Tilman Baumgaertel on Fri, 29 Nov 2002 13:05:25 +0100 (CET)


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[rohrpost] Untermieter des Wandels



http://www.frankfurter-rundschau.de/fr/140/t140011.htm


Untermieter des Wandels 

Das WMF im "Moskau": Nomadische Existenz und Rotationsrecycling in Berlin 

Von Krystian Woznicki 

Als "chemische Reaktion" bezeichnet Wolfgang Höcherl seine erste Begegnung
mit dem "Moskau". Als er das einstige Aushängeschild der Ost-Berliner
Gastronomie 1992 übernahm, schien es keine ökonomische Zukunft zu haben -
aber wegen seiner Vergangenheit faszinierte es ihn.

Das "Moskau", 1962 von Josef Kaiser erbaut, war ursprünglich eines von
insgesamt zwölf Restaurants, die alle nach den sozialistischen
Partnernationen benannt und im jeweils landesüblichen Stil gestaltet waren.
Strahlend, wie ein frisch gelandetes UFO, repräsentierte das "Moskau"
Fortschritt und Volkstümlichkeit zugleich. An den mexikanischen Muralismo
erinnernd, haben Auftragskünstler der DDR komplexe Fassadenornamente
erschaffen; Fritz Kühn, einer der namhaftesten von ihnen, hat im Atrium des
"Moskau" eine Skulptur gebaut - Experten streiten sich noch heute darüber,
ob sie Globus oder Lebensbaum zu nennen sei.

Höcherls neu entfachte Liebe führte dazu, dass er den Umbau von 1982
ungeschehen machte, und, einem Archäologen gleich, den ursprünglichen
Zustand des Gebäudes wieder herstellte. Heute erstrahlt das "Moskau" in
jener Transparenz, die Besucher auch schon vor Dekaden einnehmend fanden.
Wundern muss die "Moskau"-Fans von gestern allerdings, dass es jetzt
ausgerechnet von einem Technoclub namens WMF bespielt wird. Wer jedoch die
Geschichte des WMF kennt, weiss, dass es für die mittlerweile legendäre
Marke einen idealeren Ort als das "Moskau" eigentlich nicht geben kann.

Seit gut zwölf Jahren wechselt das WMF alle zwei bis drei Jahre die
Adresse. Diese nomadische Existenzform zeichnet viele Berliner Clubs aus;
seit dem Mauerfall ziehen sie permanent umher, schließlich sind
insbesondere in der historischen Mitte der deutschen Hauptstadt unzählige
Freiräume entstanden: leer stehende Wohnhäuser und verlassene
Gewerbeanlagen, die vorerst vom Senat unbeachtet blieben. In der
Zwischenzeit zogen Kreative in die Brachen. Häufig ohne offizielle
Erlaubnis, machten sie die Orte zu geheimen Treffpunkten der Boheme. Heute
spricht man allenthalben von amtlichen Zwischennutzungsverträgen, die von
der Stadtverwaltung an Nightlife-Entrepreneure vergeben werden; auch die
Macher des WMF haben diesen Prozess der Offiziellwerdung hinter sich
gebracht. 1994 wurde aus dem illegalen Club, der zwischenzeitlich auch in
unterirdischen Toiletten-Anlagen der U-Bahn-Station am Potsdamer Platz
gastierte, eine stattliche GmbH.

Die DDR lebt weiter

Was ihn von vielen anderen unterscheidet, ist der Umgang mit den
vorgefundenen Orten. "Chemische Reaktionen" intensivster Art erfuhren die
Clubbetreiber um Creative Director Gerriet Schulz ein ums andere Mal. Ihre
Begeisterung für ungenutzte Bauten mit einer außergewöhnlichen Geschichte
wandelte sich in eine immer bewusster werdende Auseinandersetzung mit
DDR-Erbe im allgemeinen. Was Höcherl für das "Moskau" tat, unternahmen sie
bislang für die meisten ihrer Stationen in Eigenregie. Der entscheidende
Unterschied: Die archäologische Praxis hat stets zum Ziel, etwas Neues zu
schaffen. Rotations-Recycling nennt der Boltanski-Schüler Fred Rubin diesen
Ansatz, der beispielhaft zur Anwendung kam, als das WMF 1994 bis 1997 am
Hackeschen Markt logierte. Rubin baute damals die gigantische Bowling-Bar
im Palast der Republik auseinander und setzte sie im WMF neu zusammen.
Kurze Zeit später nistete sich das WMF im ehemaligen Hotel Ministerrates
der DDR ein, wo Rubin seinen bildhauerischen Ansatz auf die ursprüngliche
Resopalauskleidung anwandte. Das Neu-Zusammensetzen von gefundenem
Material, das vergleichbar ist mit der Sampling-Methode elektronischer
Musik, wurde zum Markenzeichen des mobilen Clubs.

Auf dem langen Marsch durch Berlin Mitte steht nun ein neues Ziel auf dem
Plan: der Palast der Republik, der neuerdings zur Zwischennutzung
freigegeben wurde. In Aussicht steht damit, dass die einst dem Palast
entnommenen Elemente wieder an ihren ursprünglichen Ort zurück gebracht,
beziehungsweise: zurück "rotiert" werden und somit sich ein symbolischer
Kreis schließt. Andererseits erscheint der Palast der Republik als eine
Endstation der unermüdlichen Wanderschaft; die Location ist schließlich
nicht nur Gegenstand alter Träume, sondern wohl auch kaum zu toppen. Die
Künstler Nina Fischer und Maroan el Sani überführen in ihrer aktuellen
Ausstellung in der Galerie Eigen + Art die Idee dieses utopischen
Superlatives in eine hölzerne Skulptur mit Jeans-Dach. Klub der Republik
nennen sie dieses architektonische Modell, aus dessen Mitte ein dumpfer
Bass erklingt als würde drinnen die Volksversammlung des Jahrhunderts
stattfinden.

In der Tat könnte das Neue Berlin mit dem Klub der Republik eine Gestalt
annehmen, mit der eine große Zahl der Bewohner sehr gut leben könnten. Viel
besser jedenfalls als mit dem Potsdamer Platz als symbolischem Zentrum, der
- noch immer wie ein potemkisches Dorf wirkend - ein exemplarisches Produkt
der Kritischen Rekonstruktion ist, die impliziert, dass die letzten 80
Jahre Baukultur von der urbanen Benutzeroberfläche verschwinden. Diese
Rahmenbedingungen machen deutlich, was das WMF als kultureller
Zwischenspeicher für die Hauptstadt eigentlich leistet.

Umso misstrauischer stimmen die Weichenstellungen, die Berliner
IT-Unternehmen für das kollektive Gedächtnis legen. Ende der letzten Dekade
breiteten sie sich in der Berliner Innenstadt so stürmisch aus, dass die
Chausseestraße zur Silicon Alley Berlins avancierte; Fabriken, Lagerhallen
und Gewerbehöfe wurden zu ihrer Heimat, industrielles Erbe also, das von
den Unternehmern vor allem als symbolisches Kapital genutzt wurde, das mit
Geschichte und Charakter aufgeladen ist - schließlich war die eigene Firma
selten älter als zwei Jahre. Beim zweiten Blick allerdings handelt es sich
auch um Bauten, die kurz vorher Pilgerstätten des Berliner Nachtlebens waren.

Und so hat der Landeskonservator Dr. Jörg Haspel wohl nicht ganz unrecht,
wenn er sagt, dass Clubbetreiber als inoffizielle, vielmehr aber auch als
nicht bezahlte Location-Scouts für die Neue Wirtschaft arbeiten. Sie
erschließen die Stadt; sie erobern Orte, die man für abgeschrieben hielt
und beleben brachliegende Zonen, die dadurch mit einer gewissen emotionalen
Qualität, einer jüngeren, gelebten Geschichte aufgeladen werden. Spätestens
als Holger Friedrich von der spm technologies Deutschland GmbH zusammen mit
dem Architekten Florian Hoyer letztes Jahr den Umbau des E-Werks zur
IT-Schmiede vorstellte, war deutlich geworden, wie die neue Firmenkultur,
mit ihrem Verlangen nach Verbindungen zum Lifestyle-Kosmos, nicht nur von
dem industriellen Status eines jeweiligen Ortes profitiert, sondern vor
allem von der unmittelbaren Historie: Ein als James Bond- Gang referierter
Treppenschlauch wird entstehen und ein Chill Out Space auf dem Dach des
Anwesens, das mit "intelligenter Flüssigkeit" in einer Art Bandstruktur
durchzogen werden soll. Die Baumassnahmen beginnen 2003.

Ironischerweise bietet allerdings das WMF selbst zum Berlin-spezifischen
Diskurs des Strukturwandels einen Gegenentwurf, indem es die Technik- und
Kommunikationsutopien der ehemaligen DDR rotieren lässt: 2000 zog es in die
ehemalige Pakethalle der Post, die als größte Rohrpostanlange der Welt
einen beziehungsreichen Schauplatz darstellte für einen gelebten Kommentar
zur Informationsgesellschaft. Mit bootlab wurde dort die Gründung eines
Medienlabors ermöglicht. Darüber hinaus konnte mikro e.V., eine Gruppe von
Daten-Dandys, an diesem Ort regelmässige Diskussionsveranstaltungen zur
Pflege der Medienkultur fortführen.

Im "Moskau" wird dieser Faden wieder aufgenommen: VJs haben
retro-futuristische Deko-Elemente für die Innenräume entworfen,
Veranstaltungen, wie zum Beispiel ein bevorstehendes
Internet-Radio-Festival, stehen neben den gewohnten DJ- Auftritten
ebenfalls an der Tagesordnung. Ein architektonisches Detail des Orginalbaus
steht Pate für diese Aktivitäten: Hoch über dem Dach des ehemaligen
Restaurants thront eine Nachbildung des Sputnik, jenes künstlichen
Himmelskörpers, der als erster Satellit am 4. Oktober 1957 von der
Sowjetunion erfolgreich in die Erdatmosphäre katapultiert wurde und die
Welt, die er auf seiner elliptischen Bahn umkreiste, für immer verändern
sollte.

Berliner Archäologie

Der Sputnik findet sich nicht nur in der Wandmalerei links über dem
derzeitigen Eingang des WMF wieder, sondern auch im architektonisch
begründeten Sendungsbewusstsein des Gebäudes. Das WMF, das seinen Namen
übrigens von seiner ersten Heimat an der Leipzigerstrasse, der
Würtembergischen Metallwaren Fabrik, bezog, bleibt damit eine
beachtenswerte Konstante im Berliner Kulturleben. Es ist nicht nur über die
Jahre zu einem Sammelbecken für künstlerische Ideen und archäologische
Diskurse geworden, in dem nicht zuletzt ein Plattenlabel entstand und
zahlreiche Künstler geboren wurden, darunter der mittlerweile auch über die
Landesgrenzen hinaus geschätzte Video-Künstler Daniel Pflumm. Durch die
kontinuierliche Präsenz und die Kraft sich mittels DDR-Trash immer wieder
neu zu erfinden, ist es auch zu der zentralen Institution einer
Erinnerungskultur geworden, die nur dort hervorgebracht werden konnte, wo
sich der Osten und der Westen, sowie die Old und die New Economy im
Ablösungsprozess befinden: in Berlin.

Klub der Republik - Nina Fischer & Maroan el Sani, bis 30.11.2002 in der
Galerie Eigen +Art Berlin, Auguststrasse 26, 10117 Berlin; DDR-Sonderbauten
- Heike Ollertz, bis 15.12. in der Galerie Luna, Kopenhagener-strasse 15,
10435 Berlin.

 

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Copyright © Frankfurter Rundschau 2002
Dokument erstellt am 28.11.2002 um 21:07:56 Uhr
Erscheinungsdatum 29.11.2002

 
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