Gerrit Gohlke on Thu, 20 Mar 2003 13:29:56 +0100 (CET) |
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Wolf Kahlen alias Ruine der Kuenste Berlin wrote: > Um es noch härter zu sagen: Nur, wer nie richtig sehen, riechen, > schmecken ....gelernt hat, lässt sich blenden von den o.g. > inhaltsschwangeren Techniken. Es sind also zu 99% die Unkreativen, > die sie anwenden. Da haben sie wenigstens einen Ansatzpunkt zum > künstlerischen Handeln, den sie sonst als obsessiven eigenen Impetus > garnicht hätten. [...] Also ich bitte doch sehr um etwas mehr > Genaueres Hinsehen bei den 'alten europäischen' Techniken und den > 'neuen Ansätzen'. Künstler brauchen keine Zitat-Techniken im > Kopierzeitalter eines G.W. Bush, da spielen die Bürger schon > mit, sondern Visionen für alle ihre zwölf Sinne, und das haben auch > jeweils 'fünf' jedes Genres per Jahrhundert, das reicht... Sind das die fünf Gerechten jedes Genres? Jene Künstler, die sich dann später "als 'ewig' herausgestellt haben" werden, wie wir schon vor einigen Tagen einer kurzen Einsicht in den Gesamtverlauf der Weltkunstgeschichte entnehmen durften (Posting von Wolf Kahlen am 10. März)? Ich finde verblüffend ehrlich, wie sich diese letzte Aufwallung einer andernorts längst aufgegeben Genieästhetik legitmiert: Als Durchhaltewillen. Was wäre in Zeiten des Krieges eine naheliegendere Parole? Ausgerechnet die "Durchhaltekraft eines Künstlers" ist in Kahlens Logik der notwendige Qualitätsausweis für ästhetische Ausdruckformen, die "nicht nur mal eben", sondern ein Künstlerleben "lang etwas zu sagen" haben. Für mich ist diese Reduktion der Kunst auf biographische Beständigkeit eines der gelungensten Argumente für temporäre Aktionen, ironische Collagen, kontextverfremdende Kopien und vor allem für die Einsicht in die begrenzte Wirkung ästhetischer Techniken in einer jede Ästhetikproduktion von vornherein absorbierenden Gesellschaft. Kahlens überraschender Anspruch auf die Einsicht in eine geschichtliche Gesetzmäßigkeit, mit der sich zwischen den "ganz Großen" und den bloß "Zweitrangigen" unterscheiden lasse (steht auch im Posting vom 10. März), konzentriert sich mit guten Gründen auf das Drängen, Sehnen und Trachten des Genies, das sich "wiederum letzlich ein intellektuelles Vergnügen aus dem Unerreichbaren" macht, aber in diesem diffusen Begehren nach universalgeschichtlicher Potenz längst keine Wirkungsaussicht für seine Kunst mehr entdeckt. Kunst ist in diesem Sinne dann "groß", wenn sie an synästhetische Wahrnehmungen appelliert. Die Sinne anzusprechen ist das Ziel ästhetischer Produktion. Selbst die Autonomieästhetiker des beginnenden neunzehnten Jahrhunderts waren schon weiter als sie das ästhetisch Schöne nicht zum Selbstzweck, sondern zum Gegenbild einer entfremdeten Gesellschaft erklärten. Hier aber sehen wir mit leichtem Schauder die gestörte Selbstwahrnehmung der Künstlerrolle am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts. Weil nicht mehr klar ist, wie das methodische Durchhalten des Künstlers überhaupt in gesellschaftliche Relevanz überführt werden kann, wettert das Genie gegen mediale Systematik, taktische Flexibilität und technische Reflexion. Was ihm einzig bleibt, ist seine Rolle: Beharrungsvermögen, Treue gegenüber der zum Rollenbild gewordenen eigenen Methode und ein egozentrischer Überbietungszwang gegenüber einer imaginierten Konkurrenz der Genies. Wozu aber dieses "über die Latte alles Möglichen springen" (10. März) dienen soll, weiß diese Kunst nicht mehr, weil sie ja nach dem üblichen vergänglichen Subversionserfolg zum Genre wird - und so ihr Nachleben als esoterischer Erholungsort in einer eventvermarkteten Umgebung beginnt. Diese ornamentale Rolle nun als "das im Hegelschen Sinne wesentlich Geistige" auszugeben (Wolf Kahlen am 10. März), scheint mir ein wenig hybrid. Der obessive eigene Impetus, der im Quote oben beschworen wird, ist keineswegs bereits deshalb kritische Praxis, weil sich mit ihm ein Curriculum Vitae füllen läßt - auch wenn diese Lebensphasen verzeihlich sind, in denen man sich an dem Mißverständnis berauscht, die eigenen Obsessionen könnten zum Triebwerk des Weltgeistes werden - meist denkt man das allerdings am Anfang seiner Karriere. Lang lebe das Korrekturvermögen. Und sei es durch Remix, Cut & Paste und einen kräftigen Druck auf Delete. Viele Grüße Gerrit ------------------------------------------------------- rohrpost - deutschsprachige Liste zur Kultur digitaler Medien und Netze Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost http://post.openoffice.de/pipermail/rohrpost/ Ent/Subskribieren: http://post.openoffice.de/cgi-bin/mailman/listinfo/rohrpost/