florian schneider on Sat, 5 Feb 2000 15:20:58 +0100 (CET)


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[rohrpost] endo- und exorasssismus, haidermanagement und der ganze scheiss


hallo,

ich halte die diskussion um die ereignisse fuer zu wichtig, als
dass sie in einzelnen replies und dialogen zerfasern sollte.
deswegen erlaube ich mir ein paar grundsaetzliche anmerkungen
und fragen:

1. so redlich es sein mag, erstmal in sich zu gehen und mit den
eigenen mikrofaschismen ins reine zu kommen, so unbrauchbar 
ist eine solche taktik, wenn es tatsaechlich um analyse oder
gar die praktische auseinandersetzung mit der sozialen und 
politischen wirklichkeit gehen sollte. 

fuer die "verwalter der codes" deswegen zuerst die gute nachricht, 
die bezeichnenderweise weltweit, aber nicht in deutschland fuer 
aufsehen gesorgt hat:

mit einem italienweiten aktionstag und zwei grossdemonstrationen
in mailand und florenz, gelang es am vergangenen wochende
die italienische regierung zur schliessung des abschiebegefaengnisses
in der via corelli in mailand zu zwingen. bilder von strassenschlachten 
und zigtausenden von menschen, die das europaeische grenz- und 
migrationsregimes in einer seiner widerwaertigsten ausdrucksformen 
bekaempfen, kamen in den nachrichten von australien bis russland
und fuehrten nach einem jahr zaeher auseinandersetzungen nun zur
schliessung eines der schlimmsten lager des neuen europas.

warum braucht es hier aber ein paar eklige nazi-links von einer 
gefaketen homepage, um in bester lichterkettenmanier erst abscheu und 
empoerung auszuloesen, und dann schliesslich wieder dem "einfachen 
deutschen" beizuspringen, wie Thorsten "teletubbie" Meyer das in seinen 
kryptischen ausfuehrungen tat? warum wird nach ein paar saetzen sofort 
ueber die fremdelei der fremden schwadroniert, um dann aus lauter
angst vor dem verlust der eigenen, zwar noch jungen, aber ach so 
"gewachsenen" (wieder Meyer) identitaet (wozu sonst war der
nationalstaat je nutze und was sonst ginge floeten, wenn wir im
einheitsbrei der medien ploetzlich keine fremden mehr kennen wuerden) 
mit dem differenz-rassismus zu kokettieren?
[bitte, statt jetzt aufzujaulen, besser balibar, wallerstein:
"rasse, klasse, nation" zur hand nehmen]

2. der wahlkampf der fp.. war unter anderem so erfolgreich, weil auf 
eine recht geschickte weise der rassismus des mainstream an taktisch
ausgesuchten punkten weiter zugespitzt worden ist. bestes beispiel 
mag die plakat-kampagne in wien sein, in der asylsuchende aus
afrikanischen laendern pauschal als drogen-dealer dargestellt 
worden sind. dies ist allerdings vor dem hintergund konkreter 
geschehnisse passiert: nachdem marcus omofuma aus nigeria ende april bei 
einer abschiebung von polizeikraeften brutal umgebracht worden ist,
geriet die damalige sp../..vp koalition und ihre abschiebepolitik unter 
heftigen druck - zum damaligen zeitpunkt vergleichsweise grosse 
demonstrationenwwaren die folge, ruecktrittsforderungen, proteste von 
menschenrechtsorganisationen und das wohl gefaehrlichste: ein 
zusammenschluss von fluechtlingen und migrantInnen aus verschiedenen 
herkunftslaendern und in prekaerem status, die begannen ihre rechte 
einzufordern. in dieser zugespitzten situation gelang der regierung ein 
befreiungsschlag, indem mithilfe einer gewaltigen medieninszenierung 
und spektakulaeren massenverhaftungen ein angeblicher drogenhaendler
ring in der afrikanischen community ausgehoben wurde. 
die kampagne der fp.. knuepfte nahtlos an diesen ereignissen an - 
genauso wie das von rassismus triefende schreiben an alle einwohner 
bestimmter arbeiterbezirke, in dem ein zuzugsstop fuer "auslaender" 
gefordert wurde, von der fp.. mit der  offiziellen praxis der 
sozialdemokratischen behoerden, keine weitere "ueberfremdung" bestimmter 
viertel zuzulassen, gerechtfertigt wurde, als die sp.. aufschrie.

die parallelen zur bundesrepublikanischen wirklichkeit sind 
keineswegs zufaellig: nur wenige wochen nach omofumas tod wurde auf 
einem lufthansa linienflug amir, ageeb, einem sudanesischen fluechtling, 
von bgs-beamten das genick gebrochen. "auslaenderquoten" gegen 
angebliche "ueberfremdung" sind seit jahren bestandteil 
sozialdemokratischer kommunalpolitik, ebenso die weit ins 
gruen-alternative milieu vorgedrungene verknuepfung des drogen- und 
"asylanten"-diskurses. die an wahlabenden regelmaessig heuchlerische 
empoerung ausloesende parole der rechtsradikalen parteien: 
"arbeitsplaetze zuerst fuer deutsche" ist seit langem, und ohne dass 
es die zivilgesellschaft mehr als ein achselzucken kosten
wuerde, verordnete praxis der bundesdeutschen arbeitsaemter.

3. in den meisten europaeischen laendern ist es den konservativen
parteien bislang gelungen, diejenigen, die aus sogenanntem
populismus nochmal offen einklagen, was laengst herrschende politik 
ist, von einer regierungsbeteiligung fernzuhalten, bzw. deren rhetorik 
in die eigene programmatik zu integrieren (siehe csu in bayern). 
mit ein paar tricks aus der mottenkiste des parlamentarismus und der 
repraesentativen demokratie konnten die rivalen am rechten rand leicht 
als emporkoemmlinge, welche die rechte wortwahl oder entsprechendes 
benehmen, das dem ruf im ausland nicht schadet, vermissen lassen, 
ignoriert werden. 

was haider im gegensatz zu einigen anderen rechtsradikalen
politikern seine momentane staerke verleiht, ist wohl, dass
mit der machtkrise der politischen eliten in europa diese mechanismen 
ihre wirkung zu verlieren drohen und haider vor diesem hintergund 
recht aggressiv die heuchelei der sozialdemokraten vorfuehren kann. 
daran werden all die protestnoten und boykott-drohungen garantiert 
nichts aendern - im gegenteil. 

4. "rassismus" oder "faschismus" sind nicht irgendwelche 
"kampfbegriffe", die kurz mal benutzt und dann wieder zurueckgenommen 
werden koennten, um niemanden zu kraenken. leichtfertigt oder schlampig 
mit diesen begriffen zu hantieren, ist verheerend und wasser auf die 
muehlen der politischen gegner. es handelt sich zwar um 
recht flexible ideologien, die aber auf bestimmte oekonomische 
formationen verweisen und die ueberausbeutung von arbeitskraft 
legitimieren sollen: sklavenarbeit, zwangsarbeit oder aktuell die 
erschliessung des potentials illegalisierter migrantInnen. haider 
selbst gibt mit seiner erklaerten bewunderung fuer die 
ns-beschaeftigungspolitik inklusive der windelweichen ausweichmanoever 
hierfür ein anschauliches beispiel ab. 

das europaeische grenz- und migrationsregime funktioniert -
ungeachtet aller von schilly bis haider vorgetragenen bekenntnisse 
zur null-migration - eben nicht, indem einwanderung verhindert wird, 
sondern indem migrantInnen *illegalisiert* werden. deswegen ist es 
wenig hilfreich, von "ausgrenzung" zu sprechen oder einen 
psycho-kulturellen begriff von rassismus zu propagieren. 
in diesem sinne ist auch das von michael wolf eingebrachte 
deleuze-zitat zu verstehen.

"der europaeische rassismus als anmassung des weissen mannes bestand
niemals darin, jemanden auszuschliessen oder als den anderen zu 
bezeichnen(...). der rassismus besteht in den abweichungsgraden im 
verhaeltnis zum gesicht des weissen mannes, das abweichende merkmale 
in immer exzentrischeren und retardierenderen wellenbewegungen 
auffangen will, um sie entweder an bestimmten orten, unter bestimmten 
bedingungen, in einem bestimmten getto zu tolerieren, oder sie von 
der wand zu wischen, die andersartigkeit nicht ertraegt (das ist ein 
jude, ein araber, ein neger, ein verrueckter... etc)."

lieber michael wolf, daran aber anzuknuepfen mit 

> man koennte fortsetzen: ein nazi, ein fascho,...

schlaegt dem fass nun wirklich den boden aus. das ist genau das
gewimmere der revisionisten, die sich ploetzlich zu opfern stilisieren.
und dem ist bei abzug aller je gesammelten hipness-punkte wirklich nur 
noch hinzuzufügen: zeig mir die wand, wo der weisse mann die 
andersartigkeit von nazis nicht ertraegt. ich weiss nur eins und da 
bin ich sicher: dieses land ist es nicht.


florian

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