Florian Cramer on Wed, 3 May 2000 01:36:23 +0200 (CEST)


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Re: Fwd: Re: [rohrpost] Warum es zuwenig interessante Netzdichtu


Am Tue, 02.May.2000 um 12:15:13 +0200 schrieb Stefan Heidenreich:

> wenn man den Begriff Text über alphanumerische Zeichen hinaus ausdehnt,
> dann ist allerdings alles, was im Computer verarbeitet wird, Text - der
> Begriff wird synonym mit (diskretem) "Code": ist das wünschenswert?

Eine Gleichsetzung von "Code" und "Text" fände ich nicht sinnvoll: Ein Text
besteht aus Code bzw. ist eine Abfolge von Codes. (Benutzt man die
Terminologie der strukturalistischen Sprachwissenschaft nach Saussure und
Jakobson, so situiert sich der Code auf der paradigmatischen Achse [der
Selektion] und der Text auf der syntagmatischen Achse [der Kombination].)

> (Volkers Frage nach der Nützlichkeit des Begriffs.)
> Zum Lesen eignet sich dieser Code=Text nur nach bestimmten
> "Instantiationen", die Daten durch Fonts auf Oberflächen wie Bildschirm
> oder Papier darstellen. 

...und diese Vorstellung ist keineswegs neu oder eine stillschweigende
Modifikation tradierter Textbegriffe, sondern findet sich z.B. bereits in
der griechischen Antike - vor allem, aber nicht nur bei den Pythagoräern.
"Buchstaben" und "Zahlen" wurden dort als wechselseitig konvertierbare
Notationssysteme begriffen; d.h. alphabetische Schrift konnte gleichfalls in
Zahlenreihen und Zahlenreihen als alphabetische Schrift notiert werden.
(Siehe u.a. Franz Dornseiff, Das Alphabet in Mystik und Magie, Berlin 1925.)

> Hat die "Literatur", die der Code=Text hervorbringt, noch etwas mit
> Buchstaben sehen zu tun? Wenn ja: warum verwendet man dann nicht einen
> Textbegriff, der sich ebenfalls an dieser Operation orientiert? 

Ich bin mir nicht völlig sicher, ob ich Dich richtig verstehe; Du meinst,
wieso man nicht einen Textbegriff verwendet, der die Operationen
reflektiert, die z.B. maschinell an binärem Code vorgenommen werden?
Sicherlich hat die Literaturwissenschaft - bzw. die Semiotik - hier
insgesamt Nachholbedarf; daß solch ein Textbegriff "nicht verwendet" werden,
widerlegen allerdings gute Zeichentheoretiker wie z.B. Umberto Eco.

Gruß,

Florian

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