Tilman Baumgaertel on 11 Oct 2000 21:58:47 -0000 |
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[rohrpost] Noch ein Artikel ueber net.congestion |
http://www.BerlinOnline.de/wissen/berliner_zeitung/archiv/2000/1010/medien/0 005/index.html Zielgruppe: null Zuhörer Bei der Konferenz net.congestion in Amsterdam trafen sich die "Wohnzimmer-Sender" Alles begann damit, dass einige Studenten der Universität von Banff endlich einen guten Radiosender haben wollten, der den neueste Drum&Bass aus London spielt. Im Internet fanden sie zwar jede Menge Webradio-Stationen, die sie mit Clubsounds versorgten, aber die kann man nur hören, wenn man vor dem Computer sitzt. Um im Auto oder in der Küche nicht auf die drei langweiligen Radiosender des kleinen Orts in den kanadischen Rocky Mountains angewiesen zu sein, entwickelten sie an der Uni das Projekt "WorldService", das die Internetsender automatisch auf eine Radiofrequenz überträgt. Unter dem Namen "Radio 90" verbreitet der Sender nun Internet-Musik aus der ganzen Welt in dem für seine Naturschönheit bekannten Bow Valley. Weil die Studenten für die Ausstrahlung bei der kanadischen Rundfunkaufsicht keine Lizenz beantragt haben, ist "Radio 90" eigentlich ein Piratensender. Aber da in dem abgelegenen Ort in den "Rockies" noch viele UKW-Frequenzen frei sind, hat bisher niemand gegen das Programm geklagt. Im Gegenteil: "Radio 90" ist inzwischen die Lieblingsstation vieler Busfahrer und Taxi-Chauffeure in Banff. Dabei gehören neben Piratensendern aus London und Techno-Stationen aus Prag auch Netz-Sendungen von australischen Aborigines zum Programm - wenn es nicht gerade jemand geändert hat: über ein Formular im Web kann jeder User den Sendeplan von "Radio 90" nach eigenem Gusto modifizieren, und zum Beispiel die mitternächtliche Übertragung von elektronischer Musik aus Lettland durch eine HipHop-Sendung aus New York ersetzen. Der vollkommen interaktive Radiosender aus Kanada gehörte zu den über hundert Internet-Projekten, die am Wochenende bei der Konferenz "net.congestion" in Amsterdam vorgestellt wurden. Für die Veranstaltung, die sich "Kunst, Musik und Aktivismus zu Beginn der Fusion zwischen Internet und Massenmedien" (Untertitel) widmete, war viel buntes, digitales Volk aus der ganzen Welt nach Holland gekommen, um sich gemeinsam Gedanken über die Auswirkungen von "streaming media" zu machen. Mit "Streaming" ist die Verbreitung von Ton und bewegten Bildern in der ehemaligen Textwüste Internet gemeint. Obwohl das technisch bereits seit Mitte der 90er-Jahre möglich ist, sind erst jetzt Computer und Netzverbindungen schnell genug, um mit den multimedialen Möglichkeiten des Internets tatsächlich etwas anfangen zu können. Einige der innovativsten und ungewöhnlichsten Netzangebote kommen dabei von "Wohnzimmer-Sendern" aus der ganzen Welt. "Wir senden alles außer normaler Musik", sagt der Netzaktivist Tuc von dem Amsterdamer Websender DFM. "Für die meisten ist das der reine Krach, aber uns gefällt das nun mal." Auch andere Netzradiomacher geben ihre Zielgruppe nonchalant mit "null Zuhörer" an. "Wenn wir eine Sendung machen, gibt es manchmal mehr Leute bei uns im Studio als Zuhörer im Netz", sagt Rasa Smite von dem Internet-Kollektiv e-lab aus Riga - für sie kein Misserfolg, sondern der Beweis, dass im Internet jeder zum Sender werden kann und sollte: "Das Netz ist kein Konsumenten-, sondern ein Produzentenmedium." Die Entwicklung der letzten Zeit scheint ihr Recht zu geben: im vergangenen Monat sind gleich zwei Internet-Angebote Pleite gegangen, die als Testballons dafür galten, ob man mit einem kommerziellen Entertainmentangebot im Netz Geld verdienen kann: der US-Online-Sender "Pseudo" stellte nach fünf Jahren den Betrieb ein, und bei dem von Steven Spielberg, David Geffen und anderen Medientycoonen finanzierten Unterhaltungsangebot Pop.com warf man noch vor Start das Handtuch. Auch deutsche Online-Sender wie "Cyberradio" kämpfen derzeit ums Überleben. Während die großen Unterhaltungskonzerne dem neuen Medium Internet hilflos gegenüberstehen und das Netz bestenfalls als weiteren Abspielkanal für ihre traditionellen Produktionen betrachten, kommen innovative, netzspezifische Konzepte oft von Mini-Firmen und aus Subkulturen. Einer der erfolgreichsten Internetsender ist die ehemalige Piratenstation "Interface" aus London, die seit einigen Jahren Club-Musik aus England in der ganzen Welt verbreitet. Um Kosten deckend arbeiten zu können, muss jeder DJ, der bei der Web-Station auflegen will, 10 Pfund pro Stunde bezahlen. Ein Auftritt bei "pirate-radio.co.uk" ist mittlerweile so prestigeträchtig, dass die Plattendreher Schlange stehen: die Termine für die Online-Auftritte sind für Monate im Voraus ausgebucht, und selbst Leute wie David Bowie, Malcolm McLaren oder The Orb entrichten ihren Obulus, um einmal im Programm des Websenders dabei gewesen zu sein. "Über unsere Site sind schon DJs entdeckt worden, die nicht die sozialen Fähigkeiten haben, sich selbst zu vermarkten", sagt Interface-Gründer Howard Jones, der in seiner Freizeit als Mitglied der "International Humanitarian Aid Communication" einen Radiosender im Kosovo aufgebaut hat. "Interface Pirate Radio" wird inzwischen von über 40 Sendern aus der ganzen Welt terrestrisch ausgestrahlt. Dreißig Minuten in acht Stunden Der Gebrauch des Internets für den Vertrieb von Radio- und Fernsehprogrammen scheint eine der wichtigsten Entwicklungen der letzten Zeit zu sein. Der alternative indonesische Sender Radio 68H etwa kann es sich nicht leisten, seine kritischen Berichte via teuren Radiosatelliten in der ganzen Inselrepublik auszustrahlen. Die Programme, die der Sender online verbreitet, werden darum von kleinen Stationen in ganz Indonesien aus dem Netz heruntergeladen, und auf lokalen Frequenzen gesendet. Wegen der schlechten Telekommunikationsinfrastruktur kann es allerdings bis zu 8 Stunden dauern, bis ein Dreißigminüter gespeichert ist. Trotzdem bieten Netzradio und -TV gerade für Länder der Dritten Welt neue Chancen, weil es den Kontakt zwischen Emigranten und ihren Heimatländern aufrechterhält. Das könne auch wieder zu Investitionen der im Ausland zu Geld gekommenen Auswanderer führen, wie der Medienaktivist Bruce Girard betonte. Dafür muss freilich die Übertragung funktionieren. Zurzeit produzieren sechs Prozent der Websites "Streaming"-Inhalte, sind aber für 56 Prozent des Datenverkehrs im Netz verantwortlich. Wenn "Streaming" wirklich zum dominanten Online-Trend wird, muss daher entweder die Infrastruktur ausgebaut werden. Oder das Internet bricht irgendwann zusammen. Live im Internet // Die Konferenz "net. congestion" beschäftigte sich am vergangenen Wochenende mit "Streaming Media". Damit ist die Möglichkeit gemeint, im Internet Live-Audio- und Video-Material zu verbreiten. "Streaming Media" halten viele für die derzeit wichtigste Entwicklung im Internet. Mehr dazu im Internet unter: net. congestion net. congestion. org Free B92 www. freeb92. net Free Speech TV www. freespeech. org Interface www. pirate-radio. co. uk Klubradio www. klubradio. de Indymedia indymedia. org Radio 68H www. radio68h. com Radio 90 www. radio90. fm ---------------------------------------------------------- # rohrpost -- deutschsprachige Mailingliste fuer Medien- und Netzkultur # Info: majordomo@mikrolisten.de; msg: info rohrpost # kommerzielle Verwertung nur mit Erlaubnis der AutorInnen # Entsubskribieren: majordomo@mikrolisten.de, msg: unsubscribe rohrpost # Kontakt: owner-rohrpost@mikrolisten.de -- http://www.mikro.org/rohrpost