florian schneider on Thu, 18 May 2000 15:38:20 +0200 (CEST) |
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[rohrpost] Digital, illegal, egal |
-------------- SZ vom 16.05.2000 Feuilleton Digital, illegal, egal Den Plattenfirmen kann Popmusik im Internet gestohlen bleiben von Arezu Weitholz "Haltet den Dieb!", riefen sie. Und als niemand reagierte: "Wenn ihr ihn nicht haltet, verhungern wir." Als auch das nichts nützte, drohten sie: "Und mit uns sterben viele Künstler." Niemand rannte los, den Dieb zu halten; denn keiner wusste, wohin. Das geht seit Monaten so, das mit dem Geschrei. Es sind keine wehrlosen Menschen, die sich beschweren, sondern Firmen, mächtige Firmen. Und die Diebe sind auch keine Schwerverbrecher: Jedermann ist der Dieb. Oft sind es Kinder, die nicht wissen, dass sie stehlen, sondern nur das tun, was man so macht, in der großen Pause auf dem Schulhof: Sachen tauschen. Sie tauschen CDs, selbstgebrannte Kopien, etwa des neuen Britney-Spears-Albums. Deswegen entgeht den Tonträgerkonzernen viel Geld - aber längst nicht so viel, wie sie öffentlich behaupten: Nicht 1,3 Milliarden Mark, sondern 140 Millionen waren es im vergangenen Geschäftsjahr. Aber was nicht ist, kann bald werden. Deswegen das Geschrei. "Die kalte Technologie versucht, unsere emotionalen Produkte für ihre Zwecke auszubeuten", sagte Wolf-Dieter Gramatke, Manager des Musikkonzerns Universal, vor einigen Tagen auf der Generalversammlung der International Federation of the Phonographic Industry (IFPI) in Berlin. Er meint vermutlich das Internet. Was - stellen wir uns mal ganz dumm - in etwa dasselbe ist wie ein grosser, schwarzer Kasten. Auf der einen Seite kommt Dampf, Verzeihung, kommen Daten hinein, und innendrin ist alles irgendwie nicht nur sehr gross, sondern auch so hoch und so tief, dass einem ganz schwindelig wird, wenn man zu lange hineinsieht. Einen Überblick hat niemand wirklich, wer das behauptet, lügt. Im World Wide Web werden digitale Informationen demokratisiert, ohne Einschränkung werden sie verbeitet. Alles, was seinen Weg hinein findet, wird gnadenlos gleichgemacht. Als vierte Gewalt steht es nicht neben Legislative, Judikative oder Exekutive, sondern darüber, es schwebt quasi über, unter und hinter den Dingen. Trotzdem: Das Geschrei klingt langsam, als ob da jemand Geister loswerden will, die er selber vor Jahren nicht schnell genug herbeirufen konnte. Damals brauchte die Musikindustrie weniger als zwei Jahre, um die Speicherung von Musik auf dem neuen Medium CD durchzusetzen. Digital war das Ding, damals. Doch anders als in der Literatur gab in dieser Geschichte niemals Zauber, bloss lauter Lehrlinge. Die gucken immer noch alle in den Kasten. Seit Komprimierungsprogramme wie Mp3 und offene Tauschbörsen wie Napster im Internet zu finden sind, kann sich eine unkontrollierbare Masse von Benutzern die Ausrüstung besorgen, die bisher wenigen vorbehalten war. Mit dieser Ausrüstung kann man herunterladen, kopieren und wieder ins Netz stellen, was einem beliebt. Wer sich aber nun im Internet bediene wie in einem Gemischtwarenladen, der sei ein "Freibeuter, ein Pirat", findet Gramatke. Piraterie, das sind "rechtswidrige Akte auf hoher See gegen ein Schiff oder den Kapitän, um Verfügungsgewalt über Schiff und Ladung zu erlangen." Angenommen, Gramatke ist der Kapitän und seine Plattenfirma das Schiff, dann wäre die zu löschende Ladung Musik. In Seeräubergeschichten ist es oft so: Gerät der Held in Bedrängnis, kommt ihm in letzter Minute ein mächtiger Krieger zu Hilfe, wie ein großer Bruder. In diesem Fall ist der große Bruder eine Frau, Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin, die sagt: "Illegales Kopieren ist weder ein Kavaliersdelikt, noch gehört es zum Zeitgeist." Das klingt lustig, denn das Kopieren, Verfremden und Wiederverwerten, auch Sampling genannt, ist ja gerade der Zeitgeist des Pop, der Welt also, um die sich die Tonträgerkonzerne so sehr sorgen. Das muss eine Bundesjustizministerin nicht wissen; wer mit Musik handelt, aber schon. Unterdessen geben die großen Musikfirmen, die so genannten Majors, halbherzig bei einer Werbeagentur eine Kampagne in Auftrag, an die sie jedoch selbst nicht glauben. "Copy kills music", heißt es, als ginge es ums Schwarzbrennen von CDs und nicht darum, wer die Hand an der wirklich großen Vermarktung der Musik hat. Wenn es schon kein Unrechtsbewusstsein in der Bevölkerung gibt, meinen die Firmen, dann wollen sie wenigstens eine erhöhte Leermittelabgabe auf CD-Rohlinge durchsetzen. (Immerhin: Mehr als fünfzig Prozent der verkauften Leer-CDs werden für Audio benutzt.) Und überhaupt: Ein Gesetz, ein einheitlicher Kopierschutz muss her; und die Diebe, die möchte bitte auch jemand festhalten. Unlängst äußerten sich Gerichte in Deutschland und den USA zu dem Thema. Sie forderten Internet-Anbieter auf, sich mit der Musikindustrie über das Urheberrecht und dessen Einhaltung zu einigen. Mit anderen Worten: Macht euren Kram unter euch aus. Grundsätzlich gilt: Wer auf seiner Homepage gegen das Urheberrecht verstößt, also wissentlich illegale Raubkopien zur Verfügung stellt, macht sich strafbar. Wer aber als so genannter Internet Service Provider (ISP) nachweisen kann, den Inhalt seiner Foren nicht gekannt zu haben, ist fein raus. Noch. Die Mp3-Tauschbörse Napster allerdings kam mit diesem Argument nicht durch. Das Gericht entschied, bei Napster handele es sich nicht um einen ISP, sondern um ein Programm. Musik im Internet zu veröffentlichen, ist die eine Sache; daran zu verdienen, eine andere. Die Debatte, welcher Kopierschutz, welches Komprimierungsverfahren oder welches Speichermedium sich schließlich etablieren wird - das von Sony, das von Samsung oder doch das von Siemens - erinnert an die frühen Achtziger. Damals entwickelte Sony die Betamax-Technologie für Videos. Die Konkurrenz reagierte mit der Erfindung von VHS. Damit dieses Mal alle etwas bekommen auf dem Musikmarkt, dessen Volumen für das Jahr 2000 auf zwei Milliarden Mark geschätzt wird, bilden Firmen Allianzen: EMI und Warner und AOL mit Liquidaudio. MGM mit Softbank. Sony Music Entertainment und Universal Music Group stellten Anfang Mai ein gemeinsames Joint Venture vor. Bertelsmann hat eine eigene Firma. MP3.com verhandelt seit Anfang Mai mit allen fünf großen Konzernen über die Freigabe der Musik-Kataloge und schloss unlängst einen Lizenzvertrag mit der amerikanischen Urheberrechtsorganisation BMI. Und in den USA sowie in Großbritannien werden von der zweiten Jahreshälfte an auch Online-Verkäufe mit in die Auswertung der Musikcharts einbezogen. Frieden also - bald. Im Moment gibt es aber noch viel Lärm um wenig Umsatz. Nicht viele geben Geld für etwas, das sie weder anfassen noch herzeigen oder in den Schrank stellen können. Die englische Plattenfirma Warp, die seit mehreren Jahren ihre Produkte online verkauft, hat folgende Erfahrung gemacht: "Bei der neuen Whitney-Houston-Platte ist es egal, ob man sie im Original oder als Kopie bei sich zu Hause abspielt. Wer aber nach der Plaid 12'' sucht, will die Schallplatte im Original. Er will sie in der Hand halten." Und so vollzieht der Pop von ganz alleine den nächsten Schritt. Der Moment, um den sich alles dreht, ins Unendliche reproduziert, erfüllt das World Wide Web wie ein perpetuum mobile, die Wiederholung ein- und derselben Sekunde. Neulich sagte jemand: "Wiederholung ist auch eine Form der Folter." Pink Floyd in Ewigkeit, Amen? Allein der Gipfel der Originalität, das Live-Konzert, kann davon noch verschont bleiben. Alles andere ist Seemannsgarn. ---------------------------------------------------------- # rohrpost -- deutschsprachige Mailingliste fuer Medien- und Netzkultur # Info: majordomo@mikrolisten.de; msg: info rohrpost # kommerzielle Verwertung nur mit Erlaubnis der AutorInnen # Entsubskribieren: majordomo@mikrolisten.de, msg: unsubscribe rohrpost # Kontakt: owner-rohrpost@mikrolisten.de -- http://www.mikro.org/rohrpost