wahl mehr
gelassen hat.

Denn zum einen: Eine Staatengemeinschaft, die aufgrund jahrelanger
Erfahrung vom Prinzip der "Nation" vorsichtig Abstand nehmen will, kann
dieses Prinzip nicht einem Land vorenthal-ten, das noch gar keiner
Staatengemeinschaft angehört. Immerhin ist das Prinzip "Nation" die
einzige Versicherung gegen das Problem, das es ohne dieses Prinzip gar
nicht gäbe: Solange die Politik an territorialen Grenzen festhält, können
wegen Grenzen Kriege geführt werden, vor denen man sich nur schützen kann,
indem man seine Grenzen kriegerisch beschützt. Das ist eine der
Paradoxien, mit denen es die Weltgesellschaft zu tun hat. Der hohe Preis
dafür ist, da� jede Nation kalkulieren können mu�, wie sicher sie sich auf
dem eigenen Territorium fühlen kann. Darum "irrt der Westen", wie Karl
Otto Hondrich in der FAZ vom 24. April festhält, wenn er glaubt, anderen
Ländern dieselbe kulturelle und ethnische Heterogenität zumuten zu können,
an die er sich nicht ohne schwierige �bung, Rückfälle und Sündenböcke
jahrzehnte-lang hat gewöhnen können.

Und zum anderen: Man muÃ? damit rechnen, daÃ? Institutionen wie die Nato
ihre Eigendyna-mik entfalten, wenn man sie politisch in Anspruch nimmt,
ohne die Risiken kalkuliert zu haben, die man damit eingeht. Sie können
gar nicht anders, als ihre Ressourcen zu nutzen, wenn sie eine Gelegenheit
dazu sehen. Immerhin stehen auch sie selbst immer auf dem Spiel. Sie
organi-sieren die dazugehörenden Motivation ihrer Mitglieder. Sie
definieren ihre Aufgabe selbst, wenn man ihnen keine gibt und Sorge trägt,
da� sie sich darauf beschränken. Warum hört man nicht auf die Alten und
Weisen, fragt György Konrád? Warum schaut man sich nicht an, was jede
Institutionentheorie von den Dächern pfeift? Warum haben wir es so selten
mit Leuten zu tun, die sich kalt und ironisch in die Dinge einmischen?
Warum müssen wir uns immer gleich auf der besseren Seite wissen?

Die schönste Tugend, die Demokratien einmal nachgesagt wurde, war, da� sie
unfähig sind, Kriege zu führen. Das kann es den Demokraten jedoch nicht
ersparen, herauszufinden, wie man dafür Sorge trägt, da� es bei dieser
Tugend bleibt.


i n k e . a r n s __________________________ b e r l i n ___
49.(0)30.3136678 | inke@berlin.snafu.de | http://www.v2.nl/~arns/
mikro: http://www.mikro.org | Syndicate Network: http://www.v2.nl/east/


------Syndicate mailinglist--------------------
 Syndicate network for media culture and media art
 information and archive: http://www.v2.nl/east/
 to unsubscribe, write to <syndicate-request@aec.at>
 in the body of the msg: unsubscribe your@email.adress